Hertzkammer:Realitätsforscher

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Drei Musiker bilden die Außenwelt bei "Frameless" in Klängen ab

Von Rita Argauer

Der einsame Dichter und Denker, der - von der Außenwelt abgeschottet - sein düsteres Inneres in geniale Kunst umwandelt, ist ein überholtes Bild des romantischen Genies. Doch auch die elektronische Musik fand lange in der hermetisch abgeschlossenen Welt der Clubs statt; auch um Außenwelt und Alltag dort explizit auszusperren, sowohl für die Besucher als auch für die Musiker. Die Münchner Reihe "Frameless" im Einstein Kulturzentrum hat sich nun aber seit Anfang dieses Jahres die Aufgabe gestellt, Künstler zu präsentieren, die bewusst auf die Wirklichkeit reagieren.

Frameless zeigt experimentelle Musik, die sich mit den Veränderungen des Lebensalltags im digitalen Zeitalter auseinandersetzt. Dass dabei die elektronische Musik eine ebenso wichtige Rolle spielt wie die Aufmerksamkeit der Künstler gegenüber Schwankungen und Veränderungen ihrer gegenwärtigen Umwelt, ist klar. Das Programm zur fünften und letzten Ausgabe in diesem Jahr zeigt derartige künstlerische Ansätze noch einmal exemplarisch. So tat sich etwa die Mitorganisatorin und Künstlerin Karin Zwack mit dem japanischen Soundscape-Musiker Yasuhiko Fukuzono zusammen. Aus Bildern isländischer Verkehrsüberwachungskameras und Klangschleifen schaffen sie einen scharfen Kontrast der oft überwältigend schönen, ja natürlichen isländischen Landschaft zum Wissen um die Überwachung. Ein ästhetisch feines Gruselkabinett der Gegenwart. Ähnlich arbeitet auch der griechische Konzeptkünstler und Musiker Novi_sad; zusammen mit dem bildenden Künstler Ryoichi Kurokawa zeigt er sich fasziniert davon, wie sehr sich die Wirklichkeit heutzutage aus ihrer digitalen Repräsentation in Form von Datenerfassung konstituiert. Für die Performance "Sirens" benutzten sie die Daten verschiedener historischer Börsencrashs. In störend-hektische Sounds und Bildwelten übersetzt, ergibt sich daraus ein abstraktes Klangerlebnis, das die Macht und gleichzeitige die Unverständlichkeit solcher Daten darstellt.

Besonders schön ist jedoch, dass als Dritte im Bunde dieser technoiden Realitätsforscher Lucrecia Dalt gewonnen werden konnte. Die kolumbianische Musikerin, die derzeit in Berlin lebt und arbeitet, sucht die Realität nämlich in den Fiktionswelten des Alltags. Lucrecia Dalt hat sich dafür im vergangenen Jahr eine besondere Kompositionstechnik erdacht: Sie produzierte die Songs parallel zum Konsum deutscher Filme: Der Einfluss von Margarethe von Trotta findet sich so in ihrer Musik ebenso wie der Alexander Kluge oder Werner Schroeter.

Frameless 5, Mittwoch, 18. November, 20.30 Uhr, Einstein Kultur, Einsteinstr. 42, Eintritt frei

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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