Im Kino "2046":Die geliebte Frau ist Vergangenheit

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Nostalgischer Blick in die Zukunft: Regisseur Wong Kar Wai erzählt die Geschichte einer verlorenen Liebe in Hongkong - im Jahr 2046. Ein Interview über Erinnerungen, Realität und das Weitermachen.

Anke Sterneborg

"In the Mood for Love" war der stärkste Film der Sechziger, eine zeitlose love story, gedreht von Hongkong-Regisseur Wong Kar Wai im Jahr 2000. In seinem neuen Film "2046", ab Donnerstag im Kino, führt er die Geschichte von damals fort - hinein in die Zukunft des Kinos.

Große Gefühle: Wong Kar Wais neuer Film "2046". (Foto: Foto: ddp)

SZ: Wenn man Ihre Filme sieht, und vor allem "In the Mood for Love" und "2046", die beiden um den Schriftsteller Chow, gespielt von Tony Leung, hat man nicht den Eindruck, als würden Sie der Liebe große Chancen einräumen?

Wong Kar Wai: Warum? Dieser Mann gibt doch am Ende nicht auf, er wird weitermachen ... Der Film hat kein richtiges Happy-End, aber er endet doch positiv - da ist ein Mann, der immer wieder versucht Ersatz zu finden, für die Frau, die er in seinem Leben verloren hat. Er lässt sich niemals wirklich auf die Beziehungen ein, deshalb kann es nicht funktionieren - und das begreift er. Ähnlich ist es bei den Frauen, sie merken, dass es nicht funktioniert, und gehen ihrer Wege. Das ist sehr pragmatisch, und durchaus positiv. Jeder Zuschauer muss entscheiden, wie es für Chow weitergeht, ob er die Liebe finden wird, oder nicht

SZ: Das Misstrauen den Erinnerungen gegenüber ist ein wiederkehrendes Thema im Kino, kehrt gerade bei Ihnen immer wieder.

Wong Kar Wai: Marcel Proust hat mal gesagt, dass Erinnerungen Imaginationen sind, Vorstellungen. In unseren Erinnerungen erhöhen wir die Realität, so wie Chow das mit den Frauen in tut. Maggie Cheung, der er in "In the Mood for love" begegnete, ist keine reale Person, sie ist eine Frau in seinem Kopf, er tilgt alle Makel, und macht sie damit zur perfekten Frau. Das ist sehr unfair gegenüber allen anderen Frauen, die keine Chance haben, mit ihr zu konkurrieren. Keine kann ihr jemals gleichen, weil sie nicht real ist ... Sie ist eine Idee.

SZ: Wie sehr vertrauen Sie als Regisseur den Bildern?

Wong Kar Wai: Für mich ist das sehr einfach, als wir 2000 "In the Mood for Love" machten, wollten wir einen Film über das Hongkong dieser Zeit drehen, weil sich die Stadt so rasend schnell verändert. Wir wollten alles konservieren, was uns an dieser Zeit gefällt, die kleinen Orte, die intimen Restaurants, aber auch die Art, wie sich die Menschen verhalten. So wurde dieser Film zu unserer Erinnerung ... und wenn wir den Film dreißig Jahre später wieder anschauen, wird alles noch genauso sein, wie es war .

SZ: Im Jahr 2046 wird es den 50. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China geben ...

Wong Kar Wai: Wir wollten diesem Film diese Zahl als Titel geben, weil sich mit ihr ein großes Versprechen verbindet. Wir wollten einen Film machen, der von Versprechen handelt, auf keinen Fall von Veränderungen. Wenn man einer Sache zu nahe ist, wenn man jeden Morgen neben jemandem aufwacht, nimmt man die Veränderungen nicht wahr - das tut man nur, wenn man jemanden wieder trifft, den man viele Jahre nicht gesehen hat. Es ist noch viel zu früh, um einen Film über die Übergabe zu machen, In zehn oder fünfzehn Jahren wird sich der Wandel viel offensichtlicher abzeichnen. Jetzt sieht man die Veränderungen, aber noch nicht, was sie bedeuten

SZ: Chow sagt über seinen Roman, er sei komplett erfunden - mit ein bisschen Wirklichkeit ...

Wong Kar Wai: Ich mache Filme, um etwas zu erleben, das nicht zu meinem realen Leben gehört. Man macht Martial-Arts-Filme, um sich einmal zu fühlen wie ein Held, man dreht in Argentinien, weil man da schon immer mal hin wollte ... Natürlich, wenn Chow mal nicht fähig ist, seine Geschichte weiterzuschreiben, das ist eine Erfahrung, die mir auch als Regisseur sehr vertraut ist, in diesem Moment fühle ich mich ihm sehr nahe.

SZ: Der musikalische Aspekt Ihrer Arbeit ist in "2046" besonders stark.

Wong Kar Wai: Und das wird zunehmend impressionistischer. Früher hatte jeder Film sehr klare Regeln, "In the Mood for Love" war wie ein Radioprogramm konstruiert. In "2046" gibt es keine Regeln, wir haben Musik aus den verschiedenen Zeiten, aber auch Musik aus Filmen von Truffaut oder Fassbinder, aus Opern - wenn die Musik für die Szene stimmte, haben wir sie benutzt. Die Filme von Fassbinder verkörpern zum Beispiel für mich die Stimmung einer Zeit, wie auch die Songs von Nat King Cole ... Sie erinnern an bestimmte Zeiten und die Erfahrungen, die sich damit für mich verbinden. Es geht weniger um einzelne Filme von Fassbinder, als vielmehr um das Gefühl, das sie auslösen.

SZ: Wie sind Sie auf Peer Raben als Mitarbeiter für die Musik gekommen?

Wong Kar Wai: Ich habe ihn vor vier Jahren auf dem Hamburger Filmfest getroffen, das Festival fragte mich, ob es jemanden gäbe, den ich gerne treffen würde ... Ich hatte gerade ein Buch über Fassbinder gelesen, und dabei erfahren, dass Peer Raben als Buchhalter angefangen hat. Seine Musik, die mir immer sehr gut gefallen hat, ist wie eine Signatur der Fassbinderfilme. Wir trafen uns zum Abendessen, ich erzählte ihm, dass ich einen Film über Shanghai in den dreißiger Jahren machen wollte, und die schöne Musik von "Lili Marleen" gehört hatte, und fragte, ob er so etwas für mich machen könnte. Er war zu müde und krank, um etwas Neues zu komponieren, arrangierte aber alte Stücke für mich neu, die ich dann in meinem Beitrag im Film-Triptychon "Eros" benutzt habe ...

SZ: Es gibt in "2045" neben Chris Doyle zwei weitere Kameramänner ...

Wong Kar Wai: Im Grunde sind sie einer, das ist ein Team. Der eine ist der Assistent von Chris Doyle, der andere ist der Regisseur des "Making of" - sie sprangen ein, wenn Chris Doyle wegen der sehr langen Drehzeit anderweitig beschäftigt war ...

SZ: Nach vielen sehr gegenwärtigen Filmen, und einem in den Sechzigern wagen Sie sich nun in die Zukunft ...

Wong Kar Wai: Für mich ist die Zukunft des Films keine Projektion, sondern die Vorstellung eines Mannes, der 1966 lebt. Der hat nicht "Matrix" gesehen, aber vielleicht "Barbarella", mit solchen Bezügen haben wir uns herangearbeitet. Wir haben uns stärker über die Figuren, nicht so sehr über die Technologie angenähert. Unsere Zukunft ist sehr nostalgisch. Die Arbeit mit den Computertechnikern war eine ganz neue Erfahrung. Wir arbeiten ja nie mit einem präzisen Script, und es gibt kein Storyboard - vieles ist sehr abstrakt. Für die Computerleute muss dagegen alles sehr präzise sein, darum mussten sie sehr viel rumprobieren - das braucht sehr viel Zeit, und wenn es dann nicht gefällt, kostet es sehr viel Geld. Ursprünglich sollte der Film etwa zur Hälfte in der Zukunft spielen, doch das haben wir immer weiter gekürzt, weil es zu teuer geworden wäre.

SZ: Wie sehen Sie das Verhältnis von Zufall und Kalkül in Ihrer Arbeit?

Wong Kar Wai: Wir produzieren unsere Filme selbst, arbeiten mit einem sehr kleinen Team, das einer Familie gleicht. Jeder hat viele Köpfe, ich bin Produzent Autor, Regisseur, manchmal auch das Sekretariat, der Cutter ist auch Productiondesigner und manchmal macht er noch die Untertitel. Das Budget ist begrenzt, wir müssen zugleich gut organisiert und sehr flexibel sein. Ich habe mir angewöhnt, nachts zu arbeiten, weil es da ruhiger ist, nicht so viele Leute rumstehen.

© SZ vom 10.01.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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