Hertzkammer:Synthie im Saal

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Techno und Barock kommen sich in der Philharmonie näher

Von Rita Argauer

Techno und Konzertsaal sind einander nicht mehr fremd. Das zeigte sich beispielsweise beim vergangenen Konzert der Musica Viva. Unter anderem stand da Steve Reich auf dem Programm, seine Psalmvertonungen "Tehillim". Eine Komposition, in der viele rhythmische Patterns geschichtet werden; ganz wie man das aus der Clubmusik kennt. Die Musiker müssen dabei ihren Rhythmus mitunter ganz schön lange in einer computerhaften Konstanz durchhalten. Claudio Estay spielte dabei die Maracas. Und Estay - ein grandioser Schlagzeuger - konnte diese eigentlich recht kleine Aufgabe (in regelmäßigen Achtelnoten rasseln) kaum bewältigen. Man sah ihm an, wie die Hand müde wurde und die verlangte Regelmäßigkeit über den Zeitraum des Stücks kaum haltbar war. Doch entwickelte dieser Vorläufer der aktuellen elektronischen Tanzmusik von 1981 live eine besondere Kraft. Vielleicht auch gerade wegen dieser kleinen Unregelmäßigkeiten.

Die Verbindung von elektronischer und klassischer Musik ist jedoch auch nicht fern, wenn man von Steve Reich noch ein paar Jahrhunderte zurück geht. Der zeitgenössische Komponist Max Richter etwa hat sich Vivaldis "Vier Jahreszeiten" vorgenommen. Den zwölf Sätzen Vivaldis hat er fünf weitere elektronische hinzugefügt. "Shadows" heißen diese Stücke für Moog-Synthesizer, die er 2012 mit dem Konzerthauskammerorchester Berlin und Daniel Hope eingespielt hat. Die Idee leuchtet ein: Der pumpende Beginn im Original vom dritten Satz des Sommers etwa hat durchaus Techno-Qualitäten. Und Cembali klingen sowieso immer ein wenig wie Synthesizer, der Unveränderbarkeit des Anschlags geschuldet. Unter diesem Aspekt ist Satz II des Herbstes ein astreines Ambient-Stück, eine Art analoger Synthie-Symphonie.

Richter antwortet fast etwas demütig darauf, wenn er das Thema vom zweiten Winter-Satz wie ein fernes Rauschen erscheinen lässt. Oder bei ihm das Cembalo eine fast choralhafte Sakralität bekommt und sehr nostalgisch klingt, während das gleiche Instrument in Vivaldis Original eben irgendwie futuristisch erscheint. Auch ein paar Computertricks hätte er sich sparen können: Etwa das illustrierende Vogelgezwitscher, das auf der Aufnahme liegt. Doch der Einsatz von Synthesizern und Computer-Können im Bereich der symphonischen Musik ist ein spannender Moment, der die Minimal-Music weiter denkt und den Synthesizer in die Konzertsäle holt. Und das ist eine klangästhetische Verbindung, in der noch viele Möglichkeiten offen sind.

Vivaldi: L'arte del mondo, Daniel Hope, Max Richter, Do., 10. Dez., 20 Uhr, Philharmonie, Rosenheimer Str. 5

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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