Im Interview: Valeria Bruni-Tedeschi:"Ich möchte nicht über meine Schwester reden"

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Der Schauspielerin Valeria Bruni-Tedeschi geht es weniger um Aufmerksamkeit als ihrer Schwester Carla Bruni. Sie spricht lieber über Selbstzweifel.

Maxi Leinkauf

Wir sind im Café de la Tour verabredet, eine betriebsame Brasserie nahe dem Eiffelturm. Valeria Bruni-Tedeschi wohnt gleich um die Ecke. Eine halbe Stunde nach dem verabredeten Termin ist sie da. Ungeschminkt, kaum frisiertes Haar, lässiger Trenchcoat und große Tasche. Ihr scheint es nicht darum zu gehen, aufzufallen, anders als ihrer Schwester Carla Bruni. Wir suchen einen ruhigen Tisch, sie bestellt Salat und schwarzen Tee. Anfangs meidet sie den Blick, im Laufe des Gesprächs beginnt sie sich zu öffnen.

sueddeutsche.de: Madame Bruni-Tedeschi ...

Valeria Bruni-Tedeschi: Verzeihen Sie, ich bin erkältet und etwas müde.

sueddeutsche.de: Das macht nichts ... Ihr neuer Film handelt von einer Schauspielerin. Sie driftet kurz vor ihrem 40. Geburtstag, als Single und kinderlos, durchs Leben. Geht es auch diesmal um Sie?

Bruni-Tedeschi: Natürlich habe ich beim Drehbuchschreiben an mich gedacht. Ihre Selbstzweifel und diese permanente Suche nach dem Sinn des Lebens trage ich tief in mir. Aber mein neuer Film ist weniger narzisstisch, als der erste. In "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr" wollte ich eine privilegierte soziale Klasse entzaubern: Die Welt der Bourgeoisie.

sueddeutsche.de: In der Sie großgeworden sind.

Bruni-Tedeschi: Ich habe mich lange dafür geschämt. Hinter dieser scheinbar luxuriösen Fassade lauerten Abgründe. Gegenseitige Verletzungen, Langeweile und Vorurteile. Ich spürte, ich war anders als andere Kinder. Und ich musste mich als Erwachsene mit meinen Wurzeln auseinandersetzen, auch mit meinem Bruder und meiner Schwester. Außerdem hat es mich allgemein interessiert, was es für ein Individuum bedeutet, zu dieser Schicht zu gehören.

sueddeutsche.de: Und was bedeutet es für Sie?

Bruni-Tedeschi: Es ist ein langer Prozess, bis man gelernt hat, dass man im Leben für sich und andere verantwortlich sein muss.

sueddeutsche.de: Nun erforschen Sie das Universum der Schauspieler. Warum?

Bruni-Tedeschi: Ich wollte wieder Klischees aufbrechen. Und diesmal die Kehrseite meines Metiers, der Schauspielerei, beleuchten. Ich beobachte die Frauen und Männer um mich herum wie in einem Labor und erkenne mich in ihnen wieder. Ich sehe eine Schauspielerin, einen Schmerz in ihr, kaschiert von dem Schein des irrtümlichen Glücks. Manchmal ist es nur eine Geste oder ein Blick, der in mir plötzlich eine große Melancholie auslöst. Dieses Metier birgt ein Risiko: die Einsamkeit.

sueddeutsche.de: Sie gehen es ein.

Bruni-Tedeschi: "Schauspieler" sein ist hart und brillant zugleich. Einerseits schenkt mir dieser Beruf unendliche Freuden und Seelenfreude. Andererseits raubt er mir unheimlich viel Kraft. Ich empfinde mich als reich, weil ich mich ausdrücken darf und in Kontakt mit herrlichen Texten trete. Wer Glück hat, steht im Rampenlicht, verdient Geld, wird bewundert. Was für eine Illusion! Irgendwann steht man plötzlich hilflos vor den leeren Wänden seiner Existenz.

sueddeutsche.de: Und dann?

Bruni-Tedeschi: Ich habe gespürt, es gibt etwas Spezielles an der Einsamkeit der Schauspielerinnen: Man wird in einem gewissen Moment von vielen Menschen geliebt. Nur nicht von einem. Ist das etwa beneidenswert?

sueddeutsche.de: Jeanne Moreau nannte die Einsamkeit "Meine Freundin".

Bruni-Tedeschi: Wie schön. Sie ist eine große Weise. Für mich ist Einsamkeit eine Bestrafung. Ich hasse es, allein zu sein. Das ertrage ich nicht. Ich möchte alles teilen, was ich erlebe. Die einfachen Dinge, wie beispielsweise das Abendessen: Alleine essen ist für mich der Inbegriff der Einsamkeit.

sueddeutsche.de: Sie erzählen gern von Menschen, die in einer Krise stecken. Was reizt Sie an ihnen?

Bruni-Tedeschi: Wovon sonst sollte ich erzählen? Im Augenblick der Krise, der Niederlage, sind wir Menschen am offensten und am schönsten. In solchen Momenten entschleiern wir uns, weil wir unseren Wunden und heimlichen Träumen sehr nahe kommen. Das ergreift mich: Wenn jemand an irgendeinem Punkt in seinem Leben anlangt und nicht recht weiß wohin. Wenn er droht, zu entgleisen.

sueddeutsche.de: Entgleisen. Wie ein Zug?

Bruni-Tedeschi: Ja, wie ein Zug. Nur im Französischen bedeutet entgleisen auch: ein bisschen verrückt werden. Die Frauen in meinen Filmen entgleisen. Sie haben verpasst, erwachsen zu werden. Es ist unglaublich hart, mit vierzig aus der Balance zu geraten, weil man sich von den Erwartungen seiner Eltern, der Umwelt oder von seinen Schwärmereien niemals gelöst hat.

sueddeutsche.de: Wann war Ihre letzte Krise?

Bruni-Tedeschi: Sie kommen und gehen ... Ich war lange Zeit in mir selber gefangen. Und mir fiel es wahnsinnig schwer, erwachsen zu werden. Das bedeutet, mich von meinen Eltern zu emanzipieren.

sueddeutsche.de: Sie entdeckten die Welt des Theaters.

Bruni-Tedeschi: Dort konnte ich mich neu erfinden, meine Marotten ausleben. Später fing ich an, selber Filme zu drehen. Und heute würde ich sagen, in meinem ersten Film habe ich versucht, mich von meinem Vater scheiden zu lassen. Und in meinem jetzigen trenne ich mich von meiner Mutter. Um es brutaler zu formulieren: Erst habe ich meinen Vater getötet und dann meine Mutter.

sueddeutsche.de: Warum muss man seine Eltern töten, um erwachsen zu werden?

Bruni-Tedeschi: Um frei zu werden von ihren Erwartungen. Um seine eigenen Maßstäbe zu finden und in der Lage zu sein, nach ihnen und nicht denen der anderen zu leben. Das bedeutet, sich unabhängig zu machen.

sueddeutsche.de: Half Ihnen dabei die Schauspielerei?

Bruni-Tedeschi: Schon, aber sie hindert auch, sich den Dingen des Lebens zu stellen. Wir empfinden extreme Höhen und Tiefen tausendmal auf der Bühne. Wir lieben, weinen, streiten, sind berauscht vor Leidenschaft, alles in der Fiktion: Als fände dort das wahre Leben statt. Vor der Realität flüchten wir, weil sie uns Angst macht. Wir rennen weg, vor komplizierten Beziehungen mit der Familie, vor der Liebe, vor Konflikten.

sueddeutsche.de: Sie sind in einer Künstlerfamilie großgeworden. Ihr Vater, Alberto Bruni Tedeschi, ein Turiner Großindustrieller hat nebenbei Opern komponiert. Ihre Mutter, Marisa Borini, war eine berühmte Konzertpianistin. Wann wussten Sie: Auch ich werde kreativ?

Bruni-Tedeschi: Meine Eltern haben mir ihre Kultur vermittelt. Sie haben mir den Geschmack der Musik, der Malerei und der bildenden Kunst geschenkt. Das war wirklich ein Geschenk fürs Leben. Schon als Kind fühlte ich, dass es möglich sei, meine Ängste einmal in der Arbeit auszudrücken. Und wenn ich spiele, ist meine Kindheit eine offene Tür, durch die ich hindurchgehe. Das tiefste Unglück, die älteste Liebe, die eigenartigsten Rollen und die größten Ängste kommen aus der Kindheit. Sie ist die Basis meiner Arbeit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Valeria Bruni-Tedeschi über ihre Mutter sagt.

sueddeutsche.de: Und als Regisseurin wechseln Sie auf die Erwachsenenseite?

Bruni-Tedeschi: Als Regisseurin genieße ich es, aus der Kindlichkeit einer Schauspielerin herauszutreten - und mein eigenes Lied anzustimmen. Ich fühle mich dann ein bisschen "mütterlich" und kümmere mich darum, dass sich die gesamte Truppe wohl fühlt.

sueddeutsche.de Ist es für eine Schauspielerin komplizierter, auch als Regisseurin respektiert zu werden?

Bruni-Tedeschi: Als ich meinen ersten Film machen wollte, dachten die Leute: Sie ist zu schwach, zu hysterisch, um eine Filmcrew zu dirigieren. Mittlerweile habe ich als Regisseurin überzeugt. Und ich habe hart an mir gearbeitet, zuerst als Schauspielerin, später als Drehbuchautorin und hinter der Kamera.

sueddeutsche.de: Verschwanden Ihre Selbstzweifel mit zunehmendem Erfolg?

Bruni-Tedeschi: Erst als ich François Ozon traf.

sueddeutsche.de: Den französischen Regisseur, der Sie in seinem Ehedrama "5 Mal 2" besetzt hat.

Bruni-Tedeschi: François hat mich befreit! Er sagte: "Valeria, ich biete dir diese Rolle an. Aber du musst schön sein. Das ist die Bedingung." Seine direkte Art hat mich verwirrt, aber sie hat mir gefallen. Schön sein heißt vor allem: sich erlauben, schön zu sein.

sueddeutsche.de: Das konnten Sie vorher nicht?

Bruni-Tedeschi: Ich war unsicher. Nicht nur wegen meiner sozialen Rolle, sondern auch in meiner Wirkung als Frau. Ich habe den Kopf gesenkt und mir verboten, verführerisch aufzutreten. Und ich wurde meist in Frauenrollen besetzt, die eine Tendenz hatten, sich als Opfer ihrer eigenen Neurosen zu fühlen. Verängstigte, frustrierte, blasse oder schüchterne Frauen. Andere Rollen traute ich mir auch nicht zu. François hat diesen Fluch von mir genommen. Er hat mich zur Frau gemacht.

sueddeutsche.de: Wie verwandelten Sie sich?

Bruni-Tedeschi: Plötzlich spürte ich Bedürfnisse, einen großen Appetit auf das Leben und auf das Glück. Ich lebte alles aus. Und ich stellte mir diese göttlichen Frauen aus den Filmen von François Truffaut vor ... Jeanne Moreau, Isabelle Adjani, Fanny Ardant. Sie sind für mich die schönsten Frauen der Welt. Sexy und trotzdem sehr "real". So wollte ich auch sein. Aber noch heute brauche ich manchmal jemanden, der mich dazu autorisiert. So funktioniere ich. Es ist meine Achillesverse.

sueddeutsche.de: Weil Sie einem "äußeren" Bild entsprechen wollen?

Bruni-Tedeschi: Nein. Mit irgendeinem "Image" hat das nichts zu tun. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich kenne viele Leute, die sehr sensibel darauf bedacht sind, wie sie wirken, welchen Eindruck sie hinterlassen. Aber ich lebe nur mit mir selbst, mit meinem Inneren und meinen individuellen Beziehungen. Ich weiß gar nicht was das heißen soll: Ein Bild abgeben.

sueddeutsche.de: Carla Bruni, Ihre Schwester und Frankreichs Première Dame, könnte es Ihnen bestimmt erklären ...

Bruni-Tedeschi: Ich möchte nicht über meine Schwester reden. Ich hoffe, das verstehen Sie.

sueddeutsche.de: Was finden Sie an einem Menschen schön?

Bruni-Tedeschi: Eine Intelligenz in den Augen ... und eine Freundlichkeit. Das kann mich verführen. Und der Humor, der häufig ein Teil der Intelligenz ist oder aus ihr entsteht. Es sind diese Qualitäten des Kopfes, der Seele und des Charakters, die sich in einem Blick zeigen. In den Augen sieht man alles.

sueddeutsche.de: Reden wir ein bisschen über Ihre Mutter ..., die nun wiederholt auch im Film ihre Mutter darstellt. Wie ist es, mit ihr zu arbeiten?

Bruni-Tedeschi: Wunderbar und leicht. Als langjährige Konzertpianistin hat sie ein großes Erinnerungsvermögen, Konzentration, Ausdruck, Präzision und Geduld. Genau diese Eigenschaften machen sie auch zu einer großen Schauspielerin. Nur eine ohne bestimmten Tick oder schlechte Gewohnheiten. Sie spielt so jungfräulich, als sei sie zwanzig. Dabei ist sie mittlerweile 78.

Lesen Sie auf Seite 3, wie Valeria Bruni-Tedeschi mit Neurosen umgeht.

sueddeutsche.de: Hat Sie Ihnen etwas beigebracht?

Bruni-Tedeschi: Sie zeigte mir, dass man auch im Alter noch etwas ganz Neues anfangen kann. Im Film verliebt sie sich in ihren jungen Englischlehrer. Sich mit siebzig Jahren neu zu verlieben - das ist eine Krise! Aber nicht für sie, ich traue ihr das auch in Wirklichkeit zu. Sie machte mir klar, dass "Alter" an sich gar nichts bedeutet. Damit hat sie mir das Grauen vor dem Älterwerden ein wenig genommen.

sueddeutsche.de: Sie sind Italienerin. Ist Ihr Humor ein anderer als der Französische?

Bruni-Tedeschi: Ich vermisse in Frankreich die italienische Kultur der Selbstironie. Die Franzosen sind "ernsthafter". Oder besser gesagt: Sie nehmen sich viel ernster. Ich mag Regisseure wie Fellini oder Woody Allen, die es schaffen, den dramatischen Wendungen des Lebens etwas leichtes und komisches abzugewinnen.

sueddeutsche.de: Hat Humor auch etwas mit "Kind bleiben" zu tun?

Bruni-Tedeschi: Für mich ist Humor ein Überlebensinstinkt. Er ist Konsolidierung, ein Retter, der Gegenpol der Tragik. Lächeln ist wie eine Therapie. Es erlaubt einem, sein Leid zu vermindern. Ohne das Lachen nimmt das Ernste, der Schmerz, der Tod den gesamten Raum in einem Leben ein. Humor lässt vergessen, wenn auch nur für den Augenblick. Und das entfesselte Lachen? Es ist erotisch, sehr physisch und sehr kindlich. Aber im wahren Leben bin ich weniger humorvoll, als in meinen Filmen.

sueddeutsche.de: Sondern wehmütig?

Bruni-Tedeschi: Ich bin gerne sentimental. Aber ich möchte nicht ständig nur um mich selbst kreisen. Filme drehen ist ein guter Mittelweg, sich mit seinen eigenen Neurosen zu beschäftigen und sie abzuschütteln, weil man produktiv wird. Es ist ein Weg, als Mensch sinnvoll zu sein.

sueddeutsche.de: Ihren neuen Film widmeten Sie Ihrem Bruder Virginio, der vor zwei Jahren an Krebs starb. Hat sich dadurch Ihr Blick aufs Leben verändert?

Bruni-Tedeschi: Ich weiß, dass man auf einmal alles verlieren kann. Und vor allem die Menschen die man liebt. Auch mein Vater ist tot. Und ich merke, dass er nie ganz verschwindet ... womöglich wäre er stolz auf meine Filme. Ich habe erfahren, dass jeder Zustand provisorisch und zerbrechlich ist, voller Schmerz und Getöse. Ich bin mir in jedem Augenblick bewusst, dass ich dieser andere sein kann, der plötzlich krank wird. Das einzige, was man auf dieser Erde tun sollte ist sich gegenseitig helfen.

sueddeutsche.de: Klingt ein bisschen nach Mutter Theresa.

Bruni-Tedeschi: In unserer egozentrischen Gesellschaft wollen die Menschen blind alles sofort. Aber ich liebe die Idee des Verzichts. Ich weiß, das ist sehr katholisch. Wegen meiner italienischen Wurzeln ist es für mich wie ein Reflex: Wenn man ein Problem hat, betet man zur Jungfrau Maria und bittet um Hilfe. So bin ich geprägt.

sueddeutsche.de: Verzicht?

Bruni-Tedeschi: Um etwas zu bekommen, muss man etwas anderes lassen. Denken Sie an die Geschichten der Opern oder der griechischen Tragödien, sie sind dramaturgisch spannend: Sie beginnen immer mit einem Helden, der einen Wunsch hat und schwört: Wenn ich auf dies oder jenes verzichte, geht mein Wunsch in Erfüllung. Meist kriegt der Held dann, was er sich wünschte, aber plötzlich will er sein Versprechen nicht mehr halten. Ach ich merke, ich fange wieder an zu grübeln ...

sueddeutsche.de: Ist Grübeln schlimm?

Bruni-Tedeschi: Es ist mein Weg, lebendig zu bleiben. An irgendetwas zu zweifeln, heißt ja nicht gleich, dass man total depressiv wird. Aber ich will mich nicht ausruhen. Ich verachte den Zustand der Bequemlichkeit, weil sie einen erstarren lässt. Das Mitgefühl für andere schwindet. Deswegen mag ich keine zufriedenen Menschen. Die "Zufriedenen" gefallen nur sich selbst. Für mich ist das der Geist der Bourgeoisie, den ich, wie schon erwähnt, verabscheue.

sueddeutsche.de Wie ist Ihr momentaner Zustand: neben der Spur oder in der Spur?

Bruni-Tedeschi: Ich wäre gern besänftigt. Aber die Weisheit und den inneren Frieden finde ich nicht in dem Metier, in dem ich arbeite. Nicht in der Welt des Kinos und ihren Zwängen. Sondern anderswo. Ich suche noch den Ort.

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