Gastdirigat:Mut und Vielfalt

Lesezeit: 2 min

François-Xavier Roth wurde 1971 in Paris geboren, gründete 2003 das Orchester Les Siècles, leitete das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg und ist seit 2015 Generalmusikdirektor der Stadt Köln. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

François-Xavier Roth bei den Philharmonikern

Von Egbert Tholl, München

Hört man die jüngste Aufnahme von François-Xavier Roth mit dem Orchester Les Siècles und ausschließlich Musik von Ravel, dann glaubt man, diese noch nie so betörend, verführerisch und farbenreich gehört zu haben. Das ebenso sinnliche wie transparente Erlebnis rührt auch daher, dass Roths Les Siècles auf authentischen Instrumenten der Zeit spielen. Nun kennt man Barockensembles, die auf alten Instrumenten spielen, das ist fast normal geworden. Aber Ravel? Das ist doch 20. Jahrhundert. Also praktisch heute.

Fragt man François-Xavier Roth danach, wird man gepackt von der Klugheit eines Mannes, der viel weiß und noch mehr will, weil alles Wissen nichts ist, wenn man es nicht mitteilen kann. Er kann. Roth wurde mit Preisen wie dem französischen Verdienstorden überhäuft, legt Aufnahmen als Unikate interpretatorischer Eigenständigkeit vor und war auch schon oft im Fernsehen. Drei Jahre lang, einmal in der Woche, wurde in drei Minuten ein Werk und dessen Komponist erklärt, zur besten Sendezeit, kurz vor 20 Uhr, auf France 2. In Köln und mit dem Gürzenich Orchester macht er exemplarische Jugendarbeit und hat keine Scheu vor Musikern eines Elektro-Labels, an der Oper dort leitete er diese Saison "Tannhäuser" und Zimmermanns "Soldaten". Und nun dirigiert er zum ersten Mal die Münchner Philharmoniker: Mittwoch, Donnerstag, Freitag; Ravel, Elgar, Bartók.

Alle drei Werke wurden im Jahr 1919 uraufgeführt beziehungsweise im Wesentlichen fertiggestellt. Das ist entscheidend. Denn mit diesem Programm will Roth aufzeigen, wie kontrastreich das musikalische Europa einst war. Es war reich. Diesen Reichtum sieht Roth neu bedroht. Der erste Einschnitt war nach dem Zweiten Weltkrieg - neben der Nazibarbarei - die Globalisierung des Klangs. "Das hängt mit der verbesserten Möglichkeit der Aufnahmen zusammen. Die Orchester überall auf der Welt fingen an, die gleichen Instrumente zu benutzen. Dabei waren vor allem die Bläser in jedem Land anders. Nun aber kam noch dazu, dass die Säle immer größer wurden, die Instrumente also immer lauter werden mussten. Und sie mussten gegen Referenzaufnahmen bestehen."

Das ist es: Die Authentizität des Instrumentariums! Die holt Roth wieder rein, er postuliert Mut und Vielfalt. Die Philharmoniker erlebt er als das agile Werkzeug gegen Gleichmacherei und Angst. Musik sei ein Spiegel der Gesellschaft, überall hasenherzige neue Musik, in kurzen Formen voller Grenzen und Normen. "Wir müssen schreien, dass Kunst nichts mit Entertainment zu tun hat! Weg mit dem Populismus! Und auch weg mit der Idee, Hochkultur stehe nur für ein "Fragment der Gesellschaft", sagt Roth. Nix Elite, Grundnahrung für die Gesellschaft.

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: