Im Kino: "Der Mann, der niemals lebte":Penetrationen

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Geheimdienst-Intrigen, Folter und Mord: Ridley Scott schickt Russell Crowe und Leonardo DiCaprio in den Anti-Terror-Kampf - heraus kommt eine Nahostkonflikt-Komödie.

Fritz Göttler

George Kaplan lässt grüßen in diesem Film, der erste große, der Ur-"Mann, der niemals lebte". Vor fast fünfzig Jahren wurde er kreiert, in Hitchcocks "North by Northwest", ein Dummy, ein frei erfundener Agent, der die Gegner verwirren und aus der Reserve locken sollte - und für den unglückseligerweise dann Cary Grant gehalten wurde. Seine Existenz verdankte sich allein den Spuren, die er hinterließ - zum Beispiel ein reserviertes Hotelzimmer, ein gebuchter Flug, ein Koffer mit Kleidung.

Hat Spaß am Agenten-Alltag: Leonardo DiCaprio als CIA-Mann Roger Ferris. (Foto: Foto: Warner)

Der grandiose Leo G. Carroll war damals für diesen windigen, aber hocheffizienten Coup verantwortlich, ein Muster an amerikanischer Spießigkeit, aber Russell Crowe ist ihm nun durchaus ebenbürtig, der in Ridley Scotts neuem Film Ähnliches anzettelt. Crowe spielt zum vierten Mal für Scott, den CIA-Mann Ed Hoffman, übergewichtig, chipsmümmelnd, garfieldhaft.

Er und sein Buddy Roger Ferris - verkörpert von Leo DiCaprio - richten ein unbedarftes, nichtsahnendes Unschuldslamm von Architekten in Dubai so her, als wäre er der Drahtzieher bei einem antiamerikanischen Terroranschlag - um dadurch einen al-Qaida-Scheich aus seinem Loch zu locken. Was lächerlich einfach ist im Zeitalter des Internet, der arme Kerl kriegt postwendend nach der Tat Massen von blödsinnigen Jubelmails.

Menschen als Vermögenswerte

Man darf "Der Mann, der niemals lebte" - Originaltitel: "Body of Lies" - also schon mal als Nahostkonfliktkomödie sehen, das unterscheidet ihn von den anderen Versuchen Hollywoods auf diesem weltpolitischen Terrain, von "Operation: Kingdom" oder "Syriana".

Eine grimmig schwarze Komödie, in der es um zynische Geheimdienstintrigen geht, um Erpressung und Folter und Mord. Um Menschen, die als "assets" behandelt werden, als Vermögenswerte, die man so lange pflegt, bis man sie braucht, mit denen man bedenkenlos operiert und handelt.

Natürlich ist Roger nicht wirklich Hoffmans Buddy - Hoffman sieht sich auch vor allem als Rogers "handler" und Coach. Er ist einer, dem am wohlsten ist, wenn keiner ihn wahrnehmen mag, dem seine eigene Präsenz suspekt scheint. Der Mann, der immer zweimal lebt. Er kommuniziert per Headset mit Roger, während er durch leere regnerische Parks strolcht, seine Einkäufe in den Familienwagen packt, die Tochter zum Spielen fährt.

Das Drehbuch ist, nach einem Thriller des Washington- Post-Manns David Ignatius, von William Monahan, der für DiCaprio bereits "The Departed" schrieb - auch das ein lustvoller Exzess in Manipulation per Mobiltelefon.

DiCaprio wird für die nächste Zeit wohl der große Infantile des amerikanischen Kinos bleiben. Er hat immer noch einen unförmigen Teenie-Körper, den er hier den schlimmsten Risiken aussetzt, von der Attacke tollwütiger Hunde bis zur härtesten Folter. Als Roger Ferris hat er einen letzten Rest von Idealismus und von Unschuld, in einem Business und in einer Politik, die diese Kategorien nicht mehr gebrauchen können. Und er hat seinen Spaß am Spiel, mit seinem dunklen Teint, dem Backenbart und seinen Sprachkenntnissen kann er gelegentlich auch als Einheimischer durchgehen.

Vergewaltigung durch Freundlichkeit

Inzwischen traut er auch Hoffmans Erzählungen nicht mehr, zumal eine andere Bezugs- und Vaterfigur im Spiel ist: Hani, der Chef des jordanischen Geheimdiensts. Mark Strong verleiht ihm eine unglaubliche Präsenz, hager, mit stechenden Augen und rauhsanfter Stimme, aufrecht und stets makellos gekleidet, in einer Aura von Glaubwürdigkeit. Er ist der edle Wilde in diesem schmutzigen Geschäft.

Hani führt Roger seine Kunst der Menschenführung vor, sein Glanzstück ist ein knallharter Fall von Vergewaltigung durch Freundlichkeit, durch Fürsorge. Ein Junge aus dem al-Qaida-Kreis wird umgedreht, seine Mutter in einem gediegenen sicheren Haus untergebracht, der Junge darf mit ihr telefonieren, das Glück und der Stolz, den er bei ihr spürt, nageln ihn fest. Die Szene dreht einem den Magen um, stärker als jede Bombenexplosion, jede Folterbrutalität.

Der Film liefert eine physische, eine körperliche Basis zur Ideologie des amerikanischen Kriegs gegen den Terror - auch in dieser Hinsicht ist "Body of Lies" Ridley Scotts "Kingdom of Heaven" näher als den anderen amerikanischen Nahost-Filmen.

"Penetration" sollte der Roman von David Ignatius ursprünglich heißen, das hätte die Psychopathologie der Spionagearbeit, ihr Corpus von Lügen, das sie aufbaut, auf den Punkt gebracht. In die politische Haltung, die die USA dem Rest der Welt gegenüber entwickelten, haben sich von Anfang an Potenzphantasien gemischt. Es ging nicht nur um Macht, sondern um Allmacht.

Zynismus als Weg zur Wahrheit

Man muss die Lust an der Infiltration in diesem Film ganz wörtlich nehmen, als Eindringen in einen fremden Körper. Wobei die Berührungsängste des Agentengeschäfts noch mal gedoppelt werden durch die des Orients im allgemeinen - in der Lovestory des Films gibt es die komische Variante dazu, da verliebt sich Leonardo DiCaprio in eine Krankenschwester in Amman, aber er darf mit ihr nur verkehren, wenn zur Aufsicht ihre Schwester dabei ist.

Auch Hani verkörpert die absolute Unberührbarkeit, Ungerührtheit, Unnahbarkeit. Er hat nur ein absolutes Gebot, verlangt nur eins von seinen Leuten - dass sie ihn niemals belügen. Aber auch mit dem Vertrauen muss gespielt werden in diesem Film. Ein sehr peinlicher und peinvoller Moment, wenn Roger plötzlich bei Hani eindringt, ihn unbedingt sprechen will, weil er nicht mehr weiter weiß - das gehört sich nicht, es ist Hani, der gewöhnlich die Leute kommen lässt.

Gehören wir dorthin, in die Nahostregion? Die Frage stellt der Film nicht, und auch die USA haben längst aufgehört, eine Antwort darauf zu suchen. Amerika ist sowieso voll präsent dort, schon durch die Unzahl der schweren schwarzen Limousinen und Humvees. Der Film ist sicher zynischer als die Klassiker der Politthriller, von Ambler bis Le Carré, aber Zynismus, sagt Ridley Scott, ist der Weg zur Wahrheit.

Body of Lies, USA 2008 - Regie: Ridley Scott. Buch: William Monahan. Nach dem Roman von David Ignatius. Kamera: Alexander Witt. Schnitt: Pietro Scalia. Mit: Leonardo DiCaprio, Russell Crowe, Mark Strong, Golshifteh Farahani, Oscar Isaac, Simon McBurney, Alon Aboutboul. Warner, 128 Minuten.

© SZ vom 20.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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