Im Interview: Steven Spielberg:"Neben Harrison fühle ich mich wie der Schwächling"

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Star-Regisseur Steven Spielberg erklärt, was am wichtigsten ist im Kino und was eher unnötig.

Patrick Roth

Neunzehn Jahre des Wartens, des Abwartens sind vorbei. Die Nostalgiearbeit kann beginnen - auch für Steven Spielberg und für George Lucas, mit dem ihn seit Jahrzehnten eine wunderbare Freundschaft verbindet und eine höchst erfolgreiche Geschäftsbeziehung.

SZ: Auf zig Websites wird die Rückkehr Harrison Fords als Indiana Jones gefeiert. Reizvoller noch finde ich, dass Sie Indy in diesem vierten Film wieder mit Marion Ravenwood vereinen. Karen Allen hatte den beiden anderen Filmen mächtig gefehlt.

Steven Spielberg: Daran hatte George (Lucas) Schuld. Als er das Konzept der Serie entwarf - zunächst waren ja nur drei Filme vorgesehen -, wollte er mit jeder Folge eine neue Partnerin für Indiana Jones ins Spiel bringen. Dabei war Marion - so habe ich's jedenfalls immer gesehen - Indys große Liebe gewesen. Frank Darabont hatte dann die Idee, Karen Allen für Indy IV zurückzuholen. Wir haben Franks Drehbuch nicht benutzt - mir und Harrison gefiel es ausgezeichnet, George hatte Einwände -, an seinem genialen Einfall aber festgehalten.

SZ: Schon rein erzählerisch war's klug, Marion Ravenwood wieder einzubeziehen.

Spielberg: Der Zuschauer begrüßt sie wie eine lang vermisste Verwandte. Wenn er Karen Allen sieht, ruft das vertraute Gefühle wach. Ich meine: die ersten Kinoerfahrungen, die das Publikum mit den Filmen gemacht hatte.

SZ: Jetzt argumentieren Sie wie Hitchcock, der sein Publikum immer im Griff haben musste ...

Spielberg: Nein, ich rede von einer Erfahrung, die ich selber gemacht habe. Ich habe Karen Allen damals in New York besucht, um ihr die Rolle anzutragen, war mir nicht sicher, ob sie akzeptieren würde. Sie hatte in den letzten Jahren nur ab und zu kleinere Rollen angenommen - auf der Bühne, im Fernsehen -, konzentrierte sich hauptsächlich auf ihr Geschäft: Sie entwirft Kleider für ihr eigenes Label. Ich blieb, bis sie einverstanden war. Vier Monate später kam sie nach Los Angeles. An diesem Tag war nur eine kleine Crew da, vielleicht zwanzig Leute, um Filmtests für Garderobe und Make-up zu machen. Jeder in der Crew war mit der Serie aufgewachsen. Schließlich erschien Karen. Sie kam quer durch die Studiohalle auf uns zu, mit ihrer Marion-Ravenwood-Frisur, im vertrauten Kostüm. Und genau in diesem Moment - es war Zufall, nicht verabredet - kommt aus der anderen Richtung Harrison in die Halle. Auch er in vollem Kostüm. Sie sehen einander und zögern - noch in einigem Abstand -, als trauten sie sekundenlang ihren Augen nicht. Dann gingen sie aufeinander zu und umarmten sich. Ich habe verschämt in die Runde geblickt, hatte Tränen in den Augen. Aber der Crew ging's nicht anders. Manche weinten einfach drauf los.

SZ: Und warum haben Sie die Fans so lange auf diesen Moment warten lassen?

Spielberg: Harrison hat das alles vor fast fünfzehn Jahren angezettelt. Bei den Oscar-Feierlichkeiten 1994 überreichte er mir den Oscar für "Schindlers Liste". Sobald wir hinter der Bühne verschwunden waren, hieß es: "Wann drehen wir den nächsten Indiana Jones? I'm ready!" - "Da musst du George fragen", hab ich gesagt. Eine Woche später ruft George an: Harrison habe ihn angerufen. "Der meint es ernst." Jahrelang haben wir an verschiedenen Drehbuchentwürfen laboriert. Wir stritten uns über diesen und jenen Aspekt der Scripts. Aber das sind George und ich so gewohnt. Wir kennen uns seit 1967, dieses Hin und Her ist immer produktiv. Ich wäre, muss ich Ihnen gestehen, zufrieden gewesen, es bei der Trilogie zu belassen. Aber dann kam David Koepp mit seiner Fassung - die jeden von uns überzeugte. Koepp hatte nachgerechnet und die neue Handlung ins Jahr 1957 verlegt. Das entspricht in etwa auch Harrisons Alter - ein paar Jahre haben wir ihm "für gutes Benehmen" abgezogen. Im Film sieht er aus, als sei kein Jahr zwischen dem "Last Crusade" und dem neuen vergangen. Harrison ist ein Athlet, in Top-Form. Wenn ich neben ihm stehe, fühle ich mich wie der Schwächling, dem der Muskelprotz in den alten Charles-Atlas-Anzeigen Sand ins Gesicht kickt.

SZ: Um noch einmal auf die Zusammenarbeit mit George Lucas zurückzukommen - was genau trägt er bei?

Spielberg: Die ganze Serie ist sein "Baby". Er arbeitet vor allem sehr genau an der Story, und da hat er auch die besten Karten bei mir. Sobald dann gefilmt wird, zieht sich George diskret zurück. In den 80 Drehtagen hat er uns diesmal nur sechs- oder siebenmal besucht. Das ist nicht viel. Er überlässt mir die Zügel beim Drehen und beim Schnitt. Er hat bei mir allerdings das Privileg, nach der ersten Schnittfassung praktisch eingreifen und seine Vorschläge auch demonstrieren zu können. George kommt dann und verbringt ein paar Tage mit meinem Cutter im Schneideraum. Er strafft einige Sequenzen oder stellt etwas um, bastelt hier und da auch an Neuem. Was mir nicht gefällt, nehme ich wieder raus - und danke ihm für den Rest. Das ist unsere Übereinkunft. Er hat sich nie darüber beklagt. Ein Produzent, wie man ihn sich besser nicht wünschen könnte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie Steven Spielberg den Zauber der Indiana-Jones Saga im "Königreich des Kristallschädels" wiederbelebt.

SZ: Es gab bis zuletzt kein Screening für die Presse, niemand - selbst die Agenten nicht - hat je ein Drehbuch gesehen. Warum treiben Spielberg und Lucas einen solchen Aufwand, ihre Story geheimzuhalten?

Der neue: Indiana Jones (rechts, Harrison Ford), Mutt Williams (Mitte, Shia LaBeouf) und George Michale (links, Ray Winestone) in einer Szene aus "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels". (Foto: Foto: dpa)

Spielberg: Weil es beim Film immer - immer! - um dieses altmodischste aller Elemente geht: die Story. Egal, wie sich Hollywood in Zukunft verändert, egal, was man an digitaler Technik noch hinzuerfinden wird: Entertainment wird immer aus unwiderstehlichen, fesselnden Geschichten bestehen. Worin besteht der Plot? Wie konzipierst du deine Protagonisten? Und wie endet das Ganze? Kann ich den Film meinen Kindern zeigen? Verstehen Sie, an diesen Fragen wird sich nichts ändern. Nicht Hollywood wird uns ändern, sondern - wir verändern Hollywood. Am Primat der Story wird man nicht rütteln. Und eben deshalb - weil sie das wichtigste Element darstellt - muss ich sie schützen. Die größte Unterstützung dabei bekomme ich von den Fans selbst. Die wollen vorher keine Details aus dem Plot wissen. Die wollen sich überraschen lassen, wollen die "experience" - den Film als Event, als "leibhaftige" Erfahrung. Vor einiger Zeit verschwanden 4000 Dias aus unserem Produktionsbüro. Der Dieb kontaktierte eine Website, die dafür bekannt war, unsere Geheimnisse auszuplaudern. Aber die Leute dort liebten die Indiana-Jones-Serie so sehr, dass sie Paramount verständigten und das FBI eingeschaltet wurde. Man hat den Mann, der die Dias verkaufen wollte, verhaftet. Der sitzt jetzt erst mal ein paar Jahre im Knast. Vielleicht wäre ich versöhnlicher gewesen. George Lucas aber macht keine Gefangenen.

SZ: Ich höre, es war Ihnen wichtig, dass dieser vierte Film den drei anderen stilistisch aufs Haar gleicht.

Spielberg: Unbedingt. Ich wollte keine Neuerungen. Für Harrison hieß das: Wir helfen bei den Stunts nicht per CGI mit dem Computer nach, sondern bewältigen das auf die altmodische Tour. Für Janusz Kaminski - seit "Schindlers Liste" habe ich mit keinem anderen Kameramann gearbeitet - hieß das: völlig umdenken. Der gute alte Dougie Slocombe hatte einen Stil für die ersten drei Filme erfunden, der sich am Licht der B-Movie-Serien aus den dreißiger und vierziger Jahren orientierte. Dort war ja alles ziemlich satt ausgeleuchtet. Drei Tage hintereinander habe ich Janusz die Filme auf großer Leinwand gezeigt. Ich fürchtete, dass er sich weigern würde, Dougies Stil zu kopieren. Aber Janusz betrachtete das als Herausforderung. Auf unserem Set sah's aus wie seit vierzig Jahren nicht mehr: Wir haben mit großen Arc-lights ausgeleuchtet, hier vier fürs Key Light, dort weitere fürs Fill Light. Das ganze war viel kostspieliger als eine moderne lighting package - denn solche Lampen verwendet ja niemand mehr. Sie werden, was den Look angeht, keinerlei Unterschiede zu den ersten drei Filmen bemerken. Genau das wollte ich: den Zauber jener Filme aus den Achtzigern einfangen.

SZ: Worauf achten Sie zum Beispiel beim Schnitt?

Spielberg: Man entwirft für jeden Film - für jedes Sujet - ein neues Konzept. Bei Indiana Jones achte ich immer darauf, nicht mitten im Wort oder mitten in einer Bewegung zu schneiden. Ich habe es lieber, wenn die Bewegung zu Ende geführt wird. Ziehe es vor, am Ende des Satzes einen Punkt zu setzen - bevor ich schneide. "Munich" und "Schindlers Liste", "Amistad" oder "A.I." wurden natürlich jeweils anders geschnitten. Wenn du eine Komödie drehst, wirst du mit Schnitten sparen. Mit Schnitten vertreibst du die Lacher. Sieh dir Chaplin oder Keaton an - wie sparsam die mit Schnitten verfuhren. Völlig falsch wär's zum Beispiel gewesen, sich für Indiana Jones an dem bei Action-Regisseuren derzeit im Trend stehenden Schnittstil zu orientieren. An einem Film wie - sagen wir - "The Bourne Ultimatum".

Mein Stil als Filmemacher zielt einzig darauf ab, dich mit Haut und Haar in den Film reinzuziehen, dich zu "involvieren". Und wie mache ich das? Eben nicht, indem ich dein konzentriertes Betrachten durch lichtschnelle Schnitte in tausend Fetzen zerreiße, dich mit einem Tonvolumen bombardiere, dass du vor lauter Sound überhaupt nichts mehr siehst. Sondern indem ich dich in den Shot einbeziehe - mit dir rechne, dich mit hineinnehme, so dass du dich umsehen und sagen kannst: "Hey, ich weiß, wo ich bin." Der Zuschauer darf nie orientierungslos bleiben - sonst geht er mir und der Story verloren.

SZ: Hier läge also etwas, das Sie an aktuellen Filmen bemängeln?

Spielberg: Heutzutage, meine ich, wird der Zuschauer zu oft ausgeschlossen. Es geht alles zu schnell, bewegt sich zu schnell. Und du musst es dann mehrere Male sehen - musst abwarten, bis der Film auf DVD erscheint, um zu kapieren, was sie sagen. Man wird vom Stil dieser Action-Filme an den Rand des Ereignisses gepuscht. Der Zuschauer kommt nicht mehr "rein". Er erfährt nicht mehr, sondern wird überfahren.

© SZ vom 21.05.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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