Im Kino: "Gefahr und Begierde":Sex mit dem Feind

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In "Gefahr und Begierde", dem neuen virtuosen Film von Ang Lee, vergraben seine Figuren ihre Sehnsüchte - und Sex wird zur einzig möglichen Sprache.

Rainer Gansera

Keine zärtlichen Blicke, keine scheuen Küsse. Liebe à la Ang Lee beginnt roh und direkt mit Sex. Mit einer Sexszene, die beinahe wie eine Vergewaltigung aussieht. Hardcore-Liebe. Die junge, verführerisch schöne Frau, Wang Jiazhi (Tang Wei), will den verschlossenen, melancholischen Mann, Herrn Yi (Tony Leung), küssen, er aber stößt sie aufs Bett, fesselt sie, würgt sie, und selbst beim Orgasmus behält er die Augen offen.

Die junge Studentin Wang Jiazhi (Tang Wei) versucht die Gunst des skrupellosen Regierungsbeamten Yi (Tony Leung) zu gewinnen. Ang Lees Film "Gefahr und Begierde" läuft ab 18. Oktober in den deutschen Kinos. (Foto: Foto: AP/ Tobis)

Herr Yi muss allezeit misstrauisch sein: Im Schanghai des Jahres 1942 ist er Geheimdienstchef der mit den japanischen Besatzern kollaborierenden Regierung. Er mag ahnen, dass die schöne Wang, die sich als Gattin eines wohlhabenden Geschäftmannes ausgibt, tatsächlich einer patriotischen Widerstandsgruppe zugehört und ihn in eine tödliche Falle locken soll.

Der verhasste Kollaborateur und die Lockvogel-Partisanin bei ihrem ersten intimen Zusammentreffen: eine Feindberührung, die im sadomasochistischen Ritual immer spürbar bleibt. Zugleich eine Eruption von Gefühlen, die die beiden dann doch einander näher bringen und sie ihren Welten, wenigstens ein Stück weit, entfremden wird. Eine Sexszene - weit entfernt von der "Koketterie mit dem Pornographischen", die man ihr vorgeworfen hat.

In Claude Chabrols "Süßes Gift" erklärt ein berühmter Konzertpianist seiner Schülerin, dass Virtuosität kein Selbstzweck sein darf: "Fingerfertigkeit, die sich ausstellt, bleibt hohl!" Der in Taiwan geborene und in Hollywood geschulte Ang Lee ist ein Regie-Virtuose, der dieser Maxime widersprechen mag: Er stellt seine Fingerfertigkeit vorsätzlich aus, schenkt jedem Bild graphische Perfektion, jedem Blick ein prismatisches Funkeln, zieht mit jedem Schnitt messerscharfe Kanten. Er gleicht einem Diamantenschleifer. Man kann sich ihn gut als E. T. A. Hoffmanns Juwelier Cardillac vorstellen, der detailbesessen an seinen Kostbarkeiten arbeitet und sie eifersüchtig wie einen Schatz hütet.

Ang Lees Œuvre (bislang elf Spielfilme) demonstriert selbstbewusstes Virtuosentum, wenn es die verschiedensten Genres durchstreift, Jane Austen ("Sinn und Sinnlichkeit", 1995), Martial-Arts-Akrobatik ("Tiger & Dragon", 2000), Cowboys in love ("Brokeback Mountain", 2005). Freilich weiß Ang Lee um die Aporien der Virtuosität.

Er macht sie zu seinem Thema: Die geschliffene Form, die sich nach dem ganz Anderen sehnt, nach der rohen Gefühlssubstanz, der verstörenden Leidenschaft, der elektrisierten Haut. So konstruiert er seine Figuren, die ihre gesellschaftlichen Rollen perfekt spielen, ihre Sehnsüchte vergraben (daher all die melancholischen Blicke), bis sie von einem Kometen der Leidenschaft getroffen werden, der freilich keine Erlösung bringt ("Erlösung" ist in diesem Universum ein Fremdwort), sondern die Trauer vertieft.

Offenbarungen einer emotionalen Nacktheit

In "Gefahr und Begierde" ist das verstörende Andere der Sex. Ihm nähert sich die Story (nach einer Kurzgeschichte von Eileen Chang) in ausschweifenden Erzählspiralen, während die Bilder alles in einen Retro-Film-Noir-Look einhüllen, wo schmiedeeiserne Gatter große Schatten werfen und jedes Detail als Kostbarkeit und Verheißung aufblitzt: der Lippenstiftabdruck auf dem Glas, der funkelnde Diamant, die verwegene Haarsträhne.

Da sitzen elegante Ladys, die offenbar unter der Besatzung nicht besonders zu leiden haben, beim Mahjong-Spiel, sie beklagen sich über das magere Angebot des Schwarzmarkts, bewundern ihre Edelsteine, und die Kamera verliebt sich in das rasante Hin und Her auf dem Spielbrett. Die einzig Jüngere, Wang, nimmt zwar am Spiel teil, erscheint aber wie abwesend - bis der Hausherr, Herr Yi, den Salon betritt, und ein verstohlener Blickwechsel zwischen ihnen das Geheimnis der Affäre andeutet.

In einer Rückblende wird erzählt, wie Wang, 1938 in Hongkong, als schüchterne Studentin zu einer Theatergruppe stößt und dort ihr schauspielerisches Talent entdeckt. Was ihr zum Verhängnis wird, als die Gruppe sich zur politisch-patriotischen Widerstandszelle wandelt und Wang als Lockvogel auf Herrn Yi ansetzt. Sie muss sich zur Femme fatale umdekorieren, einen verachteten Lebensstil einüben (was sie merkwürdig affiziert), entjungfert werden (um als bourgeoise Gattin glaubwürdig zu sein). Schließlich muss sie miterleben, wie ihre Genossen in einer brutal-dilettantischen Metzelei einen "Verräter" abschlachten. So verliert sie ihre Unschuld. Beim Sex mit dem Feind wird sie etwas davon zurückgewinnen.

Denn der Sex wird plötzlich zur einzigen Sprache, in der sich Wang und Yi verständigen können. Zur Körpersprache, wie Ang Lee das nennt, die es möglich macht, die immerzu unterdrückten und verleugneten Gefühle zu buchstabieren. Die vieldiskutierten Sexszenen von "Gefahr und Begierde" sind weniger "sexy" als vielmehr Offenbarungen einer emotionalen Nacktheit. Irgendwann darf Herr Yi es wagen, bei den Umarmungen die Augen zu schließen. Aber nur für einen Augenblick.

SE JIE - LUST, CAUTION, China/USA 2007 - Regie: Ang Lee. Buch: James Schamus, Wang Hui-Ling. Nach einer Shortstory von Eileen Chang. Kamera: Rodrigo Priteto. Schnitt: Tim Squyres. Ausstattung: Pan Lai. Musik: Alexandre Desplat. Mit: Tony Leung, Joan Chen, Tang Wei, Anupam Kher, Wang Leehom, Chih-ying Chu. Tobis, 156 Minuten.

© SZ vom 18.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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