Friedrich Christian Flick:Ein dunkler Stern

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Von morgen an wird die "Flick Collection" in Berlin gezeigt - trotz Kritik, dass die Sammlung des Flick-Erben mit dem Vermögen aus Rüstungsgeschäften und Ausbeutung von NS-Zwangsarbeitern finanziert wurde.

Von Holger Liebs

"C'est le monsieur qui mange tout Paris". Ein Grandseigneur unter den Pariser Kunsthändlern pflegte das über Eduard Fuchs zu sagen, einen hartnäckigen, unvergleichliche Schätze anhäufenden Sammler von Karikaturen, erotischer Kunst und Sittenbildern. Die Anekdote hat Walter Benjamin überliefert. Sie schildert keine wirklich symphatische Figur, eher einen gefräßigen Enzyklopädisten, wie er Benjamin typisch schien für das 19. Jahrhundert mit seinem Hang zu Quantität und epischer Breite.

Müssen wir uns Friedrich Christian Flick als einen Herrn vorstellen, der den ganzen Bruce Nauman sozusagen aufgegessen hat, indem er seine Werke sammelte? Eher nicht. Immerhin: Um die siebzig Werke des kalifornischen Dark Star unter den Gegenwartskünstlern soll Flick besitzen. Ganz sicher aber darf man ihn als jemanden sehen, dem sich tout Berlin gleichsam auf einem Silbertablett als Götterspeise dargeboten hat. Und der dieses Mahl nicht abgelehnt hat, nicht ablehnen konnte. Es war einfach zu verlockend. Weshalb er heute möglicherweise Sätze sagt wie diesen: "Ich möchte den Museen helfen. Es liegt ja schließlich immer an ihnen, ob sie die Leihgaben akzeptieren oder nicht."

Groß, größer, Flick

Es ist ein Mann ganz in Schwarz mit schlohweißem Haar, dem man gegenübertritt und der in letzter Zeit ein nicht mehr ganz so adlermäßiges Profil aufweist, sondern eher weiche Züge angenommen hat. Gestern wurde er sechzig Jahre alt. Von morgen an werden Teile seiner Kunstsammlung in der längsten Fabrikhalle Berlins, an der Flanke des Hamburger Bahnhofs, ausgestellt. Dieses Museum für Gegenwartskunst auf Zeit - binnen Siebenjahresfrist zieht Flick, Stand heute, seine Schätze wieder ab - beansprucht mehr Raum als die Documenta. Kurator Eugen Blume spricht von der "größten Museumsausstellung zeitgenössischer Kunst", die er kenne.

Um die 450 Arbeiten, rund ein Fünftel der "Friedrich Christian Flick Collection", werden gezeigt; eintausend Presse-CDs sollen bereitliegen; das hat mindestens das Niveau des MoMA-Presse-Mahlstroms. Etwa 25 Künstlermonografien von Flick-Künstlern hat DuMont angekündigt. Fünfundzwanzig! Es begegnen einem viele Superlative dieser Tage, gerade in der Kapitale, in Berlin.

Friedrich Christian Flick verfügt über ein mildes, wissendes, souveränes Lächeln. Allein, nach allem, was man weiß, darf man diesem Charme nicht trauen. Wer sich Flick nähert, muss durch ein Gestrüpp von Schuldzuweisungen und Kritik hindurch - zu sehr sind Name und Leben mit dem Schicksal des Großvaters verknüpft, dem Rüstungsmagnaten.

All das ist bekannt: dass Friedrich Flick, der Ahn, Zwangsarbeiter ausbeutete, dass sein Vermögen auch dem Enkel zuteil wurde, dass dieser erst als Unternehmer, dann im internationalen Jetset auffiel und schließlich Kunst zu sammeln begann - und dass er sich stets geweigert hat, in den Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter einzuzahlen. Spät erst erklärte er sich, sprach bisweilen Doppeldeutiges, wirkte im Ganzen: naiv. Und unlustig, der Vergangenheit mehr Raum zu schenken als der Zukunft.

Der Blick nach vorn

Daher wohl auch seine Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit: Sie wurde gegründet, damit die nächste Generation dem Land nicht verloren geht - anstatt der vorletzten, die durch Mitschuld des alten Flick verloren ging, wenigstens symbolisch zu ihrem Recht zu verhelfen. Dieser Blick nach vorne, immer nach vorne: Das nahmen ihm viele übel. Zürich lehnte sein Ansinnen, der Stadt ein Privatmuseum zu bauen, ab. Heute sagt er: "Da war ich blauäugig und unvorbereitet." Unvorbereitet, das Wort fällt mehrmals. "Ich habe das als reines Tribunal empfunden. Ich glaube aber, dass ich der Auseinandersetzung nicht ausgewichen bin."

In Berlin, 2003, war dann alles anders. Eine Auseinandersetzung fand anfangs nicht statt, bezahlen muss Flick nur den Umbau des Ausstellungsortes, der Rieck-Halle. Ein Jahr später kamen böse Briefe, der "Blutgeld"-Vorwurf, die Luft wurde dünner. Flick hätte es sich einfach machen können. Er hätte in den Fonds einzahlen können wie seine Geschwister. Dazu ist es nun zu spät. Ist es Sturheit? Treue zu sich selbst, das Pathos des Unbeirrten? Oder eine gewisse Widerborstigkeit, wie er sie immer bei den Künstlern sieht, die er sammelt, bei Paul McCarthy oder Martin Kippenberger? Vielleicht verstehen wir Flick, den Enkel, besser, wenn wir Flick, den Sammler, kennen.

Man sucht nach Prägungen. Einer, der seine Nase an Schaufensterauslagen platt drückte, war er wohl nie. Fetischismus ist ja ein Mangelphänomen. Gleichwohl: Da war die puritanische Kindheit am Starnberger See, in den fünfziger Jahren, mit Schiller, Goethe - und Übungen in Selbstkontrolle und Disziplin (Fastenkuren!). Der Großvater war die beherrschende Figur der Familie. Flicks Lebens-Vektor zeigte unerbittlich in Richtung Konzernspitze. '68 war er gerade unterwegs, die Parole hieß damals eher Himalaya statt Ho Chi Minh.

Später der Geldregen aus dem Konzern, das "Studio 54". Keine Indizien, die aufkeimende Sammler-Triebe, Pioniergeist verrieten. Dennoch kaufte er Alte Meister, vielleicht in einem Reflex der preußischen Erziehung, aus bürgerlichem Bildungsstreben heraus. Griechische Vasen, römische Skulpturen, Canaletto, Guardi, Ribera.

Das alles sagte ihm irgendwann nichts mehr. Er zieht an seiner Camel ohne. "Das Sammeln von Alten Meistern habe ich aufgegeben, weil viele Werke nichts mit mir, unserer Zeit und unseren Problemen zu tun haben und ich den Austausch mit den Künstlern haben wollte. Aber es gibt natürlich auch Alte Meister, die mich heute noch faszinieren. Wie ein Tizian noch mit 90 malt, halb blind, das finde ich erschütternd - oder einen Goya."

"Erschütternd" - ein keyword für den Sammler Flick. Kunst muss Energie verströmen, aufrütteln, wie Bruce Nauman Auge und Ohr Gewalt antut, etwa mit seinen blinkenden Neon-Männern, den "Five Marching Men", die gleich doppelt erigiert sind, mit den Armen zum Hitler-Gruß erhoben.

Gleich in mehreren Interviews konnte Flick sein Berlin-Credo platzieren: zerrissen, vernarbt, gebrochen, wie die Umbrüche in der Kunst - man hat das gelesen. Heute sagt er: "Ich interessiere mich für den Menschen mit seinen Schwächen, Ängsten und Fehlern. Das ist der rote Faden meiner Sammlung. Jetzt kann man sagen, was hat ein Donald Judd mit dem Menschenbild zu tun." Donald Judd, der Minimalist mit seinen makellosen Kisten. Flick springt plötzlich auf, er ist erregt. "Das ist es ja gerade! Das ist eine Versinnbildlichung des Industriezeitalters und wie der Mensch sich zu ihm verhält. Das ist alles drin in diesem Werk! Ich muss die Energie eines solchen Werkes spüren, dann möchte ich es auch erwerben."

Wie das alles so energetisch bebt in seinen Augen, möchte man glauben, Flick sei einer, der sich mitreißen lässt. Das kann sein. Allein, es ist wohl auch eine gehörige Portion Selbstinszenierung dabei. Die seismografischen Schwankungen, die die weitaus meisten seiner Sammlungsstücke verursacht haben, sind kunstgeschichtlich gesehen schon eine Weile her. Donald Judd, der kühle Meister steriler Boxen? Das kann doch einen Flick nicht erschüttern.

Flick spricht auch von den Schattenseiten des Menschen als dem Leitbild seiner Sammlung. Aber dieses Menschenbild weist zurück in seine Jugend, in die fünfziger Jahre, als das ewige Drama der Existenz in der Figur des sich gegen die Verhältnisse auflehnenden Künstlers zum pathetischen Leitbild der Kunsterfahrung wurde. Als man es lieber hermetisch-zeitlos hatte in der Kunst, statt sich mit dem unmittelbar Vergangenen zu beschäftigen. Der Künstler als unbequemer Störenfried, als homme revolté - so wird das überzeitlich Widerständige in der Kunst, als ewiges Anrennen gegen die Konvention, zum Emblem einer Sammlung, die jetzt in einem Staatsakt in Berlin gefeiert werden wird.

Flicks Werke mögen ihn erschüttern, in der Kunstwelt von heute sind sie anerkannt, Pflichtübungen in einer Schau zeitgenössischer Kunst. Er hat im Kunstbetrieb mehrere "Freunde", wie er sie selbst nennt. So auch die Kunsthändler Iwan Wirth und David Zwirner. Viele Flick-Künstler sind auch Wirth-Künstler. Rudolf Zwirner, den Gründer der "Art Cologne", hat Flick mal als geistigen Vater seiner Sammlung bezeichnet. "Er hat mal gesagt: ,Alle Sammler haben etwas Pathologisches.' Er nannte als Hauptmerkmale des Sammelns Liebe, Leidenschaft und Obsession. Als Sammler muss man aufpassen, dass man nicht obsessiv wird."

Die Lehren des Elternhauses

Selbstkontrolle und Disziplin, da ist es wieder. Den Lehren des Elternhauses könnte der rationale Part von Flicks Sammlung entsprechen: die großen Werkblöcke, die siebzig Naumans. Es ist auch eine Suche nach quasimusealer Vollständigkeit, der Glaube an das Einsinken künstlerischer Schöpfung in die Geschichte. Die Kunst des 20. Jahrhunderts war eine Revolte gegen alles Museale, sinnbildhaft verdichtet in Marcel Duchamps Fahrrad-Rad, dem Kunstwerk als Behauptung seiner selbst, das Flick besitzt. Meistens haben die Museen diesen Kampf gewonnen - und sich die Trophäen dieser epochalen Revolte, die Kunstwerke, einverleibt.

Flick hat sich keine Marginalie, keine Trouvaille von Duchamp geleistet, aber des Ahnherren der Revolte hat er sich dennoch versichert. Er wollte die Hauptsache haben. Er ist ein Mann der Hauptsachen.

Es sind heute, ganz zeitgemäß und doch auch geschichtsträchtig, umgebaute Fabrikhallen, in denen er seine Kunst zeigt - die Zürcher Räume des Schiffsturbinenbauers Sulzer Escher Wyss, wo er arbeitet, oder die Rieck-Halle in Berlin. Leere, unbehauste Kammern für das Widerständige und doch Arrivierte in der Kunst. Flick sammelt vor allem Räume, Installationen, Skulpturen. Sperriges Material. Aber auch Werke vom Maler Gerhard Richter und dem Fotografen Thomas Struth. Auch sie gaben sich jüngst sperrig. Das kann Flick allerdings nicht gefallen haben. Richter sprach vom "Hinklotzen" einer "so genannten hochkarätigen Sammlung", Struth fühlt sich in der Diskussion um Kunst und Moral "vereinnahmt".

Die Kunst als Geisel

Immer dieser Vorwurf: Er hat's ja. Es ist schon wahr, er bekommt, was er will. Die Neue Zürcher Zeitung hat einmal ausgerechnet, dass Flick eine Zeit lang pro Tag mehr als ein Kunstwerk erworben haben muss. Mehr als 2500 Arbeiten besitzt er heute. Als "Supercollector" mag er sich nicht sehen.

Was sagt er zu den neuerlichen Vorwürfen? "Ich lade Gerhard Richter gerne nach Berlin ein, sich die Ausstellung anzusehen und dann sein Urteil zu fällen. Meinungsfreiheit gilt für alle, besonders auch für Künstler." Und der vereinnahmte Struth? Die Kunst in der Moraldiskussion in Geiselhaft zu nehmen, davor hat Flick öfters gewarnt.

Aber sein Bild der Kunst ist auch eine Art der Inanspruchnahme. "Werke von Struth werden in der ersten Ausstellung gezeigt, Struth hat sie sich angesehen und nach allem, was ich erfahren habe, war er sehr angetan. Es war nie meine Absicht, Künstler für meine Familiengeschichte zu vereinnahmen. Im Gegenteil, ich wollte die Kunst immer von meiner Familiengeschichte trennen und habe dies auch immer so geäußert."

Es ist ein Blick nach vorn, der fast zwangsläufig in den Rückspiegel der Geschichte fällt.

© SZ vom 20.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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