Im Kino: "Ein Quantum Trost":Helden der Müllabfuhr

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"Ein Quantum Trost" macht zwei Dinge klar: Wer sich mit Bond einlässt, ist dem Tode geweiht. Und: Die Party ist vorbei.

Fritz Göttler

The party is over. Der Mann und die Frau stolpern Seite an Seite durch die Wüste, Bond und Camille - früher hätte man gesagt: das Bondgirl, aber das stimmt diesmal definitiv nicht mehr, was an der Figur Camille liegt und an Olga Kurylenko, die sie spielt -, sie tragen noch ihre Abendgewänder, kommen müde und lethargisch daher, mitgenommen vom nimmerendenden Kampf gegen den Feind, sind verdreckt und verschrammt.

Ihr Ende ist jämmerlich: Strawberry Fields (Gemma Arterton, rechts) darf eine Nacht mit 007 (Daniel Craig) verbringen, doch dann endet sie in einem schwarzen Ölbad. (Foto: Foto: Sony Pictures Releasing)

Die Wüste erweist sich immer noch als ein Gegen- und Mitspieler, auf den man sich verlassen kann, sie hat es vielfach in Texten von Borges oder in Filmen von Stroheim bewiesen.

Die Wüste ist der letzte und, in ihrer gnadenlosen Einsamkeit, vielleicht der aufregendste Ort, an dem Bond sich in diesem Film tummeln darf. Davor war er am Gardasee und in Siena, auf der Bregenzer Seebühne, in Haiti und Bolivien.

Durchgehechelt und durchgehetzt

Aber immer war er da so mit anfallenden Verfolgungsjagden beschäftigt oder mit seiner ganz persönlichen Trauerarbeit - der Tod der geliebten Vesper Lynd (Eva Green) setzt ihm brutal zu, am Ende des vorigen Bondfilms "Casino Royale", der neue fängt etwa eine Stunde danach an -, dass er die Qualitäten dieser sensationellen Schauplätze gar nicht genießen konnte.

Er teilt also, und wir Zuschauer mit ihm, das Schicksal aller modernen Touristen: Sie haben die tollsten Touren gebucht und werden nun überall durchgehechelt und durchgehetzt.

Bei der Bregenzer "Tosca" dürfen wir kaum verweilen, sie dient nur als Verhandlungsort, an dem die Herren der Verbrecherorganisation Quantum über Headsets konferieren.

Der Palio, das berühmte Pferderennen in Siena, geht voll an uns vorbei, nichts kriegt man mit von der erregenden Stimmung, wenn die Pferde der Stadtviertel durch die Gassen preschen. Dass filmische Action aus der Beherrschung des Raums erwächst, davon will das moderne Kino nichts mehr wissen.

Im Hauruck-Verfahren

Mit Daniel Craig als neuem Bond ist das Prinzip "Auge um Auge" ins Agentengenre zurückgekehrt. Zur Mischung, die er in "Casino Royale" so erfolgreich präsentierte - ein Schuss blauäugiges Proletentum, ein bisschen Nackte-Brust-Masochismus, eine Abneigung gegen Designerklamotten, ein ungehobeltes, manchmal komisches Hauruck-Verfahren, eine Tendenz zur Regression -, ist keine neue Zutat dazugekommen, im Gegenteil, die Momente von Erotik und Sex sind noch weiter zurückgeschraubt, und jene Eleganz, die Roger Moores Markenzeichen war.

Das hängt natürlich mit der Weltlage heute zusammen, der Globalisierung, die keine Spielregeln mehr akzeptieren kann, so dass man mit Konventionen und guten Manieren, auf den ordentlichen Dienstwegen überhaupt nicht mehr weiterkommt.

Die Schurkenorganisation gibt sich grün und ökobewusst, ihr Boss heißt Dominic Greene. Die Radikalität, mit der Bond freihändig seine private Rache und sein mühseliges Geschäft verquirlt, ist die Kehrseite der Abnutzung des modernen gesellschaftlichen Systems und seiner Politik, die man heute täglich erlebt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie "M" Bond näher kommt.

Die Großen, die Oberen haben es längst alle vorgemacht. "Ich pfeif' auf die CIA und ihre getürkten Beweise", wettert Judi Dench als M, eine der wenigen verlässlichen Personen in Bonds Umgebung. Die Intimität wächst, von Film zu Film rückt Bond ihr näher. Seine Physis bewundert sie immer schon.

In der Bond-M-Beziehung entwickelt sich auch das Thema des Films - und es ist ausgerechnet jenes, das schlagwortartig durch die Debatten der letzten Wochen geisterte: Vertrauen.

Sie mag ihn schikanieren, aber ihr Glaube an Bond ist unerschütterlich. M lässt ihm, als er unter falschen Verdacht gerät, seine Kreditkarten sperren - aber das möchte man, in einer perversen Drehung, fast als einen Ansporn sehen, sich mit anderen, primitiven Mitteln durchzukämpfen.

In der Kurzgeschichte von Ian Fleming, von der der Filmtitel stammt, tritt Bond nur als Randfigur auf, er lässt sich von einem Freund die Geschichte einer gescheiterten Liebe erzählen. Das Quantum Trost ist hier eine mathematische Formel, die die Liebe zwischen zwei Menschen festlegt - was es braucht an Zuspruch und Unterstützung für den andern, um diese Beziehung zu erhalten. Wenn diese Größe Null ist, ist die Liebe tot.

Der Tod von Vesper Lynd war schockierend, nun aber, im neuen Film, ist evident, dass Bond wie ein Todesengel auftritt - wer sich mit ihm einlässt, ist dem Tod geweiht.

Auf dem Agenten-Schulhof

Seinen alten Freund und pensionierten Kollegen René (Giancarlo Giannini, der auch in "Casino Royale" dabei war) bittet Bond um einen Gefallen. René geht dabei drauf und Bond lädt ihn in einem Müllcontainer ab.

In La Paz ist ihm eine Agentin behilflich, die im Konsulat arbeitet, gespielt von Gemma Arterton. Sie darf den klassisch-ulkigen Namen Strawberry Fields tragen und eine Nacht mit Bond verbringen, aber ihr Ende ist jämmerlich, sie wird in ein schwarzes Ölbad getaucht, eine triste Reminiszenz an den Goldkörper von Claudine Auger in "Goldfinger".

Eine kleine Angestellte, die Bond da auf dem Gewissen hat, die nie eine Ahnung hatte, wie grausam das Spiel war, in dem sie mitspielte.

Quantifizierung von Emotionen mag eine britische Spezialität sein, aber man darf das nicht mit Sarkasmus verwechseln und nicht mit Zynismus.

Unter Koautor Paul Haggis - er hat "L.A. Crash" und "Im Tal von Elah" geschrieben und inszeniert, und auch die Scripts zu Eastwoods Iwo-Jima-Filmen geliefert - und dem Schweizer Regisseur Marc Forster - durchweg ambitioniert, mit "Monster's Ball", "Finding Neverland" - treten Bond und sein Gegenspieler Greene (Mathieu Amalric) an, als wären sie Lausbuben in der Pause auf dem Schulhof.

Es geht um das Geschäft mit dem kostbarsten Gut der Zukunft, dem Wasser. Camille ist derweil mit eigenen Racheaktionen beschäftigt, am bolivianischen General Medrano, der ihre Familie umbringen ließ. Sie trägt die Narben seiner Folterer am Körper. Ich wollte, ich könnte dich befreien ... aber dein Gefängnis ist hier oben, sagt sie mal zu Bond, und das gilt für viele andere auch in diesem Film. The party is over.

Quantum of Solace, GB/USA 2008 - Regie: Marc Forster. Buch: Neal Purvis, Robert Wade, Paul Haggis. Kamera: Roberto Schaefer. Schnitt: Matt Chesse, Richard Pearson. Musik: David Arnold. Mit: Daniel Craig, Olga Kurylenko, Mathieu Amalric, Gemma Arterton, Jeffrey Wright, Giancarlo Giannini, Judi Dench, Oona Chaplin. Sony, 103 Minuten.

© SZ vom 05.11.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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