Generationenschau in Venedig:Paschas, Pappas, Pantoffelhelden

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Selten sah man soviele Filme, die von einer Liaison zwischen einem alten Mann und einer jungen Frau erzählen. Und völlig neu ist, dass die alten Herren dabei eine unglaublich gute, sympathische und anrührende Figur abgeben.

RAINER GANSERA

Das Festival ist für den Beobachter kein tändelnder Spaziergang über Lidostrände, durch Filme und After-Show-Parties. Man macht sich auch ernsthafte Gedanken: über den Stand der Dinge, über den durch die Filme möglicherweise schwebenden Zeitgeist. Man fragt sich zum Beispiel, warum dieses Jahr derart viele Filme Geschichten von einer Liaison zwischen einem alten Mann und einer jungen Frau erzählen, und vor allem: warum die alten Herren dabei eine derart gute, sympathische und anrührende Figur abgeben. Es begann mit Robert Bentons Verfilmung von Philip Roths Roman "The Human Stain": tragische Liebesgeschichte zwischen einem 71-jährigen Uni-Professor und einer 34-jährigen Putzfrau. Dann Jacques Doillons "Raja": eine mitreißende, subtil-aufwühlende Beinahe-Liebesgeschichte zwischen einem 60-jährigen Franzosen und seiner 19-jährigen marokkanischen Haushaltsgehilfin. Und dann kamen zwei von Frauen inszenierte Filme, die erstaunlicherweise noch deutlicher, noch männerfreundlicher akzentuierten: Sofia Coppolas "Lost in Transition" und "Les sentiments" von Noémie Lvovsky .

Kein Generationenkonflikt und auch sehr sympathisch: George Clooney und Cartherine Zeta-Jones bei der Präsentation ihres gemeinsamen Films "Intolerable Cruelty" in Venedig. (Foto: Foto: AP)

Das Thema ist uralt, biblisch. Immer schon durften die alten Patriarchen sich bedenkenlos mit jungen Frauen versorgen und vergnügen. Sie hatten die Macht. Wir haben gelernt, dem Feminismus sei Dank, dass diese Patriarchen böse sind und entmachtet werden müssen. Das wurde natürlich auch im Kino programmatisch. Macho-Destruktion und neue Männerbilder - sanfte Liebhaber, fürsorgliche Väter - flackerten über die Leinwand. Mit "American Beauty" wurden die Karten neu verteilt. Da ist die Ehefrau eine bitterbös-zickige Karrieristin, und auf den von der Midlife-crisis gebeutelten Mann fallen die Rosenblätter jugendlichen Begehrens herab. Der vom Pascha-Thron gestoßene Mann darf wieder zum positiven Helden werden und also sind auch die Alte-Männer-junge-Frauen-Geschichten nicht weiter degoutant.

Unendlich zart und genau zeigt Sofia Coppola in "Lost in Translation" (bislang der beste Film der Mostra) die Bande, die sich zwischen dem alternden, von seinem Job angeödeten, von der Ehefrau gedemütigten Schauspieler und der jungen Studentin, die sich in Tokio einsam und verlassen fühlt.

Es geht dabei gar nicht vorrangig um sexuelle Attraktionen, sondern um Seelenverwandschaft und - freilich erotisch grundierte - Freundschaft. In Noémie Lvovsky: "Les sentiments" steht der Mann einmal vor dem Spiegel, sucht nach den Spuren des Alterns, findet sich hässlich, unansehnlich, abgewrackt. Dann aber begegnet er der jungen hübschen Frau, die seine Bewegungen elegant, seine Hände schön, und seine Augen geheimnisvoll findet. Schon blüht er auf. Auch dies also eine Wiedererweckungsgeschichte. Vaterfiguren müssen nicht mehr vom Sockel gestossen werden. Sie sind entmachtet, und man darf sie aus der Tristesse ihres Schattendaseins hervorholen ins Licht einer neuen Anerkennung

In diesem Zusammenhang wirkt der russische Wettbewerbsbeitrag "Vosvrascenje" (The Return) von Andrey Zvyagintsev altmodisch. Er handelt von einem Vatermord. Nach zwölfjähriger Abwesenheit kehrt ein Vater zu seiner Familie zurück und nimmt seine beiden Teenager-Söhne mit auf eine Landpartie, zum Fischen. Dabei erteilt er ihnen einige Lektionen darüber, wie man ein richtiger Mann wird. Wie man also lernt, sich zu behaupten, sich durchzusetzen, sich nicht klein kriegen zu lassen.

Als er seinen Söhnen zum erstenmal begegnet, blättern diese gerade in der Bibel, sehen sich eine Illustration der Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham an. Das Szenario ist klar, die Symbole sind überdeutlich. Auch wenn dieser Vater gar kein furchtbar schlimmer Tyrann ist: seine Art des Mannseins hat keine Zukunft mehr. Mit großen Vorschusslorbeeren bedacht, erreichte "The Return" den Lido. Es hieß sogar, der Film sei so phänomenal gut, dass die Mostra ihn durch allerlei diplomatische Tricks dem Festival von Locarno abspenstig gemacht habe. Wie es dann kommen muss - er erweist sich als Enttäuschung. Ein Debütfilm, der sicher besticht durch schön fotografierte Bilder, durch eine expressive Qualität der Landschaften und durch seine Akteure - aber die Erzählung bleibt doch in einer banalen Geheimniskrämerei stecken, so dass man sich nicht wirklich für diese Vatermord-Elegie interessieren mag.

Elaboriertes Kunstkino der herb-provokativen Art bietet der Franzose Bruno Dumont mit "Twentynine Palms", der sogleich zum höchst umstrittenen Werk am Lido avancierte. Dumont, bekannt geworden durch seine beiden in Cannes preisgekrönten Filme "La vie de Jesus" (1997) und "Humanité" (1999), schickt ein Paar - amerikanischer Fotograf, russische Begleiterin, David Wissak und Katia Golubeva - in die kalifornische Wüste, in einen Liebesfilm, der zum Horrorfilm mutieren soll. Eine Geschichte, deren Motive hinlänglich bekannt und simpel gereiht sind: Liebeserklärung, Eifersucht, Streit, Versöhnung, neuerliche Entfremdung, Prügelei, Versöhnung . . . und dazwischen immer wieder allerlei Begattungsszenen: im Swimmingpool, im Motel-Bett, auf wildromantischen Felsen. Allerdings ist Dumonts mise en scène eine ausdrückliche Neutralisierung und Verweigerung herkömmlichen Geschichtenerzählens. In ewig langen Einstellungen sollen Story, Sinn und Bedeutung des Geschehens versickern in der Konkretion physischen Daseins, um beim nächsten Schnitt wieder aufgerufen zu werden. Manche der Plansequenzen sehen aus wie unfreiwillig groteske Living-Theatre-Übungen, manche wie die quälerischen Versuchsanordnungen eines Eustache-Films.

Einerseits möchte man "Twentynine Palms" verteidigen, weil er visuell und in seiner rückhaltlosen Darstellung stärkste Momente hervorbringt, die sich dem Gedächtnis einbrennen. Andererseits führt Dumonts Wille zur völligen Hingabe an die Konkretion dann doch zu flachen Abstraktionen und lächerlichen Symbolismen. Sein Hyperrealismus endet als gehaltloser Manierismus.

© SZ v. 04.09.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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