Frameworks:Der Tonband-Leader

Lesezeit: 3 min

Valerio Tricoli kombiniert analoge und digitale Klänge. Seine Sound-Experimente stellt der in München lebende Sizilianer nun bei einem Festival vor

Von Jürgen Moises

Es gibt Pianisten, bei denen muss es unbedingt ein Steinway-Flügel sein, Gitarristen, die auf eine Fender Stratocaster schwören, und viele andere Musiker, die aus bestimmten Gründen nur ein ganz bestimmtes Instrument spielen. Bei Valerio Tricoli ist es ein Revox B 77. Ein von der Schweizer Firma Revox entwickeltes Viertel-Zoll-Tonbandgerät, das 1977 auf den Markt kam, vor allem in den Achtzigerjahren in Gebrauch war und bis in die Neunziger hinein produziert wurde. "Die Tonbandgeräte von Revox und Studer gehören zu den Klassikern der Musique concrète", sagt der in Palermo auf Sizilien geborene Tricoli, der sich als Komponist und Musiker in dieser Tradition sieht. Und das inzwischen "historische" B 77 klingt für ihn von allen einfach am besten.

Überzeugen kann man sich davon am Mittwochabend in der Muffathalle, wenn Valerio Tricoli im Vorprogramm des experimentellen Pianisten Hauschka das Frameworks-Festival eröffnet. Man kann dort miterleben, wie der 39-Jährige mit dem Revox B 77 Klänge aufnimmt, sie mit der Hand verändert, moduliert, verlangsamt, beschleunigt oder übereinanderschichtet. Klänge, die entweder live erzeugt sind oder in Form von elektronischen Sounds, Feld- oder Vokalaufnahmen aus einem Computer oder einem digitalen Musik-Player stammen.

Indem Valerio Tricoli diese Samples manuell manipuliert, dann zurück in den Computer schickt, wieder aufs Tonband und so weiter, entstehen hochkomplexe Klanggebilde, die sich in völlig unvorhersehbare Richtungen entwickeln können. Der Auftritt bei Frameworks ist das erste München-Konzert des 39-Jährigen, und das, obwohl der Komponist seit vier Jahren hier wohnt. Gelandet ist er hier der Liebe wegen; geblieben ist er, weil er inzwischen einen dreijährigen Sohn hat. Davor hat er knapp sieben Jahre in Berlin gelebt, wo auch sein Label PAN seinen Sitz und er noch ein untervermietetes Studio hat.

In München hat Tricoli sich in seiner Zweizimmerwohnung ein kleines Studio eingerichtet, wo er aktuell den Kurzfilm eines englischen Experimentalfilmers vertont. Ebenfalls aktuell ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem österreichischen Improvisationsmusiker Werner Dafeldecker und der chinesischen Soundprovokateurin Pan Daijing. Ein Radiostück für den SWR soll es werden, eine Live-Umsetzung in Berlin ist ebenfalls geplant, und wenn es klappt auch eine in München. Grundlage der Radio-Arbeit sind Ideen aus Texten des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Das ist nichts Ungewöhnliches für die Musik von Tricoli, der in Bologna Filmwissenschaft studiert, in Bands wie der Postrocktruppe 3/4 Had Been Eliminated gespielt hat und irgendwann damit anfing, seine Gitarren zu präparieren, um schließlich bei seinen Tonband-Experimenten zu landen. Tatsächlich bildeten auch bei seinen jüngsten Alben "Miseri Lares" (2014) und "Clonic Earth" (2016) teils philosophische, teils literarische, teils religiöse, mystische oder okkulte Texte den Ausgangspunkt. Bei "Clonic Earth" waren das Auszüge aus dem Chaldäischen Orakel, einem antiken Lehrgedicht, und Texte von Philip K. Dick, bei "Miseri Lares" Fragmente von Dante, E. M. Cioran und vor allem H. P. Lovecraft.

Valerio Tricoli hat die Texte im Studio eingesprochen und danach mit dem Tonbandgerät so verfremdet, dass man sie fast nur als Klang wahrnimmt. Ähnliches gilt für Instrumente wie Gitarre oder Bass, die ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit moduliert wurden. Zusammen mit den anderen Texturen ergibt das bei "Miseri Lares" eine unheimliche, albtraumhafte Stimmung, weshalb Tricoli es auch sein "Horror-Album" nennt. Die Liaison konkreter Musik mit dem Unheimlichen, Obskuren ist, so gibt der Komponist zu, keineswegs neu, sondern lässt sich bis zum Futuristen und konkreten Komponisten Luigi Russolo zurückverfolgen. Oder sogar bis zur geisterhaften, menschlichen Stimme, die 1877, entkörperlicht und maschinell reproduziert aus dem Klangtrichter von Alva Edison drang.

Dass Tricoli seine unheimlichen Klangexperimente seit vier Jahren in München durchführt, davon hat der Kurator des Frameworks-Festivals, Daniel Bürkner, zufällig von einem Festival-Gast erfahren. Und das, obwohl er ihn seit Jahren durch Auftritte auf der Ars Electronica oder Transmediale kennt und aktuell für eine der zentralen Figuren des elektro-akustischen, experimentellen Underground hält. Damit passt Tricoli auf jeden Fall sehr gut zu Frameworks, das sich seit 2011 Grenzgängen zwischen experimenteller Pop- und moderner E-Musik widmet.

Dafür stehen in diesem Jahr neben Tricoli und Hauschka: die japanische Avantgarde-Pop-Band Group A; der Pianist John Kameel Farah, der Elemente des Barock, Ambient Music, Minimalismus, Clubbeats und die Musik des Nahen Ostens verbindet; das Trio Sontag Shogun aus New York und Montreal, das organisch erzeugte Klänge digital schichtet; und das Produzentenkollektiv Den Sorte Skole aus Kopenhagen, das Fragmente aus Soul, Elektronik und Folklore zu hybriden Klangformen verdichtet. Im Gegensatz zum Eröffnungskonzert finden deren Auftritte wie gewohnt im Keller des Einstein Kultur statt, im musikalischen Untergrund von München.

Frameworks-Festival , Eröffnungskonzerte am Mittwoch, 8. März, 20 Uhr, Muffathalle (Zellstraße 4; kostenlose Platzreservierung unter www.frameworks.de); alle weiteren Konzerte am 9. und 10. März, 20 Uhr, Einstein Kultur, Einsteinstr. 42

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: