Im Interview: Angelina Jolie:"Ich glaube, Sie kapieren das sowieso nicht"

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Ein harmloser Beginn: Geplänkel, Höflichkeiten, nette Warmwerd-Fragen und routinierte Poser-Antworten. Und dann: eine flapsige Bemerkung des Reporters. Miss Jolie is not amused. Es kommt fast zum Eklat, das Interview wird für beendet erklärt. Worum es ging? Um die tiefere Bedeutung von Jolies Tattoos. Natürlich.

Oliver Fuchs

Angelina Jolie, 29, ist eine der interessantesten und eigenwilligsten Schauspielerinnen Hollywoods. Die Tochter des Oscar-Preisträgers Jon Voight erregte Aufsehen mit ihrer Darstellung einer rebellischen Psychiatrie-Patientin in "Durchgeknallt" - für diese Rolle bekam sie selber einen Oscar. Dann war sie als scharf schießende, kickboxende Kriegerin in der Videospiel-Verfilmung "Tomb Raider" zu sehen. Jolie ist die Adoptivmutter eines kambodschanischen Waisenkindes und engagiert sich als UN-Botschafterin in der Flüchtlingshilfe. Demnächst startet Oliver Stones Film über Alexander den Großen, in dem Jolie die Mutter des Helden spielt.

Kiss her Bye Bye und frage nie wieder nach der Bedeutung offener Fenster....! (Foto: Foto: dpa)

SZaW: Frau Jolie, ich habe gerade Ihren neuen Film "Alexander" gesehen und ...

Angelina Jolie: Fühlen Sie sich nicht gut?

SZaW: Doch. Wieso?

Jolie: Weil Sie soweit weg sitzen.

SZaW: Finden Sie?

Jolie: Allerdings.

SZaW: Ich könnte ja ein Stück...

Jolie: Setzen Sie sich neben mich, ich werd' Sie schon nicht auffressen!

SZaW: Was ich sagen wollte: "Alexander" ist wieder so ein Film, der ausschließlich wegen Ihnen in Erinnerung bleibt.

Jolie: Ja?

SZaW: Genau genommen, bleiben nur Sie in Erinnerung - der Film eher nicht so. Sie spielen die anderen Schauspieler an die Wand, und auch die vielen Pferde und Elefanten, sämtliche Spezialeffekte und die donnernde Musik.

Jolie: Süß von Ihnen.

SZaW: Wenn Sie mich nach irgendwelchen Einzelheiten aus den Szenen mit Colin Farrell fragen würden - da müsste ich passen. Sie sind viel präsenter, obwohl Sie nur eine kleine Rolle spielen, Olympia, die Mutter von Alexander dem Großen. Colin Farrell ist Alexander der Große. Eigentlich ist es also sein Film.

Jolie: Jetzt übertreiben Sie.

SZaW: Sagen Sie doch bitte: Wie stellen Sie diese Intensität her?

Jolie: Nun, im Fall von Olympia ist es mir einfach gelungen, eine Verbindung zu dieser Frau herzustellen. Es gibt da eine Dringlichkeit an ihr. Das kenne ich von mir selber. Dieses Gefühl, etwas unbedingt und um jeden Preis tun zu müssen. Mir ist es ein dringendes Bedürfnis, mich auszudrücken, mich mitzuteilen, Schauspielerin zu sein. Und Olympia liegt alles daran, ihren Sohn dazu bringen, dass er keine Angst kennt und keinen Schmerz spürt. Dazu fühlt sie sich verpflichtet, weil sie überzeugt ist, dass Zeus der Vater von Alexander ist. Zeus, und nicht ihr bösartiger Ehemann, von dem sie gleich in der ersten Szene vergewaltigt wird. Sie weiß also sehr gut, was Angst und Schmerz ist.

SZaW: Frau Jolie, ich würde gerne mal ein bisschen philosophisch werden. Können wir uns über Schmerzen unterhalten?

Jolie: Philosophisch? Oh, gut.

SZaW: Nehmen wir an, dass es ein Kontinuum der Gefühle gibt, mit Schmerz auf der einen Seite und Lust auf der anderen. Wo befinden Sie sich in diesem Moment?

Jolie: Das Gegenteil von Schmerz ist nicht Lust, sondern Langeweile. Das hat, glaub ich, Schopenhauer gesagt. Philosophisch genug für Sie?

SZaW: Dann muss die Frage anders gestellt werden: Tut Ihnen im Moment irgendwas weh - oder langweilen Sie sich?

Jolie: Nun, Sie haben mich nach Schmerz gefragt. Also denke ich gerade über Schmerz nach. Also fühle ich auch Schmerz. Ich habe mein mentales Schmerz-Erinnerungs-Zimmer betreten.

SZaW: Und? Was liegen da so für Erinnerungen herum?

Jolie: Als ich jünger war, hatte ich immer das Gefühl, nicht genug zu fühlen. Dagegen gab es nur ein Mittel: Selbstzerstörung. Ich fügte mir selber Schmerzen zu, weil ich mich so lebendiger fühlte. Und weil mir Schmerz das ehrlichste Gefühl zu sein schien. Andere Mädchen sind ins Kino gegangen, ich ging auf Punk-Konzerte, natürlich in die erste Reihe! Ich fand es toll, wenn ich angerempelt wurde oder einen Springerstiefel ins Gesicht bekam. Mein Herz schlug dann schneller. Ich fühlte eine starke Verbundenheit mit allem.

SZaW: Und Sie haben sich, wie verschiedentlich zu lesen war, die Haut aufgeschlitzt.

Jolie: Das auch, ja. Aber eigentlich nur, weil ich Narben so schön finde. Einmal ist blöderweise mein ganzer Arm angeschwollen und blau angelaufen. Ich musste ins Krankenhaus mit meinem Klumparm, und zuerst sah es ganz danach aus, als müsste er amputiert werden. Ich lag da und dachte: Oh, mein Gott, als Einarmige kann ich keine Schauspielerin werden!

SZaW: War das ungefähr zur selben Zeit, als Sie einen Profi-Killer auf sich selbst angesetzt haben?

Jolie: Wie kommen Sie denn darauf? War das auch "verschiedentlich zu lesen"? Also, mir wird das jetzt zu persönlich. Wir wollten uns doch philosophisch unterhalten. Weiter im Diskurs, bitte.

SZaW: Auch mal daran gedacht, andere zu verletzen?

Jolie: Nein. Nie.

SZaW: Was war die schmerzhafteste Erfahrung in Ihrem Leben?

Jolie: Feststellen zu müssen, dass es Menschen gibt, die überhaupt kein Problem damit haben, andere zu verletzen. In Sierra Leone zum Beispiel haben sich die Leute gegenseitig Arme und Beine abgehackt. Mit solchen Sachen bin ich jetzt konfrontiert als Botschafterin der UN-Flüchtlingskommission. Ich komme viel herum, und ich sehe viel Elend. Früher war ich auf meinen eigenen Schmerz fixiert. Jetzt bin ich in der Lage, den Schmerz der anderen zu sehen. Und ich merke, dass es etwas bringt, gegen das Elend zu kämpfen. Das gibt mir Frieden.

SZaW: Frieden?

Jolie: Ja, es besänftigt mich. Und wenn es nicht gelingt, dann wurmt mich das. Es macht mich sogar richtig wild. Denken Sie an die Opfer der verdammten Landminen. Die Dinger töten und verletzen zu 80 Prozent Zivilisten! Und noch immer sind sie nicht geächtet. Aber ich bin dran. Und wenn ich persönlich nach Washington gehen und das Gesetz verabschieden muss!

SZaW: Kann man durch Schmerz eine Art von Erkenntnis gewinnen?

Jolie: Logisch. Ich hau Ihnen jetzt gleich diesen Aschenbecher an den Kopf, und dann wollen wir mal sehen, ob Sie nicht eine höhere Bewusstseinsstufe erreichen. Im Ernst: Die Menschen, denen ich in Kambodscha oder Sri Lanka oder Afrika begegne, denen es richtig dreckig geht, ohne Schulbildung, ohne ärztliche Versorgung, ohne ein Dach über dem Kopf - die werden von den äußeren Umständen dazu gezwungen, ein sehr klares und direktes Leben zu führen. Da denke ich mir jedesmal: Verdammt, warum finden die meisten Menschen mit Auto und Computer und Wohnung keine Klarheit?

SZaW: Was ist schlimmer - körperlicher Schmerz oder seelischer?

Jolie: Hmm. Schwer zu sagen. Da Sie so gut vorbereitet sind, haben Sie wahrscheinlich auch gelesen, wie sehr ich unter meiner ersten Scheidung von Jonny Lee Miller gelitten habe. Nun, die zweite Scheidung von Billy Bob Thornton war sogar noch schlimmer. Aber am schlimmsten war vielleicht, als mein Vater meinte, aller Welt im Fernsehen mitteilen zu müssen, ich hätte schwerwiegende psychische Probleme. Aber Schwamm drüber. Ich habe das alles gut verkraftet. Die Narben sind verheilt. Das waren eben Desillusionierungen. Ich weiß jetzt, dass mein Vater nicht der Mensch ist, für den ich ihn gehalten habe. Und ich weiß auch, dass ich mich in Billy Bob getäuscht habe. Um Ihre Frage zu beantworten: Bei den Dreharbeiten zu "Lara Croft" musste ich einmal fünf Stunden am Stück schwimmen, fünf Stunden ohne Zigarette - das waren Schmerzen.

SZaW: Wann haben Sie das letzte Mal geweint?

Jolie: Ich weine nie. Vielleicht hab ich einfach zu viele Leute weinen sehen. Es hilft ja nichts. Wenn es ein Problem gibt, dann will ich das in Ordnung bringen. Ich will wissen, wie ich dagegen kämpfen kann. Wahrscheinlich bin ich einfach zu praktisch veranlagt.

SZaW: Eigentlich wollte ich mit Ihnen auch über Ihre Tätowierungen sprechen. Aber dann habe ich festgestellt, dass es dazu schon irrsinnig viel Material gibt. Im Internet wird auf Experten-Seiten diskutiert, ob sich dieses eine Tattoo wirklich an Ihrer linken unteren Schulter befindet und das andere tatsächlich am rechten Oberarm ... Also nur kurz zum Tattoo-Themenkreis: Wieso haben Sie ein Fenster auf der Schulter?

Jolie: Ich mag Fenster. Früher stand ich oft stundenlang vor meinem Kinderzimmerfenster und habe rausgeschaut und mir ausgemalt, an welchen Ort ich gern verreisen würde. Eine schöne Meditation. Sie sollten das mal probieren. Nach einer Weile hat man den Ort in allen Details vor Augen, den Geruch, die Farben. Ich mach' das heute noch regelmäßig. Das Gute an meiner jetzigen Situation ist, dass ich dann auch dahin fahren kann. Ich stehe also zum Beispiel am Fenster, und mir kommt Thailand in den Sinn - und am nächsten Tag fliege ich los.

SZaW: Sie haben auch ein Tattoo mit dem japanischen Symbol für den Tod. Irgendwie beunruhigend, oder? Ich meine: das Fenster und der Tod?

Jolie: Wieso?

SZaW: Nun ja, man könnte denken, dass Sie beim Meditieren auch mal aus dem Fenster springen.

Jolie: Nein, Quatsch. Was haben Sie nur für morbide Vorstellungen! Das Tattoo sagt ja genau das Gegenteil: Denk dran, du hast den Tod auf deiner Schulter, also lebe im Heute! Sie dürfen mir glauben: Ich kenne alle möglichen Süchte, ich habe das alles ausgelebt, aber todessüchtig war ich nie.

SZaW: Grundsätzlich: Was bedeuten Ihnen Tätowierungen?

Jolie: Erstens: Tattoos muss man sich verdienen. Zweitens: Tattoos sind wie Gebete. Drittens: Ich glaube, Sie kapieren das sowieso nicht.

SZaW: Wie bitte?

Jolie: Ihnen fehlt der nötige Ernst. Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, wie ich mir ein Tattoo für meinen Sohn habe stechen lassen, das Unglück und Leid von ihm abhalten soll, und was für ein Gefühl das war, als ich eins wurde mit dem Schmerz - aber das führt zu nichts. Sie würden es nicht verstehen.

SZaW: Das ist nicht nett. Nächstes Thema: Die Klatschpresse hat ja ...

Jolie: Wissen Sie, was ich glaube? Dass Sie auch so ein kleiner Klatschjournalist sind. Sie wollen gar nicht philosophisch mit mir reden.

SZaW: Doch.

Jolie: Ich kenn das. Am Ende wird wieder alles verzerrt und verkürzt wiedergegeben.

SZaW: Nein.

Jolie: Wenn nicht von Ihnen, dann von Ihrem Redakteur.

SZaW: Ich bin der Redakteur.

Jolie: Ich sag jetzt jedenfalls nichts mehr. Die Zeit ist sowieso um.

© SZaW v. 18./19.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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