Hessischer Rundfunk:Koch und Kellner im Funkhaus

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Streit im öffentlich-rechtlichen HR: Offenbar verhinderte Fernseh-Chefredakteur Theisen, dass eine Umfrage publiziert wurde. Sie war negativ für Landeschef Roland Koch (CDU) ausgefallen.

Sarah Sophie Ehrmann

In diesen Tagen geht es in Hessens Politik seltsam zu - allerdings auch im Hessischen Rundfunk (HR). Der Sender hat intern offenbar ein paar Probleme, wie mit der Landtagswahl am 27. Januar und ihren Folgen umzugehen ist.

Roland Koch (CDU), das Moderatoren-Duo Claudia Schick und Alois Theisen und Andrea Ypsilanti (SPD) beim TV-Duell im HR. (Foto: Foto: getty images)

Interne Mails, die sueddeutsche.de vorliegen, deuten auf fragwürdige Anweisungen des TV-Chefredakteurs Alois Theisen hin. So wies er in dem zur Unabhängigkeit streng verpflichteten, öffentlich-rechtlichen Sender persönlich an, eine bestimmte Meinungsumfrage im Fernsehen nicht zu bringen. Die Umfrageresultate waren abträglich für den noch amtierenden Landeschef Roland Koch (CDU), der bei der Hessen-Wahl jäh eingebrochen war.

"Wir sollten in unseren Sendungen nicht auf jede, noch so blödsinnige und methodisch zweifelhafte Meinungsumfrage eingehen", schrieb Theisen - zwei Wochen nach der Wahl - in einer E-Mail vom 8. Februar 2008 an die "lieben KollegInnen". O-Ton: "Außerdem haben wir ein Wahlergebnis und eigene Umfragen. Beide geben auf diese Frage eine klare, eindeutige Antwort. Beschäftigen wir uns lieber mit Fakten." Es ging dem Chefredakteur um "eine Anmerkung zur Forsa-Umfrage".

Das Problem: Es gab zu diesem Zeitpunkt keine "Forsa-Umfrage" - sondern nur eine des Instituts Infratest dimap ("Deutschland-Trend"). Die war ausgerechnet von der eigenen ARD, zu der der HR immer noch gehört, in Auftrag gegeben worden. Bei der Befragung von 1000 Deutschen kam heraus, dass nur noch 33 Prozent den CDU-Politiker Koch als Ministerpräsident wollten - und 50 Prozent seine SPD-Widersacherin Andrea Ypsilanti.

Auch war das hessische Wahlergebnis nicht so "klar" und "eindeutig", wie das der als konservativ geltende Journalist Theisen vielleicht gern sehen würde. Bekanntlich lag die CDU im Hessenland mit 36,8 Prozent der Stimmen um 0,1 Punkte nur hauchdünn vor der SPD. Beide Parteien erhielten jeweils 42 Mandate.

All die Ungereimtheiten rund um Theisens Umfrage-Ukas brachten den "Hessenschau"-Chef Jörg Rheinländer zu einer ungewöhnlichen Reaktion - klar und eindeutig. Der TV-Profi versicherte in seiner Antwort-Mail eingangs, seine Redaktion werde sich "selbstverständlich an Ihre Vorgabe halten", die Einschätzung allerdings werde nicht geteilt. Rheinländer klärte seinen Chef auf, dass es sich um das Institut Infratest dimap und nicht um Forsa handele; auch sei die Umfrage "repräsentativ".

Dann wurde der "Hessenschau"-Leiter noch eindeutiger: "Ich kann nicht nachvollziehen, warum das, was in den Tagesthemen Nachrichtenwert hat, eben diesen bei uns nicht haben soll." Abgesehen davon erschließe sich ihm nicht, "warum der Hörfunk und Online über die Ergebnisse der Infratest-Umfrage berichten, wir aber nicht". Zum Schluss führte Rheinländer noch aus, er hoffe, kommende Woche nicht den Vorwurf hören zu müssen, "die Hessenschau habe nicht, was doch alle anderen Journalisten in diesem Haus als Thema erkannt hätten".

Der Widerstand gegen den TV-Chefredakteur, der das Veröffentlichen einer für Koch ungünstigen Umfrage offenbar verhindert hat, ist hier sehr direkt formuliert. Theisen selbst erklärt auf Anfrage von sueddeutsche.de, die "Hessenschau" gebe als Regionalmagazin auch sonst keine bundesweiten Umfragen wieder, auch nicht den ARD-Deutschland-Trend - hierzu würden in Hessen nur etwa 80 Menschen befragt. Deshalb beschränke sich das HR-Fernsehen darauf, einmal im Jahr einen "Hessentrend" erfassen zu lassen - und so sei im Januar dargelegt worden, dass die CDU in Hessen "in fast allen relevanten politischen Feldern ihren Kompetenzvorsprung eingebüßt" habe.

Er sei nicht für die Radio- und Online-Angebote im HR zuständig, meint Theisen weiter. Die Berichterstattung im Fernsehen sei in den zuständigen Gremien als "umfassend und sachlich, informativ und fair" gelobt worden.

Offen bleibt die Frage, ob Chefredakteur Theisen dem Landeschef Koch etwas Gutes tun wollte. Die Regierungspartei CDU hat immerhin einen gewissen Einfluss auf die Gremien. Und dass der HR-Mann, der zuvor für das ZDF das Stuttgarter Landesstudio geleitet hatte, ausgerechnet eine ARD-Umfrage als "blödsinnig und methodisch zweifelhaft" sowie "nicht repräsentativ für Hessen" brandmarkte, dürfte in anderen Funkhäusern des Senderverbunds für Aufmerksamkeit sorgen.

Manchem dürfte wieder einfallen, wie Koch-freundlich sich Theisen Anfang des Jahres in einem "Tagesthemen"-Kommentar geäußert hat. Da lobte er den hessischen Ministerpräsidenten für seinen Mut, mit der Thematisierung der Jugendkriminalität von Ausländern ein Tabu gebrochen zu haben. In Blogs und Userkommentaren auf tagesschau.de wurde Theisen daraufhin eine große Nähe zur hessischen Koch-CDU nachgesagt. Er habe im Tagesthemen-Kommentar ausdrücklich Zweifel angemeldet, ob mit Kochs Vorschlägen "das Problem Jugendgewalt wirklich gelöst würde", erinnert sich der Chefredakteur.

Auf Fragen nach seinem politischen Standort antwortet Theisen nicht. Wohl aber gibt er an, es habe seit Januar 2007 "eine zunehmende Diskussion um die Hessenschau" gegeben, die sich um "handwerkliche Unzulänglichkeiten" drehten.

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