Im Interview: Frédéric Beigbeder:"Ich werde hübsch gehasst"

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Der Autor spricht über das Ende des Kapitalismus - und warum seit Veröffentlichung seines Romans über den Konsumterror der Werbewelt alles noch schlimmer wurde.

S. Vahabzadeh und F. Göttler

Frédéric Beigbeders "39,90" gehört zu den erfolgreichsten französischen Romanen der vergangenen Jahre. Jan Kounen hat die Abenteuer des dekadent frustrierten Octave in der Werbebranche nun verfilmt, am Donnerstag startet "39,90" in den deutschen Kinos.

Kritisiert die Macht der Marken: Frédéric Beigbeders. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Gibt es ein französisches Wort für "Workaholic"?

Beigbeder: Man würde vielleicht fou de travail sagen. Warum fragen Sie, glauben Sie, das ist eine Krankheit, an der ich leide?

SZ: Man könnte den Eindruck haben. Sie sind 42 Jahre alt und haben sieben Romane geschrieben, die meiste Zeit hatten Sie noch einen Nebenjob als Lektor, Sie arbeiten immer noch als Literaturkritiker, Sie haben eine Fernsehsendung.

Beigbeder: Ah! Aber ganz viele Sachen machen doch immer die Leute, die eigentlich faul sind - um nichts richtig machen zu müssen. Das ist eine Flucht, ein bisschen Fernsehen, ein bisschen Kino, die Magazine. So vermeidet man die eigentliche Arbeit. Das ist witzig, es gibt einen Satz von Jean Cocteau - kennt man den in Deutschland noch? -, der auf die Frage, warum er Romane und Theater und Kino und Zeichnungen macht, sagte: "Ich suche einen frischen Platz auf meinen Kopfkissen." Aber ich bin auch gern vielseitig, das hilft einem, mehr als einen Blick zu haben. Ich bin der offizielle Literaturkritiker des Playboy in Frankreich - und habe auch Visitenkarten, wo das draufsteht. Damit hat man viel Erfolg in der Disco.

SZ: Mal im Ernst: Warum schreiben Sie noch Kritiken?

Beigbeder: Ich finde, wenn man so stolz vorgibt, Schriftsteller zu sein, muss man viel lesen, die lebenden Kollegen und die verstorbenen. Ich finde es normal, wenn ein Schriftsteller auch Leser seiner Zeitgenossen, seiner Mitstreiter ist und sich, positiv oder negativ, zu ihrem Werk äußert - und schon ist man Kritiker.

SZ: Den meisten Leuten fällt es schwer, sich über ihre Kollegen zu äußern, vor allem, wenn es negativ ist.

Beigbeder: Ich werde in meiner Heimat auch ganz hübsch gehasst. Nicht nur wegen der Artikel, wenn man erfolgreich ist, erzeugt das Eifersucht. "39,90" war in Frankreich ein großer Erfolg - und hat auch für Ärger gesorgt. Und ich bin gerne boshaft in meinen Texten. Das ist einfacher, und die Leser lieben Verrisse.

SZ: Ist das wirklich einfacher?

Beigbeder: Ach, Sie haben eine deutsche Seele, rein und romantisch! Um Lust aufs Lesen zu machen, braucht man mehr Talent. Und ich glaube, das ist eine französische Eigenart: Wir lieben es zu kritisieren. Wenn in einem Film fünf schöne Minuten sind, werden wir auf den 95 Minuten bestehen, die uns geärgert haben.

SZ: Waren Sie erfreut oder entgeistert, als Sie hörten, das Jan Kounen - der mit "Blueberry" an der Kasse ziemlich auf die Nase gefallen ist - "39,90" verfilmt?

Beigbeder: Ich war begeistert, obwohl ich ihn nicht kannte. Ich kannte seinen "Dobermann", und er hatte vorher viel Werbung gemacht. Ich ja auch, davon handelt das Buch, und dass auch der Regisseur dieses Milieu gut kennen würde, hat mir gefallen. Und mir gefällt sein Stil, er hat eine - sagen wir: visuelle Modernität. Außerdem hatte er schon vorher Literatur adaptiert, "Dobermann" ist ein Roman und "Blueberry" ein Comic. Man muss sein Buch loslassen können als Autor. Ich habe ihm vertraut. Wir haben viel geredet; aber er hatte eine eigene Meinung. Ich finde, ich habe Glück gehabt - denn es ist nicht mein Film geworden, sondern ein sehr persönlicher von Jan Kounen. Ein eigenständiges Kunstwerk, aber mein Roman existiert ja trotzdem weiter. Das Kino und die Literatur sprechen unterschiedliche Sprachen. Sie sind Gegensätze, würde ich sagen. Das Buch muss der Leser im Idealfall in seinem Kopf erfinden, den Film nicht.

SZ: Haben Sie mal in Betracht gezogen, selbst Regie zu führen?

Beigbeder: Mir wurde angeboten, "39,90" selbst zu verfilmen. Aber ich bin lieber für mich. Einen Film machen, das heißt: Zwei Jahre lang früh aufstehen. Das kann ich mir nicht mal vorstellen.

SZ: Cocteau konnte das.

Beigbeder: Ah, der ist eine Ausnahme! Cocteau hat das Kino erfunden! Schriftsteller sind selten gute Cineasten. Es gibt sonst nur noch Sacha Guitry und Marcel Pagnol. Und natürlich Fassbinder. Aber es ist merkwürdig, dass es so selten funktioniert. Mein Freund Michel Houellebecq hat gerade einen Film gemacht - und dabei seinen Sinn für Humor verloren. Dabei ist er sonst wirklich sehr komisch. Der Film ist todernst und besessen von seinen Bildern. Vielleicht ist es wirklich so wie eine fremde Sprache, in der man sich schlechter ausdrücken kann. Würde ich einen Film machen, wäre er wahrscheinlich todlangweilig und traurig. Entschuldigen Sie, wenn ich die Rollen etwas vertausche, aber wie hat Ihnen der Film von Kounen denn gefallen? Ist der für Deutsche nicht zu bizarr?

SZ: Bizarr ist er schon! Aber die Hassliebe zu seiner Hauptfigur Octave ist sehr schön, Abneigung und sehr ehrliche Faszination.

Beigbeder: Das gefällt mir an Octave auch - er ist wie ein Pendel zwischen Luxus, Prostitution, Drogen, Partys - und auf der anderen Seite fühlt er sich schuldig, fühlt sich als Opfer und verantwortlich für alles Elend der Welt.

SZ: Große Filme erzählen von Menschen, die sich für ihr Glück schämen.

Beigbeder: "Citizen Kane" beispielsweise ist genau das. Grandeur und Dekadenz. Ich wollte jetzt aber nicht Jan Kounen mit Orson Welles vergleichen! Schluss damit.

SZ: Eigentlich sind Sie auch Filmkritiker, Sie haben eine Kino-Sendung im französischen Fernsehen, "Le Cercle".

Beigbeder: Ja, ich lade Gäste ein und wir streiten uns. Und wenn einer zu deprimiert wirkt, wird er ersetzt. Ich glaube, wir haben dem Film "Das Leben der Anderen" in Frankreich ziemlich geholfen. Wir reden über alles: koreanische, iranische Filme. Und das im Privatfernsehen. Ich weiß gar nicht, ob ich nächstes Jahr noch auf Sendung sein werde, aber es kann sein, dass ich zehn Jahre damit weitermachen kann, solange keiner im Sender es bemerkt.

SZ: Das ist ja wie bei Kafka, im "Prozess". Sie sind ein ziemlicher Kino-Liebhaber, oder?

Beigbeder: Natürlich, ich bin in einer Welt aus Bildern aufgewachsen. Die Kultur meiner Generation ist von Kino erfüllt. Ich habe als Kind in Paris über einem Kino gewohnt, so ein kleines altes, in dem Filme von den Marx Brothers liefen, von Lubitsch und Wilder. Die habe ich dort gesehen, meine Mutter hat mich immer mit runtergenommen, ich bin also merkwürdigerweise vom Kino der Vierziger geprägt. Sie hat die Liebe dafür an mich weitergegeben. Ich stehe immer noch auf die Geschwindigkeit der Dialoge. "Das Appartement" gehört zu meinen Favoriten. Ein sehr pessimistischer Film. Ich mag Figuren, die den Glauben an die Liebe verloren haben. An sich ein harter Film. Und ich finde, dass die Welt heute so ist: Sie verspricht Vergnügen, aber das Glück ist eine andere Sache. Vergnügen kann traurig machen.

SZ: Ist die Werbebranche heute schlimmer als zu der Zeit, als Sie sie verlassen haben?

Beigbeder: Das war nur der Anfang, "39,90" wurde von der Wirklichkeit längst überholt. Das ist alles viel schlimmer geworden, die Ungerechtigkeiten, die Macht der Wirtschaft und der Umgang damit, Konzerne, die mehr wert sind als ein ganzes Land, persönliche Vermögen wie das von Bill Gates, der ungefähr das Bruttosozialprodukt von Belgien verdient. Ich persönlich finde das ganz spannend - die Apokalypse hat ja etwas Schönes. Ich kann den kollektiven Suizid der kapitalistischen Welt beschreiben. Damit kann man ja eine ganze Schriftstellerkarriere zubringen. Don DeLillos letztes Buch zeigt die Schönheit der Ruinen, die Fragilität des verschwindenden Kapitalismus...Ruinen zu beschreiben hat Tradition in der deutschen Literatur, Grass' "Krebsgang" beispielsweise. Man darf vor apokalyptischen Themen keine Angst haben. Als ich "Windows on the World", mein Buch über den 11. September, geschrieben habe, wollte ich etwas weniger Witziges schreiben als "39,90". Es ist schön, die Leute zum Lachen zu bringen, aber es ist nicht alles. In meinem neuen Buch, "Au secours pardon", das noch nicht übersetzt ist, geht Octave nach Moskau und wird Terrorist.

SZ: Sehen Sie Terrorismus als eine Form des gesellschaftlichen Engagements?

Beigbeder: Wenn einem der Mut für Terrorismus fehlt, schreibt man Romane. Das ist eine Form des Ungehorsams, die für einen selbst und andere wesentlich ungefährlicher ist.

SZ: Glauben Sie an die Revolution?

Beigbeder: Wäre das nicht lächerlich? Ich finde, das 20. Jahrhundert hat diese Art von Träumen zerstört, sie in Albträume verwandelt. Ich würde wohl Wechsel dem Stillstand vorziehen. So wie jetzt geht es nicht weiter. Wir brauchen eine neue Utopie.

SZ: Erfinden Sie doch eine.

Beigbeder: Ich habe ja in "Windows on the World" schon die Weltregierung vorgeschlagen. Das ist die einzige Lösung, die mir einfällt. Alle wirklich wichtigen Probleme betreffen nicht Deutschland oder Frankreich, sondern die Welt.

SZ: Wir kriegen ja noch nicht mal eine europäische Verfassung durch.

Beigbeder: Wir haben Europa nicht geschafft, versuchen wir's mit der Welt! Wir müssen es halt ohne die Iren machen.

© SZ vom 29.07.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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