Gastspiel:Offen fürs Verbotene

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Walter Hess und Katja Bürkle in Christopher Rüpings "Hamlet"-Inszenierung. (Foto: Thomas Aurin)

Die Münchner Kammerspiele waren mit Christopher Rüpings "Hamlet"-Inszenierung beim "Fadjr"-Festival in Teheran, einem der größten Theaterfestivals der Welt in einem offenbar überraschenden Land

Von Egbert Tholl

Vergangene Woche erreichten uns Meldungen, die zunächst einmal völlig verrückt klangen. Erstens waren die Münchner Kammerspiele mit "Hamlet" zu Gast beim Theaterfestival "Fadjr" in Teheran gewesen, und zweitens wurde Katja Bürkle dort als beste Darstellerin ausgezeichnet. Denkt man hierzulande an den Iran, dann fällt einem ein Gottesstaat mit einem Atomproblem ein. Nicht ein Land, in dem es möglich ist, dass der Leiter eines Festivals nach Europa reist, dort Theater guckt und nach Teheran einlädt, und zwar eine Inszenierung, in der Katja Bürkle, Walter Hess und Nils Kahnwald das Dutzend der benötigten Figuren unter sich aufteilen, sehr viel Bühnenblut vergossen wird, der Akt des Schauspielens an sich thematisiert und die Geschichte mit einer Prise "Hamletmaschine" von Heiner Müller gewürzt wird. Zu guter Letzt stand damals, als Christopher Rüpings Inszenierung vor einem Jahr herauskam, im Programmzettel, Hamlet sei ein "Radikaler", der "fanatisch zur gewaltvollen Veränderung der Welt aufruft".

Leider wurde die theatralische Reisegruppe von diversen Malaisen heimgesucht, Hess und Bürkle reisten auch noch direkt von Teheran nach Paris, zu einem Gastspiel von "Warum läuft Herr R. Amok?", so dass sich für ein Gespräch über die Reise in München einfinden: Anne Pöhlmann, die Produktionsleiterin, und Walter Hess, schwer erkältet, aber immer noch besser dran als seine Kollegen.

Aber: Hess ist perfekt. Im Sommer vergangenen Jahres reiste er privat nach Teheran, weil er wissen wollte, wie sich ein Gottesstaat von innen anfühlt. Walter Hess spielt auch in "Der Fall Mersault" mit, was 2016 der iranische Theatermacher Amir Reza Koohestani an den Kammerspielen inszenierte. Im Vorfeld der damaligen Premiere erzählte Koohestani von der unfassbar blühenden Theaterlandschaft in Teheran, wo man ins Theater gehe, damit man überhaupt ausgehen und soziale Kontakte jenseits des gesellschaftlichen Reglements haben könne. Schon bei seinem ersten Besuch war Walter Hess begeistert von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen dort und schaute sich "Drei Schwestern" im Theater an, ein iranische Produktion. Da denkt man, mmh, für "Drei Schwestern" braucht man mindestens drei Frauen, ja geht das denn?

Es ging offenbar sehr gut; Hess erzählt, es gebe halt gewisse Auflagen, die Frauen müssten Kopftuch (keinen Schleier!) tragen - wie immer stets und überall, auch Anne Pöhlmann - und auf der Bühne gebe es keine Berührung von Haut auf Haut. Ja, die Auflagen: Pöhlmann berichtet, dass Nils Kahnwald ein zweites Unterhemd tragen musste, wenn er Ophelia spielte. Hess indes brauchte als Königin kein Kopftuch, er trug ja Perücke. Dann lacht er, weil er daran denken muss: "Eine so rabiate Frau wie Katja Bürkle werden die so schnell nicht mehr erleben." Bürkle spielt in "Hamlet" meist den Hamlet und hat als solcher nicht die beste Laune.

Drei Aufführungen in einem überfüllten Theater mit 700 Plätzen vor jeweils 900 klugen und begeisterten Zuschauern, die im Publikumsgespräch schon mal nach dem Einfluss der "Hamletmaschine" auf die Inszenierung fragten. "Die Leute haben sich um die Plätze gestritten", sagt Pöhlmann. "Wie in München", grinst Hess. Das Festival, das übersetzt "Morgenröte" heißt, wurde 1983 gegründet, zur Feier von Khomeinis Revolution. Offenbar spielt dieser Anlass keine dominante Rolle mehr. 2018 wurden beim "Fadjr" 118 iranische und 30 internationale Produktionen gezeigt, letztere meist von freien Gruppen wie Rimini Protokoll; Pöhlmann meint, "Hamlet" sei die einzige Stadttheaterproduktion gewesen. Es gibt auch einen Wettbewerb, deswegen Bürkles Auszeichnung. Als Produktion gewann in diesem Jahr Philippe Quesne mit seiner älteren "Mélancholie des Dragons", im vergangenen Jahr war es Thomas Ostermeiers "Hamlet" von der Berliner Schaubühne.

"Es gibt bei bestimmten Sätzen ein anderes Bewusstsein. Man spricht sie in Agitation in diesem Staat", so Hess. Zitat: "So macht Angst Feige aus euch allen." Und doch habe es mit dem Text keinerlei Probleme gegeben, auch nicht bei der Probe, in der drei Zensoren saßen, bei der man das viele Blut wegließ, um es in den Aufführungen dann doch einzusetzen. In der U-Bahn, was Hess begeistert, gibt es neben den gemischten reine Frauenabteile, im Publikum sitzen Frauen und Männer in etwa gleicher Anzahl lustig gemischt. Überhaupt, die Gegensätze: In manchen Vierteln diene das Kopftuch als Accessoire, Tanz sei generell verboten und firmiere beim Festival unter "contemporary movement", vieles fühle sich halbtoleriert an, die ganze Stadt sei voller Theater und, so Hess: "Wenn man die Auflagen nicht anerkennt, braucht man nicht hinzufahren." Dann könne man auch nichts zur Öffnung beitragen. Pöhlmann: "Trotz Kopftuch sind die Gesichter immer offen."

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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