Friedenspreis des Buchhandels:Zündeln mit Verbotenem

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Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer ist als erster bildender Künstler mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.

Premiere in der Geschichte des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: Mit dem deutschen Maler und Bildhauer Anselm Kiefer ist erstmals ein bildender Künstler mit der Auszeichnung geehrt worden.

Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer bei der Preisverleihung in der Paulskirche (Foto: Foto: AP)

Kiefer stehe beispielhaft für die Absicht des Börsenvereins, "aus Verantwortung der eigenen Geschichte gegenüber mit der Verleihung des Friedenspreises die Wahrheit erschließende und Verstehen ermöglichende Kraft des Wortes und des Bildes zu ehren", sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder.

Der 63-jährige Maler nahm den renommierten Preis in der Frankfurter Paulskirche vor rund tausend geladenen Gästen entgegen, unter ihnen Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, EU-Kommissar Ján Figel und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

Die Verleihung findet traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse statt. Preisträger waren unter anderen Albert Schweitzer, Theodor Heuss, Astrid Lindgren, Václav Havel, Siegfried Lenz, Susan Sontag, Orhan Pamuk und im vergangenen Jahr Saul Friedländer.

"Eine Stunde Null gab es nicht"

In seiner Rede kritisierte Kiefer die mangelnde Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. "Eine sogenannte Stunde Null gab es in Wirklichkeit nicht", sagte er bei der Preisverleihung am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche. Sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg als auch nach dem Mauerfall 1989 sei das, was geschehen sei, zugeschüttet, "der leere Raum zugestopft" worden.

"Die Ruinen wurden schnell abgetragen, die gesprengten Bunker entsorgt", erklärte Kiefer. Das Zustopfen und Auslöschen habe sich nicht nur auf die Politik erstreckt, sondern auf viele Stellen im ganzen Land. "Die Wunden wurden nicht verbunden, sondern schamhaft versteckt. Verborgen wurden nicht nur Gebäude, sondern alles, was die Nazis berührt hatten."

Ähnliches sei nach dem Zusammenbruch der DDR geschehen. Das Zuschütten, das Verstopfen des leeren Raumes, habe sich wiederholt. "Wieder eine Stunde Null für alles, was sich 40 Jahre im anderen Teil Deutschlands ereignet hatte." Man hätte den Raum zwischen den beiden ehemaligen Staaten und Systemen leer lassen und regelmäßig pflügen sollen wie einen Zen-Garten, sagte Kiefer.

Der Kunsthistoriker Werner Spies ging in seiner Laudatio auf Kritik an der Verleihung des Friedenspreises an Kiefer als bildenden Künstler ein. Die Diskussion habe etwas zutage treten lassen, was die Entwicklung der modernen Kunst lange unterdrückt habe: "Das natürliche und fruchtbare Eifersuchtsdrama zwischen Poesie und Malerei". Es gebe kaum einen Künstler, der sich in derart auffallender Weise für Lesen und für die sinnliche Existenz von Büchern einsetze. Kiefer habe selbst mehrere hundert Bücher geschaffen - vor Jahrzehnten habe er damit begonnen, sich eine persönliche Bibliothek auszudenken.

"Er zündelt mit Verbotenem"

Kiefer gehöre zu den deutschen Künstlern, die sich in der Tradition von Max Beckmann, George Grosz oder Otto Dix wieder als "Akteure einer für die Deutschen unentbehrlichen Auseinandersetzung mit Geschichte" verstünden. Kiefer sei von dieser Pflicht besessen. "Er provoziert, er zündelt mit Verbotenem und Verdrängtem", sagte der Laudator. Wie kein anderer habe er sein Werk an Orte der jüngsten Geschichte gebunden. "Er brauchte dazu die Genauigkeit der Orte, die vom Fanatismus missbraucht worden waren."

Der in Donaueschingen geborene Kiefer zählt zu den wichtigsten deutschen Künstlern und beeinflusst seit Beginn seines künstlerischen Schaffens die zeitgenössische Kunst. Der Sohn eines Zeichenlehrers studierte ab 1965 zuerst Rechtswissenschaften und Romanistik, bevor er nach dem Studium der Bildenden Kunst bei Peter Dreher in Freiburg und bei Horst Antes in Karlsruhe von 1970 bis 1972 als Schüler von Joseph Beuys in Düsseldorf arbeitete.

Von der ersten Bilderserie "Besetzungen" 1969 bis zur großen Ausstellung "Monumenta" vergangenes Jahr im Pariser Grand Palais zeugen Kiefers Werke von dessen Auseinandersetzung mit Geschichte, Religion, Philosophie und Mystik sowie mit Literatur und Poesie.

Durch die Verbindung von Kunst mit politischer Aussage löste Kiefer in der Öffentlichkeit wiederholt Diskussionen aus. So beschäftigt er sich mit der Frage, ob es nach dem Holocaust und der Vereinnahmung der nationalen kulturellen und künstlerischen Tradition durch das Dritte Reich überhaupt noch deutsche Künstler geben kann, und setzt in seinen Bildern symbolische und mythische Elemente aus der deutschen Geschichte ein.

Kiefer ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, unter anderem des Goslarer Kaiserrings und des Internationalen Jury-Preises der Kunst-Biennale Venedig 1997. Vor neun Jahren erhielt Kiefer den japanischen "Praemium Imperiale". Der Friedenspreisträger ist in zweiter Ehe mit der Österreicherin Renate Graf verheiratet und hat drei Kinder. Er lebt und arbeitet im südfranzösischen Barjac und in Paris.

© sueddeutsche.de/AFP/AP/aho/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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