Gallery Weekend:Weiß-blauer Himmel über der Spree

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Auch zu sehen: "Monster" von Andy Hope 1930 (Courtesy Galerie Guido W. Baudach, Berlin). (Foto: Roman März)

Die Münchner Kunstszene schielt auf die Bundeshauptstadt. Auf den Spuren eines bayerisch-berlinerischen Miteinanders

Von Evelyn Vogel, München / Berlin

Wer vor einiger Zeit die Diskussion beim Kunstclub 13 über die Bedeutung des Standorts München für die zeitgenössische Kunst, insbesondere die Bedeutung der Galerienszene hierbei, verfolgte, dem wurde klar: München muss sich, trotz aller Verdienste in den vergangenen Jahrzehnten, gewaltig anstrengen, um nicht den Anschluss an Berlin zu verlieren. Da ist folgende Geschichte, die Münchner Galeristen seit einiger Zeit gern erzählen, geradezu symptomatisch: Wenn sie im Ausland unterwegs sind, werden sie nicht gefragt, "wo in Deutschland" sie zu finden sind - sondern "wo in Berlin". Denn in der internationalen Kunstszene gilt: Berlin ist deutschlandweit the place to be.

Tatsächlich sind viele Künstler, auch aus München, seit den Nullerjahren in die immer heftiger pulsierende Metropole an der Spree abgewandert. Ein Grund war, dass dort bislang schlichtweg alles günstiger war und man in den unzähligen Hinterhöfen Ateliers zu bezahlbaren Preisen finden konnte. Eine Tatsache, die sich spürbar ändert, weil die Mieten für Wohn- und Arbeitsräume auch hier explodieren, weil Galerien sich mittlerweile gigantische, aber eben auch top sanierte und stylishe Locations leisten, die sie vermutlich nur dann bezahlen können, wenn sie sie mit angesagten Künstlern oder großen Shows bespielen - wie man anlässlich des Gallery Weekends eindrücklich sehen konnte. Wenn man beispielsweise in den hohen Industriehallen von Blain Southern an der Potsdamer Straße stand, wo einst der Tagesspiegel druckfrisch aus der Rotation lief, kam man nicht umhin, von den Räumlichkeiten beeindruckt zu sein. Da passte es, dass auf einer von Harland Millers Arbeiten recht anspielungsreich zu lesen war: "Tonight We Make History".

Aber auch die Sammlerszene, auf deren Kaufkraft zwischen Düsseldorf/Köln und München man immer setzen konnte, verändert sich. Einerseits ist auch bei ihnen ein Drang gen Osten auszumachen, und wenn es nur eine Zweitwohnung ist. Oder - wie bei der Düsseldorfer Sammlerin Julia Stoschek - eine Dependance, die in wenigen Wochen in Berlin eröffnen wird. Andererseits lassen sich immer mehr vermögende Sammler aus dem Nahen und Mittleren Osten in Berlin - nun ja, nieder wäre wohl zu viel gesagt, aber sie kaufen sich ein privates Logis von etlichen Hundert Quadratmetern Größe mit spektakulärem Blick über die Dächer Berlins. Auch dass eine international agierende Organisation wie Outset, die zeitgenössische Kunstprojekte fördert, ihren Sitz von München, wo Outset 2007 gegründet wurde, mit einem großen Fest gerade nach Berlin verlegt hat, deutet an, wo man in Zukunft junge Kunst auf dem kürzesten Wege mit wohlwollenden Geldgebern, Sammlern und Museen zusammenbringen will.

Ja, dieses Gallery Weekend in Berlin brachte einige Erkenntnisse über das Verhältnis München-Berlin in Sachen Kunst. Nicht zuletzt waren natürlich auch einige Galeristen angereist, um sich umzuschauen, was die Konkurrenz in der Bundeshauptstadt so treibt. Womöglich wird man dem einen oder anderen Künstler, den man gerade noch im weitläufigen Berlin suchen musste, beim geradezu familiären Kunstwochenende in München Ende Juni auch begegnen?

Wollte man sich in Berlin auf die Spuren von Künstlern machen, die mit München oder Bayern verbunden waren oder sind, konnte man ebenfalls fündig werden. Guido Baudach hat Andy Hope 1930 unter dem Titel "Black Fat Fury Road" eine Einzelausstellung eingerichtet. Eine Serie schwarzer, lackglänzender Bilder mit roten Teufelshörnchen, die einen geradezu magisch anziehen, dominiert die Ausstellung. Der 1963 als Andreas Hofer in München geborene Maler, Bildhauer und Installationskünstler, studierte in den 1990er Jahren an der Münchner Akademie. Er arbeitet seit etlichen Jahren in Berlin, seine Werke trifft man aber immer wieder auch in Münchner Ausstellungen an. Das ist anders bei Maria Eichhorn, die schon sehr lange in Berlin lebt, aber aus Bamberg stammt. Barbara Weiss zeigt ihr 16mm-Langzeitprojekt "Film Lexicon of Sexual Practices".

Mit unter anderem einer Position Günther Förgs - Münchner Maler, Fotokünstler und bis zu seinem Tod vor gut zwei Jahren Akademieprofessor - eröffnete die Galerie Nagel-Draxler ihr neues Kabinett. Ebenfalls neu ist die Gartenschau der Galerie König bei St. Agnes. In der Kirche ist eine große Werkschau von Annette Kelm zu sehen - sie war beispielsweise vor zwei Jahren bei der Eröffnung des Espace mit einer besonderen, München spezifischen Werkreihe zu Gast. Im Garten begegnete man einer weiteren Ausführung der wasserspeienden Matratze, die man vom Münchner Stephansplatz kennt: dem "Waterfall" von Tatiana Trouvé. Das Objekt wurde vor drei Jahren im Rahmen des Programms Kunst im öffentlichen Raum "A Space Called Public" in München installiert. Verantwortlich für das Programm waren Elmgreen & Dragset. Dieses Künstlerduo ist ebenfalls mit einem Objekt in der Gartenschau von König bei St. Agnes vertreten.

Gleich daneben steht eine Kopf-Skulptur von Michael Sailstorfer. Geboren 1979 in Velden an der Vils war er von 1999 bis 2005 Olaf-Metzel-Schüler an der Münchner Akademie. Sailstorfer, in München mit Arbeiten beispielsweise im Lenbachhaus und in der Sammlung Goetz vertreten, hatte auch die Installation "1:43-47, Salzburg" vor drei Jahren in der Lothringer 13-Halle. Dabei handelte es sich um eine ähnliche Arbeit wie die große Popcorn-Maschine, die seit mehreren Jahren im Bunker der privaten Boros Collection in Berlin läuft. Wer trotzt des überreichen Galerienangebots Zeit fand, dort vorbeizuschauen, wurde anlässlich des Gallery Weekends ausnahmsweise auch ohne Anmeldung hineingelassen.

Auch wenn Sailstorfer vor ein paar Jahren auf der Liste der Bundesinitiative "100 Köpfe von morgen" stand, über seinen Kopf im Garten von St. Agnes wurde übrigens weniger gesprochen, als über seine Aktion, sich mit einem Modelabel zusammenzutun und während des Gallery Weekends in seinem Studio bei einer Performance die Tonnen schwere Installation "Silver Cloud" auf den Boden krachen lassen. Eine Aktion, die sicher auch dem spektakelsüchtigen Münchner Publikum gefallen hat.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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