Geschichtsschreibung:Kriegsfolgen

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Antony Beevor, geboren 1946, britischer Historiker des Krieges, der die Kunst des Erzählens beherrscht. (Foto: Chris Jackson/Getty Images)

Der englische Historiker Antony Beevor ist einer der großen Erzähler der Kriege im zwanzigsten Jahrhundert. Nun wird er 70 Jahre alt.

Von Joachim Käppner

Antony Beevor ist mit einem Begriff aufgewachsen: the good war, der gute Krieg, der Krieg für das Gute. Er prägte die Erinnerungen und Erzählungen der Erwachsenen. Beevors Vater gehörte einer britischen Spezialeinheit an, die in Italien gegen die Wehrmacht kämpfte. Der junge Antony Beevor, 1946 geboren, schien wie viele seiner Generation den Wegen der Väter folgen zu wollen und wurde Panzersoldat bei den 11th Hussars. Er verbrachte einige Zeit bei der britischen Armee in der Bundesrepublik. Dass er die Soldaten verließ und zum wohl bekanntesten britischen Historiker wurde, ist freilich ebenfalls eine Folge der Gespräche mit dem Vater. Beevor senior hatte ihm von einem Gefangenen in deutscher Uniform berichtet, der die Briten verblüffte und den niemand verstand - ein Tibeter. In einem Gespräch erzählte Beevor, wie sehr ihn diese Geschichte faszinierte: "Erst hatte ihn die Rote Armee an der Grenze zu Tibet zwangsrekrutiert, dann geriet er in deutsche Gefangenschaft und schließlich in britische - alles, was dieses Jahrhundert der Kriege ausmachte, ist in dieser Geschichte enthalten."

Das menschliche Schicksal im Krieg und der Zwang zu moralischen Entscheidungen - das ist das Motiv, dem Beevor in seinen Büchern folgt. Er verbindet dabei hohe angelsächsische Erzählkunst - über die sich fremdwortverliebte deutsche Kollegen gelegentlich mokieren, als sei Lesbarkeit ein wissenschaftlicher Makel - mit einer nüchternen, sich gängigen Deutungsgewohnheiten verweigernden Analyse. Das hat seine Bücher "Stalingrad" und "Berlin 1945" zu Welterfolgen werden lassen. Beevor beschrieb, was der Krieg mit und aus Menschen macht; schonungslos schilderte er, ohne Angreifer und Verteidiger moralisch gleichzusetzen, die ungeheure Brutalität auf beiden Seiten, sogar gegenüber den eigenen Soldaten und Zivilisten. Unter älteren Deutschen und in Putins Russland hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht. Die Feindseligkeit russischer Offizieller, die sogar ein Verbot seiner Bücher erwogen, ist ein trauriges Paradox, denn es war Beevor, der gegen eine gewisse historische Selbstverliebtheit der Briten und Amerikaner anschrieb und eindringlich schilderte, wie die Rote Armee die Hauptlast des Krieges gegen Hitler trug.

Mythen sind seine Sache nicht; so mag der D-Day 1944, über den er 2009 ein Buch schrieb, die Krönung des good war gewesen sein, an dessen Berechtigung Beevor nicht zweifelt. Doch was andere Autoren als einen Fall für die Fußnoten betrachteten, schilderte er ausführlich: Der Preis für den Sieg in Frankreich waren Zehntausende französische Zivilisten, die den Bomben der Befreier zum Opfer fielen.

An diesem Mittwoch wird Antony Beevor siebzig Jahre alt. Zuletzt erschien sein Buch über die Ardennenoffensive 1944 ( SZ vom 14. November). Er lebt mit seiner Frau, der Historikerin Artemis Cooper (sie schrieb 2012 die Biografie des berühmten britischen Schriftstellers Patrick Leigh Fermor) in einem schönen alten Haus in London. Dort leitet er, ganz Old-Style-Gentleman, Gäste zum Tee ins mit Büchern vollgestellte Arbeitszimmer und spricht gern mit feiner Ironie über Geschichte als Waffe der Mächtigen zur Rechtfertigung heutiger Fehlleistungen. Törichten Gleichsetzungen à la "Saddam war der neue Hitler", "Russland kämpft in der Ukraine gegen den Faschismus" oder umgekehrt "Der Westen betreibt Putin gegenüber Appeasement wie in den 30ern gegen Hitler" ist Beevor stets entgegengetreten. Diese, sagt er, seien von "beängstigender Oberflächlichkeit".

In einem Jahr, das die alten angelsächsischen Demokratien zutiefst erschüttert hat, gehört Antony Beevor zu jenen Stimmen der Vernunft, die daran erinnern, wie wertvoll diese Staatsform ist und bleibt.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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