Im Kino: "Wanted":Entfesselte Traumlogik

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Angelina Jolie als sexy Domina mit tattooübersätem Corpus: In "Wanted" gelingt Timur Bekmambetov etwas Surrealistisches: entfesselt ausschweifende und ironisch zelebrierte Traumlogik.

R. Gansera

Hier die frohe Botschaft für alle gedemütigten, von Panikattacken heimgesuchten, hyperaktiven Jungs: In euch schlummern außerordentliche sensorische Fähigkeiten, um nicht zu sagen: Superheldenpotential.

Pures Vergnügen, weil pures Fantasma: "Wanted" bietet Albtraum-Wunschtraum-Choreographie. (Foto: Foto: Universal International Pictures)

Eure "Defekte" sind in Wahrheit eure Stärken. Habt ihr zum Beispiel eine übermenschliche, Raum und Zeit entgrenzende Wahrnehmung, die es euch erlaubt, mit einer Pistolenkugel einer schwirrenden Stubenfliege (Musca domestica) präzise den linken Flügel wegzuschießen, könnte bald Angelina Jolie an eure Seite treten.

Als personal trainer rekrutiert sie neue Talente für eine mysteriöse "Bruderschaft" - und so eine sexy Domina mit tattooübersätem Corpus als Lehrerin und Komplizin, das verspricht prickelnde Lektionen, bei denen das Surfen auf Chicagos S-Bahnen zu den schlichteren Übungen zählt.

Der mit den Fantasy-Spektakeln "Wächter der Nacht" und "Wächter des Tages" berühmt gewordene kasachische Regisseur Timur Bekmambetov entkleidet bei seinem Hollywood-Debüt den Action-Thriller von den üblichen Rührseligkeiten und Moralismen.

Er konzentriert sich auf die Essenz, die Ohnmacht-Allmachtfantasmen von Adoleszenten, und treibt das Effektfeuerwerk in einen derart aberwitzigen Overkill, dass selbst die Albernheiten der Story unter Trash-Charme verbucht werden können.

"Töte einen, rette Tausende"

Der Prolog zeigt das Leben des 25-jährigen Wesley Gibson (James McAvoy) in all seiner niederschmetternden Jämmerlichkeit. Wesley arbeitet als Versicherungsangestellter in einer Schuhkarton-Bürostellage, wird von einer fiesen, fetten (also politisch höchst unkorrekt gezeichneten) Chefin drangsaliert, von seinem "besten Freund" hintergangen, von seiner Freundin verachtet.

Er schluckt alles, auch Unmengen Beruhigungspillen gegen seine Angstattacken - bis Angelina Jolie alias Fox auftaucht und ihm offenbart, dass sein Vater ein legendärer Killer war. Foxy Lady bringt ihn ins festungsähnliche Hauptquartier der geheimen Bruderschaft, die seit Jahrhunderten in keinem geringeren Auftrag als dem des Schicksals damit beschäftigt ist, böse Menschen zu liquidieren.

Diese Bruderschaft, die unter dem Oberkommando des sinistren Sloan (Morgan Freeman) steht und später ihren diabolischen Charakter enthüllen wird, mag als Metapher für all jene Institutionen gelesen werden, in denen nach dem Motto "Töte einen, rette Tausende" Killer ausgebildet werden.

Hier also darf Wesley die hyperkinetischen Fähigkeiten entdecken, die seine Verwandlung vom Loser in einen muskelbepackten, den Mord seinen Vaters rächenden Helden ermöglichen.

Ausgehend von den Comic-Büchern Mark Millars schraubt "Wanted" die Effekte mit Zeitlupe, Freeze-Bildern und vibrierenden Raumdeformationen in eine immer fantasmagorischere Potenz. Die Pistolenkugeln schweben nicht nur in Zeitlupen-Großaufnahmen durch den Raum, sie beschreiben auch physikalisch äußerst fragwürdige Kurvenbahnen.

Von den Saltos der Autos bei den Verfolgungsjagden bis zu den zersplitternden Glasfronten der Hochhäuser wird alle Action zur Albtraum-Wunschtraum-Choreographie. Pures Vergnügen, weil pures Fantasma. Im Milieu und mit den knalligen Mitteln eines Blockbusters gelingt Bekmambetov das, was die Surrealisten experimentell suchten: entfesselt ausschweifende und ironisch zelebrierte Traumlogik.

Wanted, USA 2008 - Regie: Timur Bekmambetov. Buch: Michael Brandt, Derek Haas, Chris Morgan. Kamera: Mitchell Amundsen. Mit James McAvoy, Angelina Jolie, Morgan Freeman, Thomas Kretschmann. Universal, 110 Minuten.

© SZ vom 04.09.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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