Hannah-Elisabeth Müller:Dem Ensemble entwachsen

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Ihre Solo-Rollen bei den Opernfestspielen sind für die Sopranistin ein Vorgriff auf ihre weitere Laufbahn. Die Bühnen in Mailand und New York haben sie bereits engagiert.

Von Rita Argauer

Die bevorstehenden Opernfestspiele sind auch ein Vorgriff auf Hanna-Elisabeth Müllers künftiges Leben. Denn die 30-Jährige Sopranistin, die derzeit fest im Ensemble der Bayerischen Staatsoper ist, wagt zur kommenden Saison den Schritt in die Freiberuflichkeit. Damit schlägt sie auch eine Karriere als Solistin ein; sie wird zukünftig an verschiedenen Häusern für die Solo-Partien engagiert, anstatt an einem Haus im Ensemble zu singen. Dass sie nun bei den Festspielen herausstechende Rollen singen wird, ist da ein schöner Abschied von dem Haus, das sie ihr "Zuhause-Haus" nennt.

Hanna-Elisabeth Müller ist gerade an einem interessanten Punkt in ihrer Karriere. Nach ihrem Gesangstudium in Mannheim wurde sie 2010 Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, zur Spielzeit 2012/13 wurde sie ins Ensemble engagiert. Von da an sang sie all die kleineren Rollen in den Produktionen des Hauses. Vor einiger Zeit folgten Gastspiel-Engagements. Etwa ihr hochgelobter Auftritt als Zdenka in Strauss' "Arabella" bei den Salzburger Festspielen 2014, für den sie von der Zeitschrift "Opernwelt" als "Nachwuchskünstlerin des Jahres" ausgezeichnet wurde. Mit der gleichen Rolle debütierte sie auch 2014 an der Semperoper in Dresden, es folgte die Sophie im "Rosenkavalier" im September 2015 an der Niederländischen Oper Amsterdam - eine Partie, die sie nun auch während der Festspiele in München singen wird. Und vielleicht kommt auch noch ein überraschendes Debüt hinzu.

Hanna-Elisabeth Müller ist in "La Juive" vielleicht als Eudoxie zu sehen. (Foto: Chris Gonz)

Die Eröffnungspremiere der diesjährigen Festspiele ist Fromental Halévys eher unbekannte Grand-Opéra "La Juive". Während den Proben gab es jedoch einige Umbesetzungen: Die lettische Sopranistin Kristine Opolais sagte ihr Engagement für die Titelrolle der Rachel ab - ihre Stimme sei dafür nicht geeignet. Die polnische Sängerin Aleksandra Kurzak, die eigentlich für die zweite große Frauenrolle der Oper, die Prinzessin Eudoxie, besetzt war, rückte nach. Für den damit freiwerdenden Platz als Eudoxie fragte man Müller an. "Das ist absolut kurzfristig", sagt die junge Frau, die die Oper von 1835 zuvor nicht kannte und eigentlich für diesen Zeitraum bereits andere Engagements hatte. Den drastischen Schritt von Kristine Opolais kann Müller verstehen: "Ich finde das richtig", sagt sie "Stimmen entwickeln sich, und manchmal ist nicht abzusehen, in welche Richtung diese Entwicklung geht".

Auch Müller muss erst sehen, ob diese Partie zu ihr passt: "Ich habe mir die Noten angeschaut und mich mit meinem Lehrer Rudolf Pirnay besprochen", erzählt sie, der hätte sie bestärkt habe. Eine erste Zusage folgte, und Müller begann kurzfristig mit der Vorbereitung. "Das Schöne an dieser Oper ist, dass es eigentlich fünf Hauptpartien gibt", erklärt sie. In vielen Inszenierungen würde die Eudoxie aber zu einer klassischen Nebenrolle zusammengestrichen. Nicht so in der Münchner Version von Calixto Bieito. "Das war zu Zeiten der Uraufführung der Oper einer der Kritikpunkte", erzählt Müller. Rachel sei natürlich die Titelfigur, deren Leidensgeschichte erzählt werde, doch die Eudoxie stehe ihr gleichwertig gegenüber: "Rachel und Eudoxie sind die einzigen Personen in dieser Oper, die ehrlich zueinander sind", sagt Müller. Die Frage nach der darstellerischen Umsetzung dieser in der Operndramaturgie ungewöhnlichen Konstellation sei spannend.

Aleksandra Kurzak singt den Part der Rachel anstelle von Kristine Opolais. (Foto: Chris Gonz/Karol Grygoruk)

Gerade hat sie ihre erste Regieprobe hinter sich. Auch das erste Mal, dass sie ihre Rollen-Vorgängerin Aleksandra Kurzak getroffen habe. Über die künstlerische Gestaltung der Partie haben sich die beiden jedoch noch nicht ausgetauscht. Müller sei das aber auch ganz recht gewesen. Zum einen sei die erste Regieprobe, bei der zum Gesang nun auch das Szenische dazu kam, sowieso schon sehr viel "Input" gewesen. Und außerdem nähert sie sich ihren Rollen generell lieber erst einmal selbst, bevor sie sich anhört, wie andere das gesungen haben: "Ich muss zuerst meinen eigenen Weg mit der Rolle gehen und meinen eigenen Zugang dazu aus den Noten finden."

Die großen Titelpartien stehen Müller jedoch größtenteils noch bevor. Und wenn sich ein Sänger das erste Mal eines Stücks annimmt, ist das immer besonders. Es ist das eigene neue Entdecken, das der Interpretation eine Spannung verleiht, die mit mehr Routine nur schwer wieder herzustellen ist. "Ich freue mich auf das Neue", sagt Müller - die sich sowieso nicht auf eine Epoche festlegen möchte. Und klar, in München hat sie viel Richard Strauss gesungen und hatte ihre ersten Erfolge mit dessen Werken. Dennoch schätzt sie die Herausforderung, die nun vielleicht die Eudoxie in "La Juive" für sie bereit halte - ob sie die Rolle tatsächlich singen wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. "Das ist sängerisch eine sehr vierseitige Partie", sagt sie, und natürlich fühle sie sich derzeit bei Strauss noch sicherer, doch durch neue Rollen werde die Stimme farbenreicher - etwas, das auch positiv auf ihr bisheriges Repertoire abfärbe.

Das Ensemble verlässt sie zwiegespalten - immerhin hat sie hier ihre beruflichen Anfänge erlebt, und sie schätzt das künstlerische Niveau an der Staatsoper sehr. "Man hat mich hier wachsen lassen." Doch: "Es ist an der richtigen Zeit", sagt sie zu ihrem Abschied. Ihre Pläne sind aufregend: Ihr Debüt an der Metropolitan Opera in New York steht an, sowie ihr Rollendebüt als Donna Anna an der Mailänder Scala an der Seite von Thomas Hampson. Dass sie weiterhin auch als Gast in München singen wird, ist für Müller keine Frage.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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