Indianer-Museum in Washington:Begrabt mein Herz an der Biegung des Stusses!

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Traurig und missglückt, aber wenigstens politisch korrekt: In Washington eröffnet das "Museum of the American Indian".

JÖRG HÄNTZSCHEL

Man hat sie betrogen, vertrieben, fast ausgerottet. Würden weiße Historiker und Anthropologen den Indianern jetzt ein Museum einrichten, es wäre so geschmacklos wie die Grabrede eines Mörders auf sein Opfer.

Exponat (Foto: Foto: http://www.nmai.si.edu/)

- So dachte man sich beim Smithsonian, als es darum ging, das letzte freie Grundstück an der Mall zu füllen, jener Schneise in Washington, zu deren beiden Seiten in großen Gebäuden alle Aspekte des kollektiven amerikanischen Gedächtnisses paradieren.

Doch dass zwischen den Museen für Luftfahrt und Postwesen, Kunst und Naturgeschichte, und, etwas abseits, der Geschichte der African-Americans eine Würdigung von Amerikas Ureinwohnern überfällig war, war ebenso klar.

Letztlich ging es bei dem nun eröffneten National Museum of the American Indian um das Dilemma, mit dem sich Postkolonialismusforscher lange schon beschäftigen: Wie verschafft man den Opfern der weißen Kultur eine Stimme, wenn die einzige Sprache, in der sie verstanden würden, die einzige, die sie selbst noch sprechen, die der Weißen ist?

Dass man hier Konzeption und Gestaltung des Museums weitgehend den Angehörigen amerikanischer Indianerstämme selbst überlassen hat, konnte das Scheitern des Projekts nicht verhindern.

Welche architektonische Form hätte man dem Museum geben können? Stilisiertes Tipi? Aufgeblasene Lehmhütte? - Der Architekt Douglas Cardinal, ebenfalls Indianer, entkam der Paradoxie der Aufgabe, indem er seinen Bau mit Kurven, Furchen und einer Sandstein-Fassade ästhetisch an die Felsen im Monument Valley anlehnte.

Innen überzeugt das Gebäude weit weniger. Abgedrängt von einem übergroßen, kreisrunden Atrium à la Guggenheim, von Museumsshop, Cafeteria und 3-D-Kino (mit Leinwänden aus Schafwolle!) bleibt den Galerien kaum Platz.

Cardinal wurde vor der Fertigstellung des Baus vom Smithsonian gefeuert und will mit der "Fälschung" seines Entwurfs nichts mehr zu tun haben. Die Liebedienerei gegenüber Sponsoren, mit der das Smithsonian, die einst respektable Organisation der Washingtoner nationalen Museen, in den letzten Jahren seine Reputation ruiniert hat, fehlt auch hier nicht.

Im obersten Stockwerk darf der Cheyenne-Indianer Ben Nighthorse sich mit seinem Touristenmarktschmuck in Szene setzen. Den Mann zeichnet allerdings weniger seine Schmiedekunst aus als die Tatsache, dass er identisch ist mit dem republikanischen Senator Nighthorse Campbell, der das Museumsprojekt mit angestoßen und einen Teil der Kosten eingesammelt hat.

Ohne die Profite aus den Casinos, die für viele Stämme zum Haupterwerbszweig geworden sind, hätte das Museum übrigens nie realisiert werden können.

Viel fragwürdiger ist jedoch die Dauerausstellung. Abgesehen davon, dass aus den Hunderttausenden von Objekten der berühmten Sammlung von George Gustav Heye nur 8000 zu sehen sind, wurden diese schockierend amateurhaft präsentiert.

Da sind hunderte von Pfeilspitzen dekorativ arrangiert, doch woher sie kommen, welcher Stein, welches Werkzeug verwendet wurde, erfährt man nicht. Hier hängen Gewehre, dort Bibeln, doch die epochale Wende, die sowohl die Feuerwaffe als auch die Missionierung über die Indianer gebracht haben, wird nur lapidar erwähnt.

Zwar sind einige der Verträge ausgestellt, mit denen man die Indianer um ihr Land brachte, es sind Deportationslisten zu sehen und historische Dollarnoten mit Indianermotiven, doch nicht einmal ist das Jahr dokumentiert, aus dem die Exponate stammen.

Erst tiefer in dem labyrinthischen Durcheinander der Stellwände wird klar, dass das, was schien wie dilettantische Schlamperei in einem Museum, dessen Direktor Richard West keinerlei kuratorische Erfahrung hat, in Wahrheit Programm ist.

Nichts nämlich fürchtet man hier so sehr wie das Museale. Historische Aufnahmen vom indianischen Leben fehlen ebenso wie Landkarten, auf denen die Verbreitung der Indianer vor der Eroberung Amerikas nachzuvollziehen wäre. Schmuck, Kultobjekte und Waffen sind nicht um ihrer Schönheit oder Interessantheit willen ausgestellt, sondern als Attribute eines vagen Traditionsbewusstseins - wie das geerbte Silberbesteck in einem modernen Haushalt.

Es zählt nur die Gegenwart. Auf fast verzweifelte Weise insistiert die Ausstellung darauf, wie lebendig und normal die indianische Gesellschaft in Amerika heute ist. Auf die Spitze bringen das die Selbstdarstellungen von 28 Indianerstämmen zwischen Alaska und dem Amazonas. Da sind Modelle von Spielcasinos zu sehen, Teenager berichten in Video-Testimonials von ihrer Tanzgruppe.

Unter den zehn wichtigsten Ereignissen ihrer Geschichte, die die Tohono-Oodham-Indianer aus Arizona aufzählen, gehört der Moment, als "die Vögel die Menschen lehrten, für Regen zu bitten" ebenso wie ein Wohltätigkeitsmarsch aus dem Jahr 2000. Bei einem solchen Gedränge der Völker können diffizilere Aspekte, vor allem die Grundzüge ihrer Religion, nur in den Phrasen umrissen werden, die der Laie schon von Karl May her kennt: "Liebe", "Respekt", "Ehrlichkeit", "Natur", "Alles ist miteinander verbunden".

Es sind jedoch nicht nur der Platzmangel und die Gemeindezentrum-Ästhetik für diese Banalisierung verantwortlich. Vielmehr wird der Konflikt zwischen der Überlebensstrategie der Indianer und der musealen Darstellung ihrer Kultur sichtbar.

Dass die behauptete Kontinuität von Vergangenheit und Gegenwart mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, ist offensichtlich. Alles andere aber würde ein Eingeständnis des indianischen Dilemmas bedeuten - und genau das vermeidet man um jeden Preis: Den Status des Exoten und Ureinwohners für sich in Anspruch nehmen, hieße, sich von der Gegenwart auszuschließen. Sich als gewöhnlicher Ami mit indianischen Vorfahren zu verstehen, hieße, die indianische Identität aufzugeben, die hier gerade gefeiert werden soll.

Indem das Museum diese Probleme mit Zweckoptimismus und Wohlfühlgetue überspielt, statt sie zum Thema zu machen, ist die Scham, auf der Verliererseite zu stehen, unter dem Stolz, noch da zu sein, so schmerzhaft sichtbar.

© SZ v. 26.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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