Fotos von der Front:Pornografie des Krieges

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Eine Internetseite zeigt Horrorbilder toter Iraker, aber das Pentagon mag nicht ermitteln.

Sonja Zekri

Zu den vielen Fragen, die das Urteil gegen Lynndie England offen gelassen hat, gehört auch diese: Wie viele amerikanische Soldaten im Irak haben ähnliche Bilder gemacht wie jene Aufnahmen, die die Soldatin in Abu Ghraib vor einer Pyramide nackter Irakis zeigt oder mit einer Hundeleine, die einem irakischen Gefangenen um den Hals gebunden ist?

Pornografie des Krieges: Misshandlung irakischer Gefangener. (Foto: Foto: AP)

Die Antwort ist wenige Tage nach Prozessende noch immer schwierig, aber eine umstrittene Website legt zumindest einen beunruhigenden Schluss nahe: Es sind mehr als nur das Häuflein Verirrter und Verurteilter, sie machen Aufnahmen, die schlimmer sind als alles, was aus Abu Ghraib an die Öffentlichkeit gelangt ist, und sie könnten sich für das US-Militär zu einem neuen Skandal auswachsen.

Fotos von der Front

Ursprünglich als Porno-Seite entworfen, auf der die Nutzer Schnappschüsse ihrer Frauen einschicken sollten, hat sich die Internetadresse innerhalb weniger Monate zu dem entwickelt, was ein Kommentator "die neue Pornografie des Krieges" nannte: Hunderte Bilder getöteter, verstümmelter Iraker oder Afghanen sind dort zu finden, enthauptete Leiber, abgeschnittene Köpfe, Teile von Gliedmaßen - oft unter Kommentaren wie "Gekochter Iraker" oder "Was von einem Selbstmordattentäter übrig bleibt".

Chris Wilson, der die Seite von Florida aus betreibt, allerdings über einen Server in Amsterdam - und damit schwer erreichbar für die US-Justiz -, Chris Wilson hatte die Soldaten im Mai auf der Webseite eingeladen, Fotos von der Front zu schicken - im Tausch für einen Zugang zu den Pornobildern, da Überweisungen aus Afghanistan oder aus dem Irak oft schwierig waren: "Zeigt uns einen Panzer, Gewehre, euren Wohnort, einen toten Taliban, irgendwas!"

Keine einmalige Entgleisung

Jeder solle sich die Seite ansehen, schrieb Wilson später in einem Weblog: "Sie zeigt den Krieg aus der Sicht der Soldaten selbst. Wo sieht man das sonst?"

Nun sind Bilder von Leichen, Hinrichtungen und Grausamkeiten aller Art im Internet keine einmalige Entgleisung, und dass Soldaten sich zur Triebabfuhr, vielleicht zur perversen Überhöhung in einem letzten Akt der Demütigung vor ihren Opfern fotografieren lassen, ist spätestens seit der Wehrmachtausstellung bekannt.

Wilsons Website aber fügt der Debatte über die Medialisierung des Krieges eine neue Dimension hinzu. Der Schnappschusshorror zerstörter menschlicher Leiber zeigt die Abgründe der neuen "sozialen Software", einer Programmart, die im Normalfall selbst geschriebene Enzyklopädien hervorbringt, Online-Fotoalben oder Blogs ( SZ vom 24. 9.). Die Horrorbilder zielen, anders als Lynndie

Englands Fotos, auf das große Publikum: Wilsons Online-Trophäen haben Hunderttausende Besucher auf der ganzen Welt.

Anonyme Quellen

Nach Monaten des Protestes von Bürgerrechtsgruppen und Vorwürfen muslimischer Gruppen in Amerika hatte das Pentagon am Mittwoch die Ermittlungen aufgenommen - und sofort wieder beendet. Die zuständige Ermittlungsbehörde des Heeres, so ein Sprecher, habe nicht klären können, ob wirklich US-Soldaten für die Bilder verantwortlich seien und ob es sich tatsächlich um Tote aus dem Irak und Afghanistan handle.

Die Quellen seien anonym, Angaben zu Zeit, Ort und Einheiten fehlten auf den Bildern: eine Argumentation, die insofern erstaunlich ist, als auf manchen Bildern US-Soldaten offen in die Kamera blicken, Rangabzeichen, Autos, Straßenschilder erkennbar sind.

Der Rat für Amerikanisch-islamische Beziehungen kritisierte die Entscheidung des Pentagons. Die Ermittlungen seien nur oberflächlich geführt worden, erklärte der Sprecher des Rates, Ibrahim Hooper. Der Fall werfe "ein wirklich sehr negatives Licht auf die Armee unserer Nation", und er werde wohl "dem Bild Amerikas und seinen Interessen in der islamischen Welt weiteren Schaden zufügen."

© SZ vom 30.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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