HipHopper unter verschärfter Beobachtung:Killing me softly

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Die Polizei in Miami spricht von Prävention - die HipHopper nennen es Rassismus. Fest steht nur, dass in Florida seit Jahren umfangreiche Dossiers über Musiker angelegt werden, um die Bevölkerung eventuell vor eventuellen Straftaten von Angehörigen dieses Musikstils schützen zu können.

DIRK PEITZ

Alle, wirklich alle Bosse sind mit ihren Abordnungen in einer dunklen Lagerhalle irgendwo in Amerika erschienen - die der chinesischen Triaden, der Russenmafia, der Italo-Mobster.

Larilu, nur der Mann von der Polizei schaut zu. Etwa, wenn sich Rapper 50 Cent einmal mit Alicia Keys zeigt. (Foto: Foto: AP)

Und mittendrin: ein junger schwarzer Gangsterchef namens 50 Cent mit zwei Leuten seiner G-Unit. Es geht um die Verteilung von Macht, Geld und Territorien, die aufstrebende Schwarzen-Gang will von allem mehr, und am Ende bleibt der multikulturellen Verbrecherversammlung nichts anderes übrig als einzuwilligen - 50 Cent hat noch ein paar Leute mitgebracht, die mit ihren Monster-SUVs von außen die Tore der Lagerhalle durchbrechen.

"Poppin' Them Thangs" heißt das aktuelle Video der G-Unit, einem HipHop-Kollektiv um den Rapper mit der derzeit schillerndsten Vita auf dem Musikmarkt: 50 Cents Mutter war Crackdealerin, bevor sie ermordet wurde, er selbst landete wegen Drogenhandels als Jugendlicher bereits diverse Male im Gefängnis und überlebte im Jahr 2000 ein Attentat, bei dem angeblich neun Pistolenkugeln seinen Körper durchsiebten.

"Poppin' Them Thangs" spielt wie alle 50-Cent-Videos mit dem Gangster-Image des Rappers, wiewohl der Clip eigentlich ein simples Remake ist. Er zitiert ganz offensichtlich eine Szene aus der Hollywood-Komödie "Reine Nervensache", in der Billy Crystal bei einem Mafiatreffen den Consigliere von Robert de Niro geben muss.

Mit einem Unterschied: In "Reine Nervensache" löst am Ende die Polizei die Versammlung auf, die aber bleibt im Musikvideo abwesend.

Das würde in Miami nicht passieren.

Deren Polizei nämlich musste nun eingestehen, seit knapp drei Jahren bekannte Rapper und deren Gefolge systematisch zu observieren und zu fotografieren, sobald die sich innerhalb der Stadtgrenzen Miamis aufhalten.

Was häufig geschieht: Südflorida ist als Drehort für Videos - und natürlich als Urlaubsziel - bei HipHop-Musikern äußerst beliebt. Zu jedem Betroffenen werden bei der Polizei umfangreiche Personendossiers geführt, die den Cops von Miami bei einer "HipHop training session" amerikanischer Großstadtpolizeien durch New Yorker Kollegen im Mai 2003 übergeben worden seien.

Zu den darin aufgeführten Musikern gehören nach Recherchen des Miami Herald 50 Cent, Sean "P. Diddy" Combs, Jay-Z, Ja Rule, Nas, Busta Rhymes und DMX. Also fast die gesamte Prominenz des amerikanischen HipHop.

Als Grund für die Überwachungen nannte ein Polizeisprecher den Schutz der Rapper und den der Öffentlichkeit vor möglichen Straftaten.

Bei dem Behördentreffen in New York habe es zudem Aufklärungsunterricht über die geschäftlichen Verbindungen innerhalb des HipHop-Business und eine sprachwissenschaftliche Einführung in HipHop-Lyrics gegeben. Seither untersuchten Beamten in Miami Rap-Songs und Rapper-Äußerungen nach Drohungen gegen andere Musiker, um bei etwaigen Aufeinandertreffen beider Parteien auf Gewalttaten vorbereitet zu sein - also eine Art HipHop-Ministasi.

Während die Polizei in Miami weiter von Prävention spricht, heißt es im HipHop-Camp, es handele sich dabei um rassistisches Vorgehen.

Beide Interpretationen mögen in sich logisch erscheinen, doch geht es um etwas völlig anderes: In Miami ist erstmals in der jüngeren Musikgeschichte der Beweis erbracht worden, dass ein popkultureller Genremythos so glaubhaft sein kann, dass bereits die bloße Zugehörigkeit zu diesem Genre einen Musiker für eine lokale Polizeibehörde einer westlichen Demokratie im strafrechtlichen Sinne verdächtig erscheinen lässt.

Zwar hat es in der Vergangenheit immer wieder einzelne Polizeimaßnahmen gegen Fan-Gruppen bestimmter Musik oder einzelne Popkünstler - etwa die geradezu politische Verfolgung John Lennons während den siebziger Jahren in den USA - gegeben, jedoch noch nie eine derartige Kollektiv-Vorverurteilung.

Voraussetzung dafür war die bewusste Grauzone von Wort und Tat, Kunst und Verbrechen im HipHop. Denn Strafauffälligkeit vor oder während einer Rap-Karriere gilt nun mal als Authentizitätsbeweis für die wahrheitsgemäße Darstellung echten (Ghetto-)Lebens.

Sämtliche in den Dossiers der Polizei von Miami auftauchenden Rapper besitzen tatsächlich einen criminal record. Wobei die begangenen Gesetzesverstöße typischerweise in einen Bereich fallen, der in den USA, sobald es um junge schwarze Straftäter geht, pauschal unter gang-related crimes subsumiert wird: illegaler Waffen- oder Drogenbesitz, Körperverletzungen verschiedener Schwere.

Die Polizei von Miami hat den HipHop also bloß wörtlich genommen - und eine Art Grauzonen-Kongruenz hergestellt: Stimmen die atavistischen Rap-Erzählungen vom Gangsta-Dasein als ewiger Kampf um Leben und Tod, Frauen und Drogen, dann wären Rapper tatsächlich permanent potenzielle Straftäter. Sind sie aber brav, würde sozusagen amtlich festgestellt, womit sich HipHop-Musiker sonst gern gegenseitig beschimpfen: dass sie Fake-Rapper seien.

Die Methode - sollte sie überhaupt rechtstaatlich gedeckt sein - verrät sich allerdings selbst: Sie ist nicht nur tumb, sondern auch zutiefst kunstfeindlich.

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