Hochgeschwindigkeitskunst:Wir haben ja nicht ewig Zeit

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Für die Werke in der Ausstellung "... 5 minutes later" hatten die Künstler nur fünf Minuten Zeit: Aus gewolltem Stress ist Instant-Kunst entstanden, übermütig wie Drei-Akkord-Punkrock.

Barbara Gärtner

Man kann innerhalb von fünf Minuten so einiges zustandebringen: Suppe kochen, eine Kurzgeschichte lesen, sich verlieben. Für das Menü, den Roman, die Beziehung braucht man mehr Zeit. Auch für ein Kunstwerk? Thomas Demand arbeitet monatelang an seinen Bildern, für die er einen Laubwald, eine Grotte oder Barschels Badewanne aus Papier nachbaut, um sie dann zu fotografieren. Doch als Susanne Pfeffer ihn freundlich bat, da brauchte er nur fünf Minuten.

Susanne Pfeffer leitet seit einem Jahr die Berliner Kunst-Werke - für die von ihr kuratierte Ausstellung ". . . 5 minutes later", ihre zweite, hat sie strenge Regeln aufgestellt: Alle Arbeiten sollten brandneu sein; Produktionszeit: fünf Minuten. 15 Künstler sagten sofort zu; nur einer schickte noch eine Absage hinterher - auch sie wird ausgestellt.

Sie stammt von Clemens von Wedemeyer, eigentlich ein Filmkünstler; seine Absage ist ein Sound-Piece, beim Spazierengehen auf Band gesprochen, man hört ihn laut atmen, mit dem Schlüssel klimpern und ein "Hallo" nuscheln, dazwischen spricht er allerlei Einwände aus: In fünf Minuten, was soll denn das, geht das überhaupt? "Fünf Minuten", sagt Wedemeyer, "sind quasi auch nur ein Drittel von Andy Warhols 15 Minuten und das ist auch nicht viel." Er spricht genau sieben Minuten und 28 Sekunden lang.

In der Kunstgeschichte dauert das Nachdenken über Zeit und ihre Auswirkungen auf das Kunstwerk, nun ja, schon ewig: Der Streit über disegno und pittura, also darüber, was bedeutender ist, die Idee oder ein ausformuliertes Werk, wird seit dem 13. Jahrhundert ausgefochten. Eine Antwort gibt die Ausstellung darauf nicht, aber wenn für das Handwerk die Stoppuhr benötigt wird, muss es eher um die Idee gehen. Und Ideen kommen oder eben nicht: Nur wann, lässt sich schwer vorhersagen. Andreas Slominski besuchte an fünf Abenden die Kunst-Werke und dachte nach. Als die Idee dann da war, hat er fünf Pinsel an die Wand genagelt.

Bitte nicht stören!

Am spektakulärsten ist wohl das, was Douglas Gordon vollbracht hat. Der Schotte, der sich selbst das Wort "guilty", spiegelverkehrt auf die Schulter stechen ließ, hat zwei Freiwilligen einen dünnen Strich in den Nacken tätowieren lassen. Der Strich ist so lang, wie man in fünf Minuten beim Tätowieren eben kommt. Er ist keine Provokation wie beim Spanier Santiago Sierra, sondern ein Zeichen der Intimität. Denn zwischen Halsende und Schulteranfang, wo die Haut am zartesten ist, berühren sich oft Liebende. Christina, die nun abwechselnd mit einem Mann in der Ausstellung sitzt und als lebendes Ausstellungsstück ihr Nackentattoo zeigt, musste nicht lange überlegen, ob sie sich für die Kunst tätowieren lassen soll. Wie lange eigentlich? Sie lacht: "Keine fünf Minuten".

Ceal Floyer hatte die Arbeit "Taking a line for a Walk", eine Referenz an Paul Klee, schon eine Weile im Kopf, wusste nur nicht, wie sie enden sollte. Nun heißt die weiße Linie, die sie mit dem Nass-Markierwagen Typ 702, den man zur Fahrbahnbegrenzung benutzt, in großen Bögen durch das Untergeschoss geschlängelt hat, einfach: "Taking a Line for a 5 minute Walk". Gegen Ende des Fünf-Minuten-Spaziergangs blieb sie mit dem Wagen an der Wand hängen. Dort steht er noch immer.

Wenn Thomas Demand ein rotes "Bitte-nicht-stören"-Hotelschild aus Pappe ausschneidet und die dazugehörige Hotelzimmertür fotografiert, entspricht das zwar seiner - durchaus langwierigen - Arbeitsweise. Doch durch die sichtbaren Bleistiftschneideränder, die er beim hastigen Schneiden nicht getroffen hat, gewinnt das Bild einen Charme des Imperfekten, den man bei ihm eigentlich nicht kennt.

Von Trauer der Vollendung keine Spur

Annette Kelm macht normalerweise fein komponierte konzeptuelle Fotos, voller Rätsel und Referenzen. Für ". . . 5 minutes later" hat sie ein Polaroid abgegeben: Den roten Lippenstiftmund der Kuratorin. Lippen anmalen und abfotografieren dauert - wie lange eigentlich? Eben. Hans-Peter Feldmann ist eigentlich ein Bildersammler und Archivar. Nun hat er ein Bett in den Ausstellungsraum gestellt und zerwühlt. Um das Bett geht es nicht, das gibt es bei Ikea, es geht um den Akt des Zerwühlens. Die beiden Kissen schmiegen sich zart aneinander, man hätte gerne zugeschaut, was er da am Vorabend getrieben hat. So funktionieren viele Arbeiten, sie sind so lakonisch knapp wie eine Kurzgeschichte von Raymond Carver, gerne wüsste man mehr über das Davor oder Danach.

Offensichtlich war die Zeitbegrenzung eher Lust als Last. Die meisten Arbeiten sind reduziert, verspielt und übermütig wie Drei-Akkord-Punkrock, der Künstler und Publikum gleichermaßen vergnügt. Von Trauer der Vollendung keine Spur. Wahrscheinlich, weil die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt des Aufhörens, einer der wichtigsten Augenblicke beim Kunstschaffen, hier an die Uhr delegiert wurde. Und nicht, wie man von manchen Künstlern hört, an Assistenten, die die Arbeiten irgendwann aus dem Atelier tragen müssen, weil sonst ewig daran weitergearbeitet würde.

Susanne Pfeffer erzählt gerne die Geschichte über den Künstler Hokusai, der den Auftrag erhielt, einen Hahn zu zeichnen, das Bild aber nie aushändigte. Irgendwann, nach Mahnungen und Drohungen, tauchte der Mäzen im Atelier auf und dort, vor den Augen des Auftraggebers, zeichnete Hokusai einen Hahn. Als sich der Mäzen beschwerte, führte ihn Hokusai in einen Nebenraum, voller Bücher, Studien und Modelle. Der schnellen Zeichnung war ein jahrelanges Studium vorausgegangen. Und das ist auch die Bilanz von ". . . 5 minutes later": Ein Werk beginnt im Kopf. Und dort endet es auch - beim Vergnügen der Betrachtung.

"... 5 minutes later", Kunst-Werke Berlin, bis 9. März, Info: Tel. 030 / 24 34 59-0

© SZ vom 5.2.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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