Im Kino: "Pink":Heute bin ich eine Wölfin

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Ein Film über das Glück und die Klischees vom Glück: Hannah Herzsprung in Rudolf Thomes "Pink".

Fritz Göttler

Noch was, sagt die junge Frau, nachdem der junge Mann sie kurz und innig geküsst hat, seine Hand liegt noch behutsam an ihrem Hinterkopf. Noch was also: "Schwör mir, dass du dich nicht umbringst, wenn ich dich verlasse. Ich hab keine Lust später in der Zeitung zu lesen: Leichen pflastern ihren Weg ..." Die beiden waren eben auf dem Standesamt und stehen nun an ihrer Hochzeitstafel, es ist die zweite Ehe für die Frau, von ihrem ersten Mann hat sie sich rasch wieder scheiden lassen; und in einer finsteren, trostlosen Nacht hat er sich aufgehängt in seinem Büro.

Ein erster Versuch - Guntram Brattia heiratet Hannah Herzsprung. (Foto: Foto: Moana)

Es geht ums Glück in diesem Film, noch intensiver als bisher bei Rudolf Thome, um die Vorstellungen und die Bilder und die Klischees vom Glück. Und um die Fabrikation des Glücks, die auch heute noch am besten nach dem Baukastenprinzip erfolgt. Drei Männer hatte die junge Frau - Pink nennt sie sich, sie wird von Hannah Herzsprung verkörpert -, drei Männer nebeneinander, die einander in freundschaftlicher Konkurrenz verbunden sind. Sie leben glücklich in ihrer kleinen Bohèmewelt, in der langstielige Weingläser und bauchige Kerzen den Ton angeben.

Dann hat Pink die Stimme Gottes gehört, und die sagte, so kann es nicht weitergehen, sie muss sich entscheiden; und Pink setzte sich an den Tisch und fing an, die drei Männer zu beurteilen und zu bewerten, tabellarisch, numerisch, Punkt für Punkt. Was eine Liebe in dieser Rechnung ausmacht: Konten, Immobilien, Sparsamkeit, Durchsetzungsvermögen, Aussehen, Sportlichkeit, Bildung, Neugierde, Hobbys, Bekanntschaften ...

Pink macht ihre Hausaufgaben, und Hannah Herzsprung schaut wirklich wie ein Schulmädchen dabei, voll konzentriert, manchmal verzieht sie einen Mundwinkel ganz kurz, unentschlossen und ein wenig schnippisch, in ihrer Ratlosigkeit. So wird "Pink" ein kleines Lehrstück, in klassischer Tradition.

Am falschen Meeresstrand

Die Sorgen um zynische Schlagzeilen, eine falsche PR sind durchaus berechtigt, Pink ist Poetin, eine erfolgreiche, sie trägt vor und signiert, Buch für Buch, nicht einer der Fans wird zurückgeschickt. Hannah Herzsprung ist ungewöhnlich sexy für eine Thome-Heldin, und es ist schön, wie er sie von dem unentwegten Furioso runterholt, das ihr Markenzeichen geworden ist, vom besinnungslosen Tempo, in das sie sich steigert, in Filmen wie "Vier Minuten" oder "Das wahre Leben" oder, als Susanne Albrecht, in "Der Baader Meinhof Komplex".

Man spürt kaum noch etwas von dieser Hitzigkeit, dieser Hetze in den stillen, friedfertigen Momenten, die Pink sich gestaltet. In ihrer Naivität spielt eine schöne Künstlichkeit mit, diese Frau ist nicht unmittelbar und nicht natürlich. Einmal sitzt sie vor einem blauen Meeresstrand neben einer Palme, aber das ist alles nur auf die Wand ihres Berliner Zimmers gemalt. Sie hockt in einem schwarzen Sessel, der sie schützend in sich birgt.

Man weiß, wie heftig Thome das amerikanische Kino liebt und den Western, aber die Weite, die Grenzenlosigkeit lösen dann doch Unruhe und Unsicherheit aus in seinen Filmen. "Heute ist Vollmond", textet Pink, "heute bin ich eine Wölfin / Und heule den Mond an ... Ich hätte nie gedacht, / dass das Leben und alles, / was einfach so da ist, / die Wolken im Himmel und darunter die Erde, / so schön sein kann." Sollte das also das Glück sein, auf einer mit Palmen bestückten Küstenstraße in Florida unterwegs zu sein, in einem schwarzen Ford Thunderbird Cabrio? Ist das also Glück, in einer Hängematte auf einem Landsitz vor Berlin zu sein, mit dem geliebten, dem geehelichten Mann?

Wie es aussieht, hat die Stimme Gottes gar nicht recht gehabt. Das Glück, die Liebe und all die anderen Dinge des Lebens, sie sind wirklich hochkompliziert, aber man sollte sich hüten, sie zu vereinfachen, ihnen ihre schmerzvolle Komplexität zu nehmen. Thomes Kino kennt keine Endgültigkeit und keine Dauer, es ist absolut diesseitig, will selbst im Paradies sich nur auf den jeweiligen Augenblick konzentrieren und vom nächsten noch nichts wissen.

Es ist der Konstruktivismus, von dem sie seit Beginn des 20.Jahrhunderts immer geträumt haben und den nur das Kino zu realisieren vermag, Menschen, von der Kamera in ihrer Präsenz erfasst, ohne dass sie abgeschlossene, zielstrebige Charaktere werden. Hypothetische Wesen: "Schon daß der Mensch", schrieb Brecht, "nicht ganz noch endgültig zu erkennen ist, sondern ein nicht so leicht Erschöpfliches, viele Möglichkeiten in sich Bergendes und Verbergendes ist (wovon seine Entwicklungsfähigkeit kommt), ist eine lustvolle Erkenntnis." Als Pink ihre Liste abgeschlossen hat, holt sie eine Pistole aus der Tasche: "Wenn mein Papa mich sehen könnte, wäre er stolz auf seine Tochter." Aber dann feuert sie, und eine Vase geht zu Bruch.

PINK, D 2008 - Regie, Buch: Rudolf Thome. Kamera: Ute Freund. Ton: Jörg Kidrowski. Schnitt: Dörte Völz-Mammarella. Musik: Katia Tchemberdji. Mit: Hannah Herzsprung, Guntram Brattia, Florian Panzner, Cornelius Schwalm, Radhe Schiff, Anna Kubin, Christina Hecke, Rosa Enkat, Anja Karminski, Christine Knispel. Moana, 82 Minuten.

© SZ vom 20.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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