Geschwister-Scholl-Preis:Warten auf Gerechtigkeit

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Die Journalistin Garance Le Caisne hat die Geschichte des syrischen Militärfotografen mit dem Codenamen Caesar aufgeschrieben.

Von Johanna Pfund

Wird es denn nicht besser auf dieser Welt? Nein. Es sieht ganz und gar nicht danach aus, und erst recht nicht nach der Lektüre von Garance Le Caisnes Buch "Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie". Der Titel verheißt nichts Gutes, und der Inhalt ist nur die logische Fortsetzung dessen. Die französische Journalistin Le Caisne hat die Erzählungen von Syrern protokolliert, die Widerstand gegen den Machthaber Baschar al-Assad leisten. Allen voran der Mann mit dem Pseudonym Caesar, ein Militärfotograf, dessen Aufgabe jahrelang darin bestand, Leichen zu fotografieren, die aus den Gefängnissen der verschiedenen Geheimdienste stammten. Zehntausende der Fotos hat er außer Landes geschmuggelt, mittlerweile ist er selbst im Exil. Wie schon vor zwei Jahren der amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der über den Whistleblower Edward Snowden schrieb, so erhält die Journalistin Le Caisne dieses Jahr den Geschwister-Scholl-Preis sozusagen stellvertretend für den eigentlichen Protagonisten Caesar.

Die Aufgabe von Caesar bestand darin, Leichen aus den Gefängnissen zu fotografieren

Es ist ein Werk, das die Kriterien des Geschwister-Scholl-Preises allesamt erfüllt. Ein Buch jüngeren Datums soll ausgezeichnet werden, das erstens von Unabhängigkeit zeugt, zum anderen Mut fördert und dem Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse gibt. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Landesverband Bayern, und die Stadt München verleihen die Auszeichnung gemeinsam, nun zum 37. Mal. Und dieses Mal geht sie an Le Caisne.

Die französische Journalistin ist mit dem Nahen Osten seit Jahrzehnten vertraut. Vor zweieinhalb Jahren erhielt sie den Auftrag, eine Geschichte über den Fotografen zu schreiben, der unter Lebensgefahr all die Bilder kopierte, die er von den Geschundenen und schließlich Getöteten gemacht hatte - ein Beleg für das Vorgehen des Regimes. Es dauerte Monate, bis sich der 2013 geflüchtete Mann zu Gesprächen bereit erklärte. Die Protokolle stellt Le Caisne neben Berichte über Außenministerkonferenzen, neben Geschichten, die Rebellenführer, Ärzte, Widerstandskämpfer erzählen. Da ist zum Beispiel der Helfer Sami, der der Syrischen Nationalbewegung angehört, da ist ein Arzt aus Homs, da ist Abu Khalid, Kommandant einer Rebelleneinheit aus dem Qualamun-Gebirge. Alles ohne Fotos, aber das reicht.

Vier Jahre Bürgerkrieg haben Syrien in einen Trümmerhaufen verwandelt. Das einstige Miteinander gibt es nicht mehr. (Foto: Yasin Akgul/AFP)

Das Grauen kommt für den Protagonisten wie auch den Leser langsam und steigert sich. "Vor der Revolution befassten wir uns mit Soldatenleichen. Danach machten wir mit den Zivilistenleichen weiter. Als sei alles Routine", erzählt Caesar. Nummern werden auf die Toten gemalt, alle werden fotografiert, alles wird dokumentiert, samt Angabe der Todesursache. Diese ist oft Herzversagen - eine Todesursache, die auch die Nationalsozialisten oft bei den Opfern der Konzentrationslager aufführten. Die Verletzungen, die Caesar fotografiert, werden schlimmer, die Körper sind übel zugerichtet.

Die Berichte der Betroffenen, die Le Caisne einfügt, verdichten das Bild. Das Syrien des Miteinander ist verloren gegangen. Der Kinderarzt Zakaria, der später helfen wird, die Fotos zu analysieren, sagt: "Meine alawitischen Freunde, mein christlicher Gymnasiallehrer . . . Wo sind sie heute? Das syrische Mosaik gibt es nicht mehr." Statt dessen Verhaftungen aus heiterem Himmel, Ungewissheit. Familien zahlen enorme Summen allein für die Nachricht, ob einer der ihren tot ist. Man weiß nie, ob man Rebellen oder dem Militär in die Hände fällt, Syrien hat sich in einen Flickenteppich aus Hoheitsgebieten verwandelt. Caesar beschreibt das. Ein Rebell lässt ihn an einer Straßensperre passieren, obwohl Caesar als Militärfotograf den Gegnern angehört. Später fragt Caesar den Rebellen: "Warum hast du mich passieren lassen? - Weil ich dich kenne. Aber du solltest die Regierungstruppen verlassen."

Noch macht Caesar das nicht. Mit Hilfe seines Freundes Sami arbeitet er weiter. Er kopiert die Fotos, schmuggelt USB-Sticks in den Schuhen oder im Gürtel nach draußen. Die Dokumentation des Grauens ist ihm ein Rätsel. "Warum sie letztendlich diese zu Tode gefolterten Körper fotografieren - das ist eine Frage, auf die nur das Regime eine genaue Antwort geben könnte. Und ich bin mir sicher, dass sie damit weitermachen, trotz der Fotos, die ich hinausgeschmuggelt habe."

Im Januar 2014 werden die Bilder ins Internet gestellt. Die Syrer berichten in den USA und bei den Vereinten Nationen. Deren Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien bezieht sich im August 2014 auf die Akte Caesar und bestätigt die Echtheit der Bilder - was Syriens Präsident Assad anzweifelt.

Bei seiner Flucht 2013 war Caesar optimistisch. "Die Enthüllung steht kurz bevor, die Gerechtigkeit wird ihren Lauf nehmen." Das scheint in weiter Ferne zu sein.

Geschwister-Scholl-Preis, Lesung mit Garance Le Caisne, Di., 22. 11., 20 Uhr, Lehmkuhl.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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