Geschichte der Geheimdienste:007 für drei Monate

Lesezeit: 3 min

Der lange Weg zu al-Qaida: Eine Londoner Tagung beschäftigt sich mit der Rolle der Geheimdienste.

Alexander Menden

Dass diese Tagung mit dem Titel "Keeping Secrets" kurz vor Ian Flemings 100. Geburtstag, dem 28. Mai, stattfand, sei Zufall, beteuerten die Koordinatoren vom Deutschen Historischen Institut in London. Die erste Anspielung auf Flemings Superagenten James Bond ließ allerdings nicht lange auf sich warten: Der Historiker Christopher Andrew behauptete, er habe in Cambridge ein "007"-Nummernschild an seinem Fahrrad, das ihm die Lizenz verleihe, Fußgänger zu überfahren. Doch der kritische Diskurs über die politische Rolle der Geheimdienste zwischen 1914 und 1989 hielt sich von Klischees fern.

Unter den in London teilnehmenden Historikern, Sicherheitsberatern, Militärs und ehemaligen Mitarbeitern westlicher Dienste waren einige der bedeutendsten Experten auf dem Feld internationaler Spionage - einem Feld, mit dem sich die Geschichtswissenschaft erst seit relativ kurzer Zeit intensiver auseinandersetzt. Darauf verwies im Eingangsvortrag Christopher Andrew, der neben einer Cambridge-Professur auch den Posten als offizieller Geschichtsschreiber des britischen Inlandsdienstes MI5 innehat.

Es wachse eine Historikergeneration heran, die viele überkommene Einschätzungen politischer Entscheidungen "widerlegen" werde, weil sie Daten aus geheimdienstlichen Quellen in die Forschung einbezögen, so Andrew. So werde die "kognitive Dissonanz in der Wahrnehmung internationaler Beziehungen im 20. Jahrhundert therapiert".

Bolschewistisch unterwandert

Die geschilderten historischen Beispiele zeugten vor allem von zahlreichen Missverständnissen zwischen den agierenden Diensten, zu denen das Festhalten an nationalen Stereotypen und Unkenntnis der Prioritäten bei Gegnern wie potentiellen Verbündeten viel beitrugen. So beschrieb Peter Jackson (Aberystwyth) den sehr zögerlichen Austausch von Informationen zwischen den französischen und britischen Diensten vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Lange habe es keine institutionalisierte Zusammenarbeit gegeben, unter anderem, weil der französische Dienst fest in die Armee integriert war. Die Briten aber wollten Frankreich, trotz zunehmender Bedrohung durch die deutsche Aufrüstung, angesichts der Opfer des Ersten Weltkriegs militärisch nicht mehr unterstützen. Hinzu kam die unbegründete Angst, Frankreich sei "bolschewistisch unterwandert".

Auf sowjetischer Seite galten zu jener Zeit ebenfalls erstaunliche Prioritäten für die Geheimdienstarbeit, wie Jonathan Haslam (Cambridge) berichtete: Stalin habe noch in den vierziger Jahren, unter unmittelbarer Bedrohung durch deutsche Angriffe, einen Großteil seiner geheimdienstlichen Ressourcen mit der Jagd auf "Konterrevolutionäre", speziell auf Trotzkisten, gebunden.

Die ideologische Verblendung und Behinderung der effizienten Arbeit vor allem jener Agenten, die für totalitäre Systeme arbeiteten, beschränkte sich nicht auf die sowjetische Seite. Zwar sammelten deutsche Agenten im Dritten Reich, unter anderem geleitet vom späteren BND-Mitbegründer Reinhard Gehlen, reichlich Informationen über die technische Ausstattung des Gegners. Auf die taktischen Entscheidungen Hitlers hätte dies aber keinen Einfluss gehabt, so Gerhard Weinberg (Chapel Hill). Diese seien rein "ideologisch begründet gewesen, da Hitler, wie Stalin, einen Großteil des Schwachsinns glaubte, den er von sich gab".

Die Anonymität

Über die unterschiedlich intensive Nutzung von Geheimdienstinformationen durch verschiedene US-Regierungen während des Kalten Krieges berichtete John Prados vom National Security Archive, Washington. Er exemplifizierte dies an der sogenannten "President's Daily Brief" (PDB), einem Geheimdokument über die wichtigsten globalen Entwicklungen, das dem amerikanischen Präsidenten allmorgendlich überreicht wird. Während Dwight D. Eisenhower sich aktiv um den Ausbau der Dienste gekümmert und großes Interesse an der PDB gezeigt habe, habe ein Berater Ronald Reagans die ungelesenen PDBs in seiner Garage gestapelt.

Die entscheidende Frage bei der wissenschaftlichen Forschung mit Geheimdiensten lautet allerdings, wie viel des zugänglichen Materials aus den sogenannten "Intelligence"-Quellen überhaupt aussagekräftig ist. Laut Richard Dearlove liegt den Diensten viel daran, dass möglichst wenige Details ihrer Arbeit nach außen dringen. Dearlove, heute Rektor des Pembroke College in Cambridge, war bis 2004 Leiter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6.

"Es gibt eine Menge Erkenntnisse, von denen niemand in diesem Raum irgendetwas ahnt", stellte er im Podiumsgespräch mit leicht triumphalem Unterton fest. Dies liege vor allem daran, dass die Anonymität der betroffenen Agenten "bis heute intakt" sei. Über die Schädlichkeit der Offenlegung von Geheimdienstaktivitäten waren sich alle Beteiligten einig.

James Pavitt, von 1999 bis 2004 Chef der CIA-Abteilung für "HUMINT", Informationsbeschaffung durch direkten persönlichen Kontakt, griff bemerkenswert scharf die "arrogante" amerikanische Geheimdienst-Reform von 2004 an, welche den Menschen "ein falsches Gefühl von Sicherheit" gegeben und die CIA "auf den Kopf gestellt" habe.

Die ehemalige MI6-Agentin Baroness Park of Monmouth, die früher in Vietnam, Moskau und dem Kongo arbeitete, betonte, HUMINT sei gerade in der heutigen Zeit wichtigste Informationsquelle: "In Ländern, in denen es keine Akten zu stehlen gibt, muss man mit den Menschen reden", so die 86-Jährige.

Das Terrornetzwerk al-Qaida sei "wie ein Vogelschwarm", befand Richard Dearlove. Im Kalten Krieg habe ein einmal in den KGB eingeschleuster Agent Jahrzehnte Informationen liefern können. Heute dauere es bis zu fünf Jahre, um einen Al-Qaida-Informanten zu installieren, der dann "maximal drei Monate" arbeiten könne. Die Herausforderungen seien so groß, dass viele Geheimdienste gar nicht erst versuchten, sich dort einzuschleusen. "Sie können aber sicher sein", so Dearlove, "dass die an diesem Tisch vertretenen Dienste nicht dazu gehören."

© SZ vom 23.04.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: