Im Kino: "42plus":Letzte Ausfahrt Gigolo

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Früher waren Frauen um die 40 oft Großmütter, heute bekommen sie in diesem Alter nicht selten ihr erstes Kind: Der Film "42plus" zeigt die Lebenskrise einer Frau in mittleren Jahren.

Martina Knoben

Während die deutschen Beziehungskomödien der neunziger Jahre noch mit der Torschlusspanik der Frauen Mitte dreißig operieren konnten, ist die offizielle Reifegrenze mittlerweile deutlich vorgerückt. "42plus" hat die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger ihren Film über die Lebenskrise einer Frau in den mittleren Jahren genannt, was wie eine Formel klingt für das immer weiter hinausgeschobene Ende der Jugend. Waren Frauen um die vierzig früher oft Großmütter, bekommen sie heute in diesem Alter nicht selten ihr erstes Kind.

Medienfrau, jung verliebt: Claudia Michelsen als Christine und Jacob Matschenz als Tamaz in "42plus". (Foto: Foto: ddp)

Alles ist möglich, das ist eigentlich ein Leitspruch der Jugend, der nun bis in die mittleren Jahre, vielleicht bis ins Rentenalter hinein gelten soll. Ein Grund zu feiern? Nicht unbedingt, wie auch die offensiv demonstrierte Attraktivität der Hauptfigur von "42plus" belegt.

Als Christine (Claudia Michelsen) schließlich ganz verrückt ist vor Midlifecrisis, zieht sie ein Kleid ihrer Tochter an, so einen billigen Synthetikfummel. Und siehe da - er steht es ihr. Davon träumt natürlich jede Frau jenseits der dreißig: im Kleid der Tochter nicht wie verkleidet oder wie ein prall gestopftes Würstchen auszusehen. Was aber, wenn der Stress im Job, die Reproduktionsarbeit doch Spuren hinterlassen haben? Forever young - für Frauen bedeutet das Fitnessstudio, Disziplin beim Essen und die Hoffnung auf gute Gene.

Das passt ins Bild einer entsolidarisierten Gesellschaft, in der alles möglich und jeder für sein Glück alleinverantwortlich sein soll. Vom "erschöpften Selbst", der Depression als Krankheit unserer Zeit, hat der französische Soziologe Alain Ehrenberg geschrieben, eine Diagnose, die ihren vagen Widerhall in dem "Grauschleier der Enttäuschung" findet, von dem Sabine Derflinger im Presseheft zu ihrem Film schreibt.

Was die gesellschaftlichen Strukturen mit den Gefühlen ihrer Figuren zu haben, reflektiert ihr Film allerdings kaum, dabei drängt es sich schon bei den Berufen ihrer Hauptfiguren auf. Christine ist eine "Medienfrau", wie es heißt, mit eigener Talkshow, ihr Mann Georg (Ulrich Tukur) ein notorisch überlasteter Klinikarzt.

Formelhaft wie der Titel "42plus" mutet dann auch der gesamte Film an, der wie eine Versuchsanordnung wirken könnte, wenn das Experiment ernsthafter und leidenschaftlicher durchgeführt würde - und das Ergebnis nicht längst feststünde. Neben Christine und ihrem Mann gibt es deren Tochter Sonja (Vanessa Krüger), deren sexuelles Erwachen ("Liebes Tagebuch, in diesem Urlaub will ich mit einem Jungen schlafen") die erotische Aufbruchsstimmung ihrer Mutter spiegelt.

Dazu kommt ein befreundetes Paar, Linda (Petra Morzé) und Martin (Tobias Moretti), die überraschend im Urlaub auf Ischia zu Christines 42. Geburtstag auftauchen und ihr das ganze Ausmaß ihrer Lebenslügen vor Augen führen. Mit Martin hat Christine seit Jahren ein Verhältnis. Solche und andere Nebenfiguren aber lenken dann doch eher vom eigentlichen Drama ab, wie auch die sonnigen Italienbilder, die Christines Ausbruch wie einen Urlaub vom Leben aussehen lassen und ins Irreale verschieben. Und die Dialoge sind zwar gelegentlich von ätzender Schärfe; meist jedoch werden die Figuren mit so papierenen Sätzen ausgestattet, dass man kaum glauben kann, dass der dänische, von Vinterbergs "Fest" bekannte Autor Mogens Rukov am Drehbuch beteiligt war.

Gerade geht gar nichts mehr

Christines amour fou zu dem etwa zwanzigjährigen Tamaz (Jacob Matschenz) könnte dagegen wirklich tabuverletzend sein - kommt aber nie ganz in der Realität an. Tamaz ist eine Spielfigur mehr noch als eine Frauenfantasie: ein Urlauber vom Strand, den Christine als Einbrecher in ihrer Villa vorfindet. Der talentierte Jacob Matschenz ("Neandertal") gibt diesem Jungen ein unwiderstehliches Strahlen mit - das der echten Jugend -, und vermag ihn gleichzeitig etwas zu erden.

So mildern er und die couragiert und klug agierende Claudia Michelsen die an jeder Wendung der Geschichte lauernden Klischees immer wieder ab. Und wenn Tamaz Christine zwingt, nicht nur im Hotel, sondern im Familienferienhaus mit ihm zu schlafen, deutet sich das gefährliche Potential dieser Liebe an. Wie er jedoch aus der Geschichte verabschiedetet wird, mit einem Geldschein und der Bitte, doch auch eine andere Frau aus ihrer Erstarrung zu führen, ist er eine Mischung aus Gigolo und Erlöser, die nur als hilflose Antwort auf eine als ausweglos empfundene Situation gelten kann.

Sabine Derflingers Film fügt sich in eine Reihe von Arbeiten, die sich dem Altern zuwenden - Antworten des Kinos auf die Tatsache, dass wir alle immer älter werden, dass vor allem die Generation, die unsere Vorstellung von Jugend erst erfunden hat, gerade in die Jahre kommt. Alles muss möglich, muss erlaubt sein, lautete einmal deren radikale Forderung. "42plus" vermittelt in seinem interessanten Scheitern das Gefühl, dass gerade gar nichts mehr geht.

42PLUS, Ö 2007 - Regie: Sabine Derflinger. Buch: Derflinger, Mogens Rukov. Kamera: Bernhard Pötscher. Schnitt: Karina Ressler. Mit: Claudia Michelsen, Ulrich Tukur, Petra Morzé, Tobias Moretti, Jacob Matschenz. Verleih: Zorro, 95 Min.

© SZ vom 24.7.2008/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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