Gemälde in Zürich gestohlen:Mit vorgehaltener Pistole

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Offenbar waren die Sicherheitsvorkehrungen zu schlecht: Die brutalen Diebe der Millionenbeute aus Zürich hatten ein leichtes Spiel.

Stefan Koldehoff

Zwei Minuten brauchten die Täter für den spektakulärsten Kunstdiebstahl seit Jahren. Aus der Sammlung E. G. Bührle in Zürich sind vier impressionistische Gemälde mit einem geschätzten Wert von mehr als 180 Millionen Franken (110 Millionen Euro) entwendet worden.

Eines der gestohlenen Gemälde: Edgar Degas' "Graf Lepic und seine Töchter". (Foto: Foto: Reuters)

Es sind Meisterwerke der Klassischen Moderne: das "Mohnfeld bei Vetheuil" von Claude Monet sowie Werke von Cézanne, van Gogh und Degas. Weil die Bilder so bekannt sind, lassen sie sich auf dem legalen Markt nicht verkaufen. Laut Polizei waren drei Männer am Sonntagnachmittag in die Villa im feinen Stadtteil Seefeld gestürmt, bedrohten die Anwesenden, rissen die erstbesten Gemälde von der Wand und flüchteten in einem weißen Auto.

Die Täter kamen am Sonntagnachmittag kurz vor halb fünf durch den Haupteingang des 120 Jahre alten Bürgerhauses an der Zürcher Zollikerstraße. Die drei trugen Sturmhauben mit Sehschlitzen, einer drohte mit der Pistole und zwang mit slawischem Akzent die Besucher, sich flach auf den Boden zu legen. Seine Komplizen liefen in den großen Galerieraum im Erdgeschoss, rissen die ersten vier Gemälde von den Wänden, derer sie habhaft werden konnten, und trugen sie im Laufschritt in einen weißen Lieferwagen, der vor der Tür wartete.

Zwar schrillte sofort die Alarmanlage, mit der die vier Gemälde gesichert waren. Bis die Polizei am Tatort eintraf und die Kunstfreunde zu reagieren wagten, waren die Täter allerdings entkommen - im Gepäck vier Kunstwerke der klassischen Moderne von unschätzbarem Wert: den 1890 entstandenen "Blühenden Kastanienzweig" von Vincent van Gogh, das 1879 in Vétheuil gemalte "Mohnfeld" von Claude Monet, Degas' um 1871 entstandenes Bildnis des Comte Lepic mit seinen beiden Töchtern in weißen Kleidern und den "Knaben mit der roten Weste", dem Paul Cézanne im Jahr 1894/95 einen viel zu langen Arm malte, der aber trotzdem zu einer Ikone des Postimpressionismus wurde.

Am Montag schwankten die Angaben über den Wert der Bilder zwischen 66 und 113 Millionen Euro; solche Summen sind meistens unseriöse Annäherungswerte.

Desolate Sicherheitsvorkehrungen

Ihr Ziel hatten sich die Täter geschickt ausgesucht. Das kleine Privatmuseum der "Stiftung E.G. Bührle" liegt oberhalb des Zürichsees in einem ehemaligen Wohngebäude des Industriellen Emil Georg Bührle. Dieser, 1890 in Pforzheim geboren, machte während des Krieges ein Vermögen damit, Waffen aus seinem Oerlikon-Bührle-Konzern sowohl an die Nationalsozialisten als auch an ihre Gegner zu verkaufen.

Vom Erlös kaufte der studierte Kunsthistoriker neben Altmeistergemälden von Boucher und Géricault, Goya und Hals eine der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen der klassischen Moderne zusammen. Rund 200 Werke brachte Bührles Familie 1960, vier Jahre nach dem Tod des Patriarchen, in eine Stiftung ein. Seither hortet das kleine Privatmuseum von van Gogh und Cézanne je sieben Hauptwerke, von Monet fünf, von Degas acht.

Besonders gut gesichert schien die Sammlung Bührle nie. Wer das Haus im Sommer besuchte und über die knarrenden Dielen im Erdgeschoss den Hauptsaal betrat, fand die Tür zur Terrasse oft weit geöffnet. Dort saß ein freundlicher älterer Herr auf einem Stuhl und las in der Zeitung. Mehr Wachpersonal war nicht sichtbar. Kameras, die Diebe abschrecken könnten, waren nicht zu sehen. Von der Terrasse führte ein Weg um das Haus herum direkt zum Parkplatz. Weit wäre auch dieser Weg für Kunsträuber nie gewesen.

Zahlungsmittel oder Geldwäscherei

Die Brutalität, mit der die Täter vorgingen - anders als die Räuber beim ausgeklügelten Picasso-Diebstahl vergangene Woche in Pfäffikon -, deutet darauf hin, dass es ihnen nicht um die Kunst selbst ging. Die drei Männer hätten, so berichteten Augenzeugen, die ersten vier Bilder mitgenommen, die neben der Eingangstür hingen. Mehr hätten sie nicht tragen können. Eine Rückkehr war ihnen wegen der ausgelösten Alarmanlage offenbar zu riskant.

Dass sie Besucher mit einer Pistole bedrohten, erinnert an den Diebstahl des "Schreis" von Edvard Munch in Oslo, bei denen die Täter mit abgesägten Gewehren ins Museum stürmten, oder den Raub der "Madonna mit der Spindel" in Schottland, bei der einer Aufseherin ein Messer an die Kehle gesetzt wurde. Der ehemalige Leiter der Kunstabteilung von Scotland Yard in London, Charles Hill, hat schon vor einigen Jahren auf die Ursachen dieser Brutalität hingewiesen: Nach der Aufweichung der Armeen in vielen Ländern des Balkans und der ehemaligen Sowjetunion mit unzähligen Arbeitslosen böten viele Mitglieder von Spezialkommandos ihre Dienste auch im Westen an. Dazu kämen die Rekordpreise am Kunstmarkt - und nach wie vor desolate Sicherheitsvorkehrungen in den Museen.

Die Täter von Zürich werden ihre Beute auf dem legalen Kunstmarkt nicht loswerden. Bilder dienen dem organisierten Verbrechen längst als Zahlungsmittel und zur Geldwäsche. Dass der Raub nur das Ziel hatte, das Museum und seine Versicherung um Lösegeld zu erpressen, wäre noch die angenehmste Variante. Dann nämlich ist - weil Versicherungen lieber diese Belohnung als den ungleich höheren vollen Versicherungswert bezahlen - die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Bilder wieder auftauchen. Noch allerdings hat die Bührle-Stiftung gar nicht bestätigt, dass sie überhaupt versichert waren.

© SZ vom 12.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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