Im Kino: "Baader":Bewusst, wie ein Projektil

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Wie Christopher Roth den Mythos von "Baader" zerbröselt

RAINER GANSERA

Am schönsten ist dieser "Baader", wenn seine Bilder den Taumel und das Immer-Voran von frühen Godard-Filmen haben: Wenn Baader (Frank Giering) außer Atem gerät, weil er endlich vom kleinen popeligen Autodieb zur ganz großen Nummer in den Schlagzeilen werden will, ähnlich Belmondo in "A bout de souffle". Wenn die Baader-Meinhof-Gang noch aussieht wie der Party- Haufen der "Außenseiterbande", zwischen Aktionismus-Euphorie und trüber Langeweile. Wenn die Super-8-Kamera von Hand zu Hand geht und jeder sich in Pose setzt. Wenn Laura Tonke in der Rolle der Gudrun Ensslin tatsächlich in manchen Großaufnahmen so sphinxisch erscheint wie Anna Karina.

(Foto: SZ v. 17.10.2002)

Über weite Strecken sieht "Baader" wie ein trashiger TV-Krimi aus. Auch das bringt schöne und spannende Szenen hervor: Nachts auf einer Landstraße treffen sich Baader und BKA-Chef Kurt Krone. Das Treffen hat Christopher Roth erfunden, um deutlich zu machen, was die Wahrheit hinter der Wirklichkeit ist: Wie sehr die beiden, Terrorist und Terroristenbekämpfer, einander für die Aufrüstung ihrer Mannschaften und für die Kriegsrhetorik brauchen. Vadim Glowna, herrlich knorrig als Krone, atmet schwer, wie ein väterlicher Derrick gibt er Baader zu verstehen, dass er möglicherweise mit seinen Zielen sympathisieren könnte, aber niemals mit seinen Mitteln. Alles wisse sein Computer über ihn, dass er gern Mickymausheftchen liest und dass der Terrorismus sich selbst zerstören wird. Darauf Baader: "Was sagt der Computer zu einem Typ, der sich über Monate auf seinen Tod zubewegen kann, bewusst, wie ein Projektil?" Krone: "Der Computer ist nur bedingt romantisch veranlagt." Wie die Home-Movie-Version eines Italowestern (Baaders Lieblingsfilm war "Spiel mir das Lied vom Tod") sieht der große (sehr langatmig geratene) Showdown im Mietshausviertel aus, bei dem Baader im Kugelhagel der Polizei stirbt. Auch wieder eine erfundene Szene: Selbstmord und Hinrichtung, Desperado-Geste und Provokation der Märtyrerlegende.

In den ersten Minuten des Films fragt man sich immerfort: War es damals wirklich so, da stimmt doch was nicht ... Es ist wichtig, diese Frage schnell abzustellen und sich dem Film zu überlassen, als sei er ganz und gar erfunden, um dann zu entdecken, dass gerade die ausdrücklich fiktiven Passagen in erstaunlichem Maß der Wahrheitsfindung dienen. So erkennt man die Filme, die in den Köpfen der Figuren ablaufen und zur Selbststilisierung werden, so kann der 1964 geborene Christopher Roth sich die Historie aneignen.

Roth will das Faszinosum der Baader-Figur herausstellen. Zugleich lässt er durch Ironisierung und simple Zuspitzungen dieses Faszinosum auch gleich wieder zerbröseln. In einer Kneipe wird über Brandanschläge auf Kaufhäuser palavert: "Wir könnten das ohne Polemik ausdiskutieren!" Baader: "Nix ausdiskutieren - es muss auf die Fresse geben." Gudrun Ensslin steht am Tresen und lächelt ihn bewundernd an. "Du bist toll", sagt sie hernach zu ihm, und "Sei nicht so verklemmt", und dann spielen sie Bonnie und Clyde. Sie nennt ihn Baby. Er demütigt die anderen Frauen der Gruppe maßlos. Ein Macho- Widerling. In seinen Elogen auf Stärke und Härte ist er der gemeine Spießer, der seine Omnipotenzfantasmen austobt, der mit dem Vulgären und mit der Herrenmenschen-Attitüde kokettiert - da bleibt nichts vom romantischen Outlaw. Bei Frank Gierings Baader, dessen teigigen Konturen charisma-abstoßend sind, entsteht Faszination allein aus der Pose des skrupellosen Aktionisten. Wenn er dann als Terrorist auf Fahndungsplakaten prangt, wird er zur Public-Enemy-Nr.- 1-Ikone.

"Baader" zeigt Baader weder als Outlaw-Held noch als verirrten Idealisten noch als dämonisches Politmonster: Einer, der seinen Ego-Trip als revolutionäre Befreiungstat verkaufen möchte, und der unter anderen Konstellationen gerade so gut als Mafioso, Zuhälter oder Event-Künstler Schlagzeilen gemacht hätte. Der historische Zufall bringt ihn mit der 68er- Revolte zusammen, Bühne für seine Auftritte, und die Stationen der ersten RAF- Jahre bis zum Showdown 1972, die "Baader" erzählt, werden zum Nummerntheater. Auf der Flucht in Paris steckt man den Toaster auf dem Küchentisch in Brand. Aus Langeweile. Ulrike Meinhof (Birge Schade), die Randfigur bleibt, wird zum Drogenkonsum animiert. Erziehungsmaßnahme, Lockerungsübung. Sprüche werden geklopft: "Das Böse ist der Preis der Freiheit!" Mit Pudelmützenmasken geht man den nächsten Banküberfall an: "Wo is'n der Tresor?"

Baader, eine Figur, die sich nach mythischer Größe streckt und bei der Imitation von Kinovorbildern landet. Deshalb darf es auch kein Pathos geben. "Den Sprung von Ulrike Meinhof aus dem Fenster - bei der Gefangenenbefreiung im Institut für Sozialforschung - zur 'Geburtsstunde der RAF' zu erklären, das fand ich immer ein bisschen eigenartig", erzählt Christopher Roth, "das hat etwas wahnsinnig Pathetisches. Bei den Dreharbeiten haben wir mit Birge Schade, die Ulrike Meinhof spielt, besprochen, sie soll einfach so dreinschauen, als würde sie überlegen, ob sie schon Milch eingekauft hätte". Im Vergleich mit den anderen deutschen Terroristenfilmen der letzten Zeit bleibt "Baader" eigenwillig - entschieden in der Ablehnung psychologischer, soziologischer oder sonstiger Erklärungen. BAADER, D 2002 - Regie: Christopher Roth. Buch: Christopher Roth, Moritz von Uslar. Kamera: Bella Halben, Jutta Pohlmann. Mit: Frank Giering, Laura Tonke, Vadim Glowna, Birge Schade, Michael Sideris, Jana Pallaske. Prokino, 114 Minuten.

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