Ground Zero:Die Bombe X und der Ort Y

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Wenn Paranoia Stein wird: Muss Ground Zero aus Sicherheitsgründen wieder einmal neu entworfen werden?

Von Jörg Häntzschel

Daniel Libeskind erträumte sich die Bebauung von Ground Zero als gigantischen Metaphern-Zoo. Dann fuhren die Investoren dazwischen. Unter ihrem Architekten David Childs blieb vom pseudo-expressionistischen Freedom Tower nicht viel mehr als die Höhe: 1776 Fuß.

Das Liebeskind-Modell für Ground Zero soll womöglich noch einmal geändert werden. (Foto: Foto: ddp)

Nun hat sich in das wohl vermurksteste Bauprojekt der Welt noch eine weitere Instanz eingeschaltet: die New Yorker Polizei.

Ein knappes Jahr nach der Grundsteinlegung fiel den Experten auf, dass der Freiheitsturm zu anfällig sei für terroristische Angriffe und deshalb versetzt und umgeplant werden müsse.

In New York hat der Einspruch ein kollektives Stöhnen der Verzweiflung ausgelöst. Nicht nur, weil die Bedenken so spät kommen. Man hatte auch gehofft, die Ängste, die sich mit dem Ort verbinden, hätten sich soweit beruhigt, dass die Vermietung der unvorstellbaren Mengen Bürofläche allmählich in den Bereich des Möglichen rücken würde.

Die Sicherheitsfrage geistert schon seit längerem durch New Yorker Behördenflure. Doch seit die Investmentfirma Goldman Sachs in einer Präsentation ihres eigenen geplanten Büroturms in unmittelbarer Nähe zum Freedom Tower die Wirkung einer 10.000-Pfund-Bombe simulierte, wollte man nicht länger an sich halten. Die Bombe in dem Video riss einen riesigen Krater in die Straße und richtete am Freedom Tower verheerende Schäden an. Die weitreichendste Forderung der Polizei betrifft den Standort des Turms.

Bei Childs/Libeskind steht er lediglich sieben Meter von der vielbefahrenen West Street entfernt, und ist damit laut Polizei nicht ausreichend vor Autobomben geschützt. Nötig wären 35 Meter, am besten aber 70 - so sehen es Regeln aus dem Pentagon vor, die auch für dieses sensible Bauwerk gelten müssten.

Gefordert werden außerdem stärkeres Glas und dickere Mauern. Ein Beamter formulierte die Gleichung so: "Die Art der Konstruktion wird entscheiden, wie viele Opfer es geben wird, wenn eine Bombe der Größe X an dem Ort Y detonieren wird."

Doch inzwischen macht man sich bereits neue Sorgen. Ein Team ehemaliger britischer Geheimdienstler, die man nach New York geladen hatte, konnte angesichts der explodierenden Lastwagen nur lachen: Beim nächsten Angriff, so erklärten sie dem alarmierten Publikum, würden die Terroristen viel eher chemische oder biologische Waffen einsetzen.

Die heillos verspätet vorgebrachten Bedenken der Polizei führen noch einmal das Grunddilemma vor, das die Planung für Ground Zero von Beginn an heimgesucht hat. Das Areal soll alles auf einmal sein: patriotisch-trotzige Großgeste, Gedenkort und blühendes Zentrum der Hochfinanz. Und weil es das alles sein soll, muss es wiederum verteidigt werden wie das Pentagon.

So gerät fast in Vergessenheit, dass dort, wo es am Ground Zero um konkreten Fragen geht, Ratlosigkeit herrscht. Der Entwurf für das Mahnmal wurde weiter verwässert. Niemand weiß, was das "Freedom Center" enthalten soll. Und ob das von Frank Gehry geplante Theater jemals gebaut wird, ist wieder völlig offen.

© SZ vom 3.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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