Im Kino: Wolfgang Petersens "Poseidon":Angriff der Schurkenwelle

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Und wenn wir untergehen, ist das auch egal: In Wolfgang Petersens "Poseidon" dringt Wasser ein, Gänge füllen sich, Rohre platzen... Ja, mein Gott! Was hätten wir auch sonst erwartet.

Fritz Göttler

"You are the lucky ones", sagt der Kapitän zu den paar Passagieren, die mit ihm im Bauch des schwerbeschädigten Luxuskreuzers Poseidon erst mal überlebt haben: Ihr habt noch mal Glück gehabt ... Er sagt es und er scheint das genau so zu meinen, und erinnert dabei, ein Schwarzer, verdammt an einen Prediger. Er sagt es kurz nach der Katastrophe, nach dem Ansturm einer mörderischen Schurkenwelle, einer rogue wave, die die Poseidon ohne Vorwarnung erfasst und auf den Kopf gestellt hat. Kieloben treibt sie mitten auf dem Ozean, nur im Innern sind in der Luftblase des Ballsaals ein paar Leute noch am Leben und warten auf Rettung, aber die Schiffshaut wird an immer neuen Stellen rissig, Wasser dringt ein, Rohre platzen, Gänge füllen sich mit erschreckender Schnelligkeit.

Wolfgang Petersen liebt die abgeschlossenen, abgeschotteten Orte, die zur tödlichen Falle zu werden drohen. (Foto: Foto: Warner)

Einer will sich auf das apostrophierte Glück nicht verlassen, Robert Ramsey, gespielt von Kurt Russell, der sich uns, ungerührt vom Silvestertrubel um ihn her, am Spieltisch präsentiert. Er hätte, mit seiner Souveränität, seinem Snake-Plissken-Klapperschlangen-Charme, dem Film einen Schwerpunkt geben können, aber das Drehbuch gibt ihm keine Chance. Ramsey ist ein beherzter Ex-Feuerwehrmann, und hat offenbar zwischendurch auch mal als Bürgermeister von New York gedient: Bluffen Sie, Mr. Mayor? So liegt der Schatten des 11.Septembers schwer auch auf diesem Katastrophenfilm.

Kurt Russell zieht los mit ein paar anderen Unverzagten, wie es seinerzeit Gene Hackman tat, im ersten Poseidon-Film, 1972, von Ronald Neame. Das war ein nicht besonders aufwendiger, aber mit viel Liebe zum destruktiven Detail und zu seinen schrulligen Figuren gemacht - Gene Hackman war ein unternehmungslustiger Pastor, der trotz aller Strapazen keine Gelegenheit ausließ, um sich mit Ernest Borgnine oder Shelley Winters zu kabbeln. Dass Kurt Russell nun niemand von deren schauspielerischem Volumen dabei hat, wurde von vielen Kritikern sehnsuchtsvoll moniert, er hat seine Tochter dabei und deren Verlobten - noch weiß Daddy von nix -, eine blinde Passagierin - die tolle Mia Maestro - und Richard Dreyfuss, ein Schwuler, dem nach Selbstmord zumute ist.

Wolfgang Petersen liebt den huis clos, die abgeschlossenen, abgeschotteten Orte, die zur tödlichen Falle zu werden drohen in seinen Filmen und prächtige Schauplätze für Psychodramen abgeben: die engen U-Boot-Gänge in "Das Boot", die Flure der Präsidentenmaschine in "Air Force One", nun die Poseidon, mit ihren Sackgassen und stählernen Luken. Wolfgang Petersen ist kein Mann fürs Desasterkino - er ist an Menschen sehr viel mehr interessiert als an den Katastrophen, in die er sie schickt. Ganz magisch hat er die Riesenwelle inszeniert, die sich im Mondlicht heranschiebt, wunderschön ist es, wenn der Wasserschwall sich in den Ballsaal katapultiert und dem funkelnden Kronleuchter Konkurrenz macht. Aber dann übernehmen die Computertricktechniker das Regiment und treiben die Überlebenden in atem- und besinnungsloser Unerbittlichkeit durch den Bauch des Schiffes.

Wie Petersen sie inszeniert, haben die Akteure dennoch manchmal etwas von Performance-Künstlern, von Zirkusleuten. Kevin Dillon liefert, stellvertretend für alle, ein kleines Meisterstück ab, ein windiger Rumtreiber, der noch schnell zum Flachmann greift, bevor er den halsbrecherischen Gang über den Feuerschlund antritt. Da spürt man die beunruhigende Dialektik des Genres, die Freuds Studien zum Todestrieb so viel verdankt - einen irrationale Sehnsucht nach dem freien Fall, ein Existenzialismus des Sichaufgebens, der absoluten Freiheit.

Es war Fun, sagt Petersen vom ersten Poseidon-Film, aber schrecklich überdreht gespielt: "That campish, Hollywood style." Vielleicht hat er recht. Die Katastrophen von gestern sind der Camp von heute.

© SZ v. 12.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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