Gespräch:Das Lied, eine Notdurft

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Rainhard Fendrich schaut zurück und begegnet sich als junger Mann: Für sein Album "Auf den zweiten Blick" hat er sich alte Stücke neu vorgenommen und geht damit auf Tour, auch durch Bayern

interview Von Michael Zirnstein

Der Tod seines Freundes Udo Jürgens hat Rainhard Fendrich sehr traurig gemacht. "Wir haben einige Flaschen Wein zusammen geleert", erinnert sich der Austro-Popstar. "Klar, mit 80 muss man damit rechnen, dass man stirbt - aber doch nicht der Udo!" Jetzt ist Fendrich auch schon 60 geworden - Grund für den Wiener Liedermacher, auf dem Album "Auf den zweiten Blick" eine sehr persönliche Rückschau zu halten. Er beschert einigen tiefer schürfenden Stücken, die von den großen Hits wie "Es lebe der Sport" zur Seite gedrängelt wurden, einen zweiten Frühling.

SZ: Ihre Geburtstagsplatte mit neu eingespielten alten Liedern ist wie ein Treffen mit Freunden, die man lange nicht gesehen hat - etwa das fast vergessene "Sonntag Nachmittag".

Rainhard Fendrich: Das freut mich. Ich wollte den ganzen Kopplungen zuvorkommen, die unweigerlich zu einem runden Geburtstag passieren. Also habe ich Rückschau gehalten und mir alle meine Platten noch einmal angehört, sogar die Langspielplatten aufgelegt und war von manchen Liedern . . . berührt. Wie wenn mir das ein fremder Mensch geschrieben hätte. Ich habe mich mit einem jungen Rainhard Fendrich auseinandergesetzt, wie wenn das mein Sohn wäre. Einige Lieder habe ich auf das Album getan, weil ich nicht mehr nachvollziehen konnte, wie ich damals auf den Gedanken gekommen bin, zum Beispiel bei "Sonntag Nachmittag": Warum schreibe ich ein Lied über einen einsamen Menschen im Altenheim?

Ja, es fällt auf, dass Sie sich als junger Mensch viel mit dem Alter beschäftigten.

Ich hatte meine Midlife-Crisis mit 30. Da hatte ich eine panische Angst, dass all das Schöne, was mir von 1980 bis 1985 passiert war, plötzlich vorbei sein könnte. Und eine panische Angst davor, dass mir nichts mehr einfällt. Das war so gravierend, dass ich Lieder geschrieben habe wie "Voller Mond": "Dem alten Pfau misslingen schon die Räder." Dabei war ich fit wie ein Turnschuh. Ich habe immer jünger ausgeschaut, als ich war. Von 30 bis 49 dann habe ich in einer Phase der Zukunftsstarrheit übers Altern gar nicht mehr nachgedacht und keine Lieder mehr darüber geschrieben. Ich habe gesagt: Ich habe in meinem Leben noch jede Option, ich kann alles verkaufen und gehe nach Tokio oder nach Hawaii und mache, was ich will. Heute denke ich: So viele Dinge kann ich nicht mehr machen, weil die Zeit ist absehbar geworden.

Sie sagen das, als ob Sie das gar nicht weiter schockiert.

120 will ich eh nicht werden. Ich habe kein Problem mit einem runden Geburtstag, die Gesellschaft schon eher, weil dieser Jugendwahn um sich greift. Wenn man an die Naturvölker denkt, da hatte das Alter großen Respekt - der Rat der Weisen. Und heute hat man eine panische Angst, wertlos zu sein, weil man auch das Alter als wertlos darstellt: Die fressen uns nur die Haare vom Kopf. Das ist sehr bedenklich und auch der Grund, warum dieses Lied auf der Platte ist.

Ihre letzte Platte mit neuen Liedern von 2013 hieß: "Besser wird's nicht". Trifft das auch auf Ihre Karriere zu?

Der Titel war jedenfalls nicht auf meine Kreativität bezogen. Ich glaube nicht, dass ich im Laufe der Zeit schlechtere Lieder geschrieben habe, nur weil sie nicht mehr so im Radio liefen oder vom Publikum angenommen wurden. Ich glaube nur, dass sich die Zeit so verändert hat, dass ich über gar nichts anderes mehr schreiben kann als über düstere Themen. Deswegen wurde mir oft vorgehalten: Sind Sie depressiv? Nein, das bin ich nicht. Es ist die Zeit. Was soll man denn schreiben, wenn Terroranschläge auf der Tagesordnung stehen? Wenn viele Kriege gleichzeitig laufen und 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Wenn 90 Prozent der Bevölkerung in Armut leben. Und nur wir hier in Westeuropa auf einer Insel des Wohlstands leben, die auch auf dünnen Beinen steht. Was soll man denn schreiben?

Na, die Masse verlangt offenbar nach Ablenkung durch Schlagermusik von Helene Fischer und Andreas Gabalier.

Ich bin kein Schlagersänger, das ist Unterhaltungsmusik, und Unterhaltung darf und muss auch sein. Ich habe nichts gegen die Kollegen, die jetzt erfolgreicher sind. Ich möchte nur mein kleines Stück Land für mich haben, wo ich sage: Da passiert etwas anderes. Mich muss ein Lied berühren. Für mich ist ein Lied eine Notdurft: Es entsteht aus einem nicht nachvollziehbaren Gärungsprozess. Man muss, wenn man Lieder schreiben will, wach bleiben, interessiert bleiben. Und nicht sagen: Ich muss, ich muss, ich muss. Sondern: Ich will, ich will, ich will.

Warum haben es Lieder über ernste Themen gerade so schwer?

Mir ist aufgefallen, dass in den vergangenen 30 Jahren eine völlige Entpolitisierung des Publikums stattgefunden hat. Die Leute interessieren sich nicht mehr. Wenn man sich überlegt: In den Siebzigerjahren gab es den Vietnam-Krieg. Es wurden Hits darüber geschrieben: The Hollies, "He ain't heavy, he's my brother". Zu mir sagen sie heute: "Geh, hören'S auf mit den Geschichten, das will doch keiner hören." Das weiß ich schon. Aber ich kann es auch nicht mehr hören, dass sich die Leute über die Regierung beschweren, und am Wahltag sitzen sie im Biergarten, weil ihnen der Weg zur Urne zu schwer ist. Ich bin für die Wahlpflicht. Man wird in dieser Gesellschaft zu so vielem Saudummen gezwungen, wieso nicht zum Wichtigsten, der Demokratie? Die Macht geht vom Volke aus. Das sind halt Dinge, die regen einen Liedermacher auf. Dass eine Musik, die die Entpolitisierung bedient, erfolgreicher ist, macht mich nicht eifersüchtig, sondern einfach nur traurig. Ich merke halt, dass die Leute zum Denken aufhören.

Werden Sie häufig zu Talk-Runden im Fernsehen eingeladen?

Ja, schon, und dann werde ich wieder ausgeladen, weil der Außenminister dann doch Zeit hat. Aber ich bin auch nicht so politisch gebildet, ich sehe mich mehr als Vox populi. Ich sehe mich als mündigen Bürger, als Europäer.

Dabei hat sich Ihr Stück "I Am From Austria" zur inoffiziellen Nationalhymne Österreichs entwickelt - mitvereinnahmt von der Rechten.

Naja, nationalistisch ist das nicht, es ist ja kein Loblied: "Ich kenn die Leut, ich kenn die Ratten, die Dummheit, die zum Himmel schreit." Es war eine Antwort auf die Ablehnung Österreichs im Ausland. Da galten wir immer so ein bisserl als Nazis. Und man hat sich ja tatsächlich nie wirklich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Andererseits wird bei uns auch alles schlecht gemacht, was aus dem eigenen Land kommt. Man muss als Österreicher erst in Deutschland Erfolg haben, um zu Hause anerkannt zu werden. Dann habe ich mal aus einem Heimweh heraus dieses Lied geschrieben und unter Ferner liefen auf eine Platte gepackt, dass sich dann verselbständigt hat weil es bei vielen Leuten klack gemacht hat: trotz allem, nicht weil - "und wenn ihr wollt auch ganz allaa - I am from Austria."

Dummerweise hat dann die FPÖ das Lied für den Wahlkampf verwendet.

Und da habe ich mich gerichtlich dagegen gewehrt. Ich habe mich von dieser Partei und ihren Werten distanziert. Und habe dafür Drohbriefe bekommen und einen Shitstorm.

"I Am From Austria" wird bald auch ein Musical mit Ihrer Musik heißen. Wie tief stecken Sie in der Arbeit mit drin?

Als man mich mit der Idee angerufen hat, dachte ich zuerst: Das ist "Verstehen Sie Spaß?" Aber die meinen das ernst. Das ist kein Larifari. Das ist für mich ein Riesenkompliment. Seit ich dem Buch mal zugestimmt hatte, werde ich nur noch gebraucht, wenn ein neues Stück benötigt wird oder ein altes an die Handlung angepasst werden soll. Auftreten werde ich dabei auf keinen Fall - das wäre mir zu viel Personenkult.

Rainhard Fendrich , Fr., 15. Mai, 20 Uhr, Ballhausforum Unterschleißheim, Fr., 26. Juni, Kloster Benediktbeuern, Fr., 10. Juli, Mangfallpark Rosenheim, 21 83 73 00

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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