Geoff Muldaur über den Summer of Love:Der Himmel der Hipster

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Im Sommer 1967 lebte der musikbegeisterte Untergrund der USA seinen Traum von der besten aller Welten. Einer der damals größten Blues-Sänger, Geoff Muldaur, erinnert sich an diese Zeit und an einen Auftritt mit den Doors.

Geoff Muldaur

Der Gitarrist Richard Thompson hat gesagt, es gebe nur drei Weiße, die den Blues singen könnten und zwei von ihnen seien Geoff Muldaur. Trotz Hits wie der Filmmusik zu "Brazil" und eines Emmy-Awards hatte sich diese Kultfigur der sechziger Jahre für lange Zeit aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Doch wo für andere das Rentenalter beginnt, startete er eine zweite Karriere - und ist besser denn je. Hier erinnert er sich für die SZ exklusiv an das Jahr 1967.

Die "Jim Kweskin Jug Band" sollte sich am 9. Juni 1967 die Bühne des Fillmore in San Francisco mit einer dieser neuen, elektrifizierten Folkrockgruppen teilen. Unser beider Namen standen gleichgroß auf dem Plakat. Die neue Band war das Projekt meines Freundes Paul Rothchild, der auch mein erstes Solo-Album produziert hat und bereits eine große Erfahrung damit hatte, neue Talente auf der Szene zu etablieren. Nach ein paar Fehlversuchen hatte er sich nun in Los Angeles ein paar grüne Jungs geschnappt und aus ihnen eine vielversprechende Truppe geformt. Jetzt sollten sie das "neue Mekka der Kultur" - sprich San Francisco - erobern.

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Als der Termin in San Francisco näher rückte, waren allerdings die Nobodys aus L.A. bereits zu veritablen Stars geworden und wir damit zur Vorgruppe degradiert: Ihr Name war "The Doors". Bruce Conner, ein Künstler aus dem Gegenkulturmilieu von San Francisco, der Filme machte und quasi die Lightshow erfand, brummte damals etwas von wegen "Summer of Love" und dem "Anfang vom Ende". Damit sollte er recht behalten.

Unser Leben in den USA des Jahres 1967 war eine Idylle verglichen mit heute. Damals fanden wir zwar das System verkommen und den Krieg schrecklich, aber unserer Wirtschaft ging es gut, die Infrastruktur funktionierte; die meisten waren krankenversichert, und die Steuern richteten sich nach dem Einkommen und Schluss. Der Mittelschicht ging es blendend. Wer zur Schule ging oder studierte, lernte Dinge, mit deren Hilfe man ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen konnte in einer prinzipiell intakten Gesellschaft.

Für mich hieß das damals, zusammen mit Maria und unserer Tochter Jenni in Cambridge, Massachusetts zu wohnen und zwar in einer Sechszimmerwohnung, die nur 90 Dollar kostete, obwohl es sich um eine bevorzugte Wohngegend handelte. Ich fuhr die Wocheneinkäufe, deren Preis selten 20 Dollar überstieg, in einem nagelneuen, gelben Ford Mustang Cabriolet nach Hause. Unser Arbeitsrhythmus war gemächlich, und wir hatten praktisch jeden Abend Zeit, im Club 47 vorbeizuschauen, um unseren Freunden beim Musikmachen zuzuhören, nachdem wir entweder vorher zusammen groß aufgekocht hatten oder beim Griechen, Italiener oder Libanesen essen waren.

Waren Duke Ellington, John Coltrane oder Ali Akhbar Khan in der Stadt, dann hatten wir Karten. Wenn die "Red Sox" spielten oder die "Celtics", dann waren wir im Stadion. Wenn es spät wurde, dann standen wir an der Bar des Oxford Grill oder verrammelten die Türen des Club 47, hörten Rembetika-Musik und tranken Ouzo mit dem Besitzer Byron Linardos. Vielleicht trafen wir uns auch in der Wohnung von Fritz Richmond, verringerten seine Haschisch-Vorräte und warfen Münze auf Münze in seine wunderbare Musikbox. Oder wir fielen bei Eric von Schmidt ein, gaben mit unserem Gitarren-Picking an oder spielten Poker.

Gern besuchten wir auch Richard Farina, wo wir viel sangen und musizierten - aber hauptsächlich starrten wir Mimi Farina an. Es war einfach eine Party, die nicht enden wollte. Essen einkaufen, Pilze suchen oder Wasserkresse, fischen, Muscheln sammeln, schwimmen, Boule spielen in den Dünen und Musik, Musik, Musik. Wir schienen alle so unendlich viel Zeit zu haben. Und wir wollten auf keine Minute verzichten. Das Leben war ein Fest.

Aber die Dinge änderten sich. Man traut sich ja kaum mehr, das Wort "Verschwörung" in den Mund zu nehmen, weil es so abgenutzt ist wie "liberal" zum Beispiel, aber meiner Meinung nach handelt es sich um eine Verschwörung, die mit Hilfe der Pappkameraden Nixon, dann Reagan, dann den Bushs ...

Aber ich schweife ab. Das Thema ist ja der "Sommer der Liebe": Nachdem wir also mit den Doors in San Francisco gespielt hatten, trat die Jim Kweskin Jug Band noch bei einem halben Dutzend anderer Festivals auf, wo wir die Bühne teilten mit "Lovin' Spoonful", "Peter, Paul and Mary", "Canned Heat", Dionne Warwick und vielen anderen tollen Musikern. 1967 war das Jahr der Festivals. Die breite Öffentlichkeit hatte plötzlich Gefallen gefunden an unserer Musik, die eigentlich in Cafés und Nebenzimmern von Studentenclubs daheim war und nun Zehntausende anlockte.

Wir Stadtkinder, die wir in den Fünfzigern und Sechzigern aufwuchsen, wir Kinder der modernen Lyrik, des Jazz, des Abstrakten Expressionismus, des Rhythm'n'Blues, wir Beatniks fanden es einen Widerspruch in sich, dass eine Sache "hip" und gleichzeitig bei der Mehrheit der Bevölkerung beliebt sein konnte. Das ging einfach nicht. Wir tanzten zur Musik eines Little Richard - der Plebs dagegen schwofte zur Musik eines Pat Boone.

Das Ende des Goldenen Zeitalters

Nur die Gegenkultur war hip. Wer es mit der Masse hielt, war unhip. Wir waren hip, die anderen waren Herdenvieh. Und gerade in San Francisco konnte man ja andauernd miterleben, was passierte, wenn die Masse die Hipster umarmte: Jedes Wochenende fielen nun die als Hippies verkleideten Bankangestellten und Buchhalter auf Motorrädern in die Stadt ein und nahmen den eigentlichen Hipstern die Luft zum Atmen.

Hinzu kam, dass sich auch die Musikindustrie im Umbruch befand. Die kleinen Firmen, die regionale Märkte und ihre kulturellen Eigenheiten bedienten, verschwanden, wurden aufgekauft und ausgebootet von den Firmen, die ganz Amerika und die ganze Welt versorgten. Ein Ray Charles oder eine Aretha Franklin konnte da mithalten - aber Musiker, deren Songs sich nicht glätten ließen, Johnny Otis etwa oder Big Mama Thornton oder Guitar Slim, für die war's vorbei. Das ging ganz stark auf Kosten der Originalität der Musik.

Was 1967 in großem Stil abging, kann man unter Publikumsverdummung subsumieren. Dass einer wie Jimi Hendrix in Monterey seine Gitarre in Flammen aufgehen ließ, hätte ein schwarzes Publikum irgendwo im Süden nur ein müdes Lächeln gekostet. Die waren noch die "Blind Boys of Alabama" oder die "Swan Silvertones" oder James Brown oder Joe Tex gewohnt mit ihren unfassbaren Bühnenshows, mit wahnwitziger Akrobatik, durchgeknallter Theatralik und einem Spagat nach dem anderen und zwar taktgenau: Ich selbst durfte das 1957 noch miterleben, die "Coasters" hatten das drauf.

Aber so ist das: Kein Goldenes Zeitalter dauert ewig. So sind die Zeiten einer Maria Callas, eines Pepe Marchena, einer Oum Kalthoum, eines Ioannis Papaioannou oder Louis Armstrong, eines Bela Bartok oder Blind Lemon Jefferson unwiederbringlich dahin. Wir können ihre Aufnahmen nur mit derselben Andacht und Dankbarkeit hören, wie wir die Kunstwerke der Renaissance bestaunen. Aber es gibt immer auch Ausnahmen.

B. B. King ist eine solche Ausnahme. Tausende weiße Bübchen haben nachgemacht, was er vorgespielt hat - und er ist immer noch aktiv. Es war ebenfalls in diesem Sommer 1967, dass ich B. B. King zum ersten Mal getroffen habe. Es war beim Newport Folk Festival. Er hat meiner Tochter Jenni eine Tüte Popcorn gekauft. Ich habe ihm damals die Hand geschüttelt und insgeheim geschworen, sie mir nie wieder zu waschen. Kaum sind vierzig Jahre vergangen, soll ich die Bläser für seine nächste Platte arrangieren.

Das Leben kann einfach wunderbar sein - wenn man am Leben bleibt. Es brennt vielleicht nicht mehr alles so lichterloh für mich wie 1967, als Jim Morrison sang: "This is the end . . .", aber das gilt nur für dich, Jimmy Boy. Nicht für mich.

© SZ vom 22.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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