Frauen, Männer, Ermittlungen im Krisengebiet:Nackte Männer am Salatbuffet

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Körpertuning und Kuscheltantra, Supersusi oder Sparringspartner: der postmoderne Mann steht im Fadenkreuz vieler Ansprüche - nur nicht seiner eigenen.

ALEXANDER KISSLER

Feminismus war gestern, Patriarchat vorgestern. Oder nicht? In der Politik, im Job und in den Medien kehrt der Geschlechterkampf unter neuen Vorzeichen zurück. Eine Artikelreihe erkundet das Krisengebiet. Der dritte Beitrag widmet sich dem neuen Männerbild.

Alle Teilnehmer fliehen aus einem Alltag, in den nur ein Teil ihrer Männlichkeit verstrickt ist. Der lautere Rest, das Kind im Manne, tobt sich aus. (Foto: N/A)

Gerade 24 Jahre sind vergangen, seit ein Märchen für Erwachsene die damals weitgehend unstrittige Tatsache illustrierte, dass Mann und Frau eine soziologische Einheit bilden, dass man nicht von ihm erzählen und zugleich von ihr schweigen kann. Im "Märchen von Mann und Frau", das Botho Strauß 1981 schrieb, kontrastiert dem gegenwärtigen Angewiesensein eine Vorzeit, in der Männer und Frauen "als friedliebende Volksstämme in guter Nachbarschaft lebten und ihre Waren miteinander tauschten".

Wenn ein Mann starb, kroch ein Junge aus ihm hervor, Frauen hinterließen Mädchen. Erst später "kam die Ungleichheit unter die Geschlechter" und mit ihr Liebe und Todesangst. Fortan fanden Mann und Frau Trost und Erfüllung beim anderen Geschlecht. War das Gleichgewicht einmal gestört, dann nur, weil der Mann sich selbst im Weg stand: "Als Männer können wir nicht anders, als unsere Liebe in uns zurückzuhalten. Wir haben uns weit von unserem eigenen Empfinden entfernt."

So stand es zehn Jahre später in einem Aufsatz, mit dem 1991 der Männerforscher Victor Seidler die "männliche Selbstverleugnung" kritisierte.

Ob im Märchen, wo schließlich die Männer die Frauen übervorteilten, oder in den Men's Studies an den Universitäten: Die Männer der achtziger und der beginnenden neunziger Jahre waren ein problematisches Geschlecht, weil sie offenbar der Frau nicht auf Augenhöhe begegneten.

Die Frauen hatten sich vom "hegemonialen Modell" befreit, die Männer hielten ihm die Treue. Männerarbeit, Männerforschung waren Versuche am lebenden Objekt: Der Mann sollte Scham und Schuld eingestehen und der Frau geläutert begegnen, rein wie ein Säugling.

Heute dominiert der selbstbezügliche Einzelspieler, dem, so die Studie "Moderne Helden", die Frau ein Sparringspartner ist.

Doch die Residuen eines überwunden geglaubten Geschlechterkampfes sind längst nicht verschwunden.

Sie gedeihen prächtig in der Männerberatung. Dort wurden die Men's Studies zur angewandten Wissenschaft, zur Kunst, die männlichen "Verflechtungen, Verstrickungen, Rollenerwartungen, Loyalitäten und Einbindungen" zu durchschauen und eine positive Identität zu entwickeln - so der Leiter des Berliner Männerbüros.

Wie der Feminismus begreift man sich als politisch-therapeutische Interessenvertretung. Der gender gap auf dem Arbeitsmarkt soll geschlossen werden - ran an die weiblichen Domänen, meine Herren, ran an die Pflegeberufe!

Ein besonders zähes Residuum bewegterer Zeiten ist das "bundesweite Männertreffen", das anno 2005 zum 23. Mal stattfindet. Das zehnköpfige "Orga-Team" lädt diesmal auf eine fränkische Burg.

Geboten werden vier Tage lang Workshops "von Kuscheltantra bis PolitTalk". Frauen haben keinen Zutritt. "Begegnungen, Erfahrungen und Solidarität" ergeben eine Melange, die manchen Mann süchtig macht.

Martin kommt jedes Jahr. Es fasziniert ihn, wenn wildfremde Männer sich "wie nebenbei von ihren tiefsten Gefühlen" erzählen. Klaus schätzt die "gute Mischung aus Gespräch, Körperarbeit, Berührungen unter Männern", Carsten genoss den "wirklich konstruktiven, männlichen Austausch", so schrieb er später, wenngleich ihn manches Erlebnis irritierte.

In Klammern setzt er hinzu: "Nackte Männer am Salatbuffet". Alle Teilnehmer fliehen aus einem Alltag, in den nur ein Teil ihrer Männlichkeit verstrickt ist.

Der lautere Rest, das Kind im Manne, tobt sich aus.

Auf ganz andere Weise nimmt man sich des Mannes ein paar Kilometer weiter südlich an. Auf einem Schloss am Rande des Bodensees suchen Männer Rat, die sich von herzlichen Umarmungen wenig versprechen.

Der neue Mann soll hier durch Körpertuning entstehen. Das Ärzteteam gibt die Losung aus: "Soul follows body".

Mit Gentherapie, Hormonbehandlung, Vitaminkur soll die Lebensdauer des Mannes jener der Frau angeglichen werden. "Gesund sterben" lautet das Ziel. Auf dem Weg dorthin muss der von seinem Testosteron in die permanente Überforderung getriebene Mann einen radikalen Lebensstilwandel durchlaufen.

Erst auf dem Sterbebett wird sich zeigen, welche Melodie hinter den Fanfarenstößen vom Bodensee steckte: Tatsächlich "Leistung, Wirkung, Charisma statt Macht, Konsum, Abrieb"?

Die nackten Burgherren und die verwöhnten Schlossgäste markieren die Pole gegenwärtiger Männlichkeit. Arbeiter an sich selbst sind sie beide, Mechaniker eines Lebens, dessen Bedienungsanleitung verloren ging. Trost und Sinn versprechen hier stets Männer den Männern; erst am Ende der jeweiligen Projektphase darf die Frau die gesäuberte Seele, den gestählten Körper in Empfang nehmen.

Doch weder die Burgherren noch die Schlossgäste sind die Zukunft. Sie nehmen ihr Tun viel zu ernst. Der "neue Mann" soll Ironiker sein. Vier Grundtypen des "neuen Manns" präsentierte die Männerstudie "Moderne Helden" von 2002, und wenn das Hamburger Trendbüro und die Zeitschrift GQ nicht daneben lagen, müssten diese vier Arten heute unsere Straßen bevölkern.

Der "leise Weise" müsste "Treue und Beständigkeit" in die Welt bringen. Der "galante Gönner" wäre als technikbegeisterter Kavalier der Held sämtlicher Stehempfänge, den oberflächlichen "Egophilen" träfe man in jeder Lounge, und der "Optionist" wäre dank "Multispezialisierung" in jedem Beruf zu Hause, wäre Aktienbroker, Karrierist, Fußballfan, Vater. Vom perfekten "neuen Mann" hat laut Trendbüro zu gelten: "Er bemüht sich auf allen Gebieten um Kennerschaft.

In allen Lebensbereichen wünscht er sich die Möglichkeit, in jeder Lage Dinge tun zu können, die seine Persönlichkeit verstärken. Er strebt nach Selbstbestimmung und nach Kontrolle über seine Außenwirkung. Dafür optimiert er sich und seine Lebensbedingungen kontinuierlich."

Kontrolle, Außenwirkung, Optimierung: Der Mann als Fortbewegungsmittel seiner selbst wird mit denselben Leitbegriffen gepriesen, mit denen man auch schon den "neuen Liebhaber" zum Leitbild erklärte. Die Protokolle von Zweitpartnern unter dem Titel "Wir sind die neuen Liebhaber" waren vor zwei Jahren ein Überraschungserfolg.

Im Vorwort schrieb die Herausgeberin Martina Rellin, die Zeit der "klugen Kämpfer" sei angebrochen: "Die Männer haben mal wieder Glück gehabt. Profitiert vom erstarkten Selbstbewusstsein der Frauen haben die Kerle." Die Männer stürzten sich genauso mutig in "außerpartnerschaftliche Beziehungen" wie die "starken, eigensinnlichen Frauen".

Wenig ist geblieben von den neuen Männern und den neuen Liebhabern, Optionisten und Egophilen. Man kann sie hier und da zwar treffen, doch sie sind keine Hoffnung, sie sind das Gespenst veralteter Utopien. Traurig stimmt ihr Dasein. Sie erinnern an die Leerstelle hinter aller Männlichkeit, den blinden Fleck des Ichs: die Angst, ganz spurlos zu vergehen.

Die Selbst-Optimierer schichten Anspruch auf Anspruch, um der Kränkung auszuweichen. Souverän ist aber nur, wer weiß, dass seine Schöpfungen schmelzen wie Schneekugeln.

Am schnellsten hat die Werbung auf den Wandel der Perspektiven reagiert. Der Schauspieler Ralph Herforth, der 2000 mit dem Spruch "Angst? Braucht kein Mensch!" für einen Aktienbroker warb und im Taxi durch New York raste - Herforth leiht seine deutlich langsameren Bewegungen nun einem Baufinanzierer.

In fünf Jahren vom Börsenspekulant zum Bausparer: Der Mann hat sich gehäutet und mit ihm ein ganzes Geschlecht.

Die Verlockungen des Soliden und Eindeutigen sind die neuen Sirenenklänge. Klare Männer braucht das Land.

© SZ v. 02.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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