In Fremdingen hat der Schwerverkehr um 72 Prozent zugenommen:"Morgens um drei, da geht so richtig die Post ab"

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Wegen der Autobahnmaut brettern immer mehr Lkw-Fahrer auf der B 25 durch die Dörfer im nördlichen Ries. Und weil das nicht nur unseren Reporter rasend macht, haben wir Originaltöne mitgebracht. Lauschen Sie doch einfach mal den "Sounds of Fremdingen"! Text und MP3-Files von Martin Zips

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Also ab nach Korfu? In Jogginghose und T-Shirt steht Rainer Schulze in der Haustür. Der kalte Wind bläst ihm ins Gesicht.

Die Lebensqualität der 2300 Fremdinger ist schlecht. Viele können nachts nicht mehr schlafen. (Foto: Foto: ddp)

Doch Schulze ist gar nicht kalt. Ihm ist sogar ziemlich heiß. Gerade schimpft er auf die Lastwagen, die Tag für Tag an seinem Haus vorbeidonnern. "Kommen Sie doch mal um drei Uhr morgens vorbei", meint der Rentner mit hochrotem Kopf, "da geht auf der B 25 so richtig die Post ab.

Rasenmähen ist in Deutschland ab 19 Uhr verboten. Aber dass 20-Tonner aus Österreich und den Niederlanden rund um die Uhr an meinem Haus vorbeifahren, das ist erlaubt."

Schulze würde lieber heute als morgen mit Maria, seiner Frau, nach Korfu ziehen. Ans Meer. In die Sonne. Doch dafür müsste er das Haus an der Hauptstraße verkaufen.

Und wer kauft schon ein Haus inmitten des gesamteuropäischen Schwerlastverkehrs? Fremdingen in der "Erholungsregion Ries", irgendwo zwischen Dinkelsbühl und Nördlingen. Links: Hübsche Einfamilienhäuser mit blühenden Gärten. Rechts: Die beeindruckend neuromanische Sankt Galluskirche. In der Mitte: Die B 25, Lärm und Gestank.

Seit Einführung der Lkw-Maut auf Deutschlands Autobahnen vor fast 100 Tagen hat in Fremdingen der Schwerlastverkehr um 72 Prozent zugenommen.

Nach Angaben des Innenministeriums ist das mehr, als an anderen Zählstationen in Bayern bislang gemessen wurde. Als Alternative zur Autobahn A7 von Würzburg nach Ulm rollen täglich gut 1100 Schwertransporter durch die kleine Gemeinde.

Vor Einführung der Maut waren es nur 663. "Die Lebensqualität der 2300 Fremdinger ist schlecht", sagt Bürgermeister Klaus Lingel (CSU). "Viele können nachts nicht mehr schlafen." Doch es gibt Hoffnung: Die Verkehrsministerkonferenz hat gerade Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe aufgefordert, die Lkw-Maut auf einige Bundesstraßen auszuweiten. Albert Schmidt, Verkehrsexperte der Grünen, hält die Ausweitung bereits ab 2006 für denkbar. Allerdings müssen noch Bundesrat und EU-Kommission zustimmen.

Und Toll Collect darf nicht wieder Mist bauen. "Fremdingen würde die Ausweitung der Maut nur begrüßen", sagt Lingel.

Dabei war alles mal noch schlimmer. Als die A 7 noch nicht fertig war, zählte man hier Hunderte Lastwagen mehr als jetzt. Und immer wieder war der Bau einer Ortsumfahrung im Gespräch. Doch bis heute wurde nichts daraus. Das Straßenbauamt gab stets anderen Projekten den Vorzug.

Tatsächlich ist es ja nicht so, dass allein in Fremdingen die Lage dramatisch wäre. Auch in Barbing, Rain, Markt Bibart, Kitzingen und Freilassing laufen einige der 101 automatischen Zählstellen in Bayern heiß. Und viele Orte haben überhaupt keine Zählstelle, taugen also nicht für Statistiken, sind aber bei Speditionen trotzdem als Durchfahrt beliebt.

In Fremdingen findet sich die Zählstelle, ein grauer unscheinbarer Kasten, gleich hinter dem Haus von Frau Weng. Frau Weng sagt, nach 19 Jahren hier habe sie sich an die Lastwagen gewöhnt. "Direkt im Ort sind viel mehr Schlaglöcher als bei mir hinterm Haus.Da ist das Geschepper noch lauter."

Roland Heinisch wohnt direkt im Ort. Der kräftige Mann mit dem Knopf im Ohr fährt selber Lastwagen, sagt aber auch, dass er ziemlich froh sei, jetzt endlich schalldichte Fenster zu haben. "Ist ja klar, dass die Lkw hierher fahren. So sparen die sich bis zu 60 Kilometer Mautgebühr. Das würde ich als Spediteur genauso anordnen." Lärm ist eben auch immer eine Frage des Gesichtspunkts: "Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur", sagt Kurt Tucholsky.

Dass die Lkw-Maut auf neuralgische Punkte an den Bundesstraßen ausgeweitet wird, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Fremdingen, da besteht kein Zweifel, ist so ein neuralgischer Punkt. Und was tut man, bis es so weit ist? Die Vorschläge reichen vom Nachtfahrverbot über Sperrungen, Tempolimits bis zu mehr Polizei-Kontrollen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz fordert langfristig gar die Mautpflicht auf allen Straßen und für alle Gütertransporte. Das könnte Probleme geben.

In der Straßenverkehrsverordnung steht nämlich, dass Deutschlands Straßen grundsätzlich für alle da sind. Das freilich ist ein Trugschluss. Dort, wo pausenlos Schwergut transportiert wird, ist für Kinder oder Radfahrer eigentlich kein Platz mehr.

"Die sollen sich jetzt mal gefälligst was einfallen lassen", schimpft Rainer Schulze an der Haustür als gerade ein Lkw aus Potsdam sein Haus vibrieren lässt. "Kann mir mal einer sagen, was ein Potsdamer hier verloren hat?" Nachts schläft Schulze nur noch mit Stöpseln im Ohr. Er träumt, am liebsten, von Korfu.

© SZ v. 8. April 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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