Folgen der Papstrede:Die Stunde der Radikalen

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Die gemäßigten Muslime sind die Verlierer der Islam-Feindlichkeit. Die Debatte um den politischen Islam scheint in sich zusammenzufallen.

Sonja Zekri

Es wird nicht genügen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat das Bedauern des Papstes akzeptiert, aber das wird nicht genügen. Der britische Rat der Muslime hat erklärt, die Klarstellung Benedikts XVI. sei "genau jene Versicherung, auf die die Muslime gewartet haben". Aber auch das wird nicht genügen.

Auch wenn es "nur" ein Zitat war - die Radikalen bekommen Zulauf, während die moderaten Muslime ihren Einfluss schwinden sehen. Mitglieder der extremistischen "Islamischen Verteidigungsfront" demonstrieren in Djakarta. (Foto: Foto: dpa)

Dass Ali Bardakoglu, der Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten in der Türkei und einer der schärfsten Kritiker der Regensburger Äußerungen des Papstes, die Entschuldigung inzwischen als "Zeichen des Friedenswillens" begrüßte, wird nicht genügen. Haja Rasched al-Khalifa, Präsidentin der UN-Vollversammlung und in diesem Amt die erste muslimische Frau überhaupt, hat die islamischen Religionsführer aufgerufen, die Gegensätze zu überwinden. Aber auch dies wird nicht genügen.

Mordaufrufe als Enthüllung des wahren Charakters einer Religion

Seit der Papst mit seiner Rede in der Regensburger Universität trotz allem eine Einladung zum Dialog hatte aussprechen wollen, aber zugleich den muslimischen Gesprächspartner brüskiert hatte, verhallen die moderaten Stimmen in Deutschland so gut wie ungehört. Seitdem schlägt die Stunde der Radikalen. Die brennenden Kirchen in Palästina, die lodernden Papst-Puppen in Pakistan, der Mord an einer somalischen Nonne, der möglicherweise mit der Papstäußerung zusammenhängt, die Äußerung Ayatollah Ali Chameneis, des geistlichen Oberhauptes in Iran, der die Papst-Rede als "letztes Glied eines Komplotts für einen Kreuzzug" bezeichnete und natürlich die Mordaufrufe al-Qaidas werden nicht als fanatische Exzesse aufgefasst, sondern als Enthüllung des wahren Charakters einer Religion.

Lustvoll schwelgt die deutsche Publizistik in Angstphantasien von einem aggressiven Islam, dessen innerster Kern die Aufforderung an die Gläubigen ist, den Westen mit gezogenem Säbel zu missionieren - oder zu unterwerfen. Vielleicht werden Psychologen eines Tages herausfinden, dass dieses Szenarien das Bedrohungsvakuum nach dem Ende des Kalten Krieges ausfüllen. Einstweilen aber gelten anderthalb Milliarden Muslime als gigantisches Heer potenzieller Gotteskrieger.

Die Debatte um den politischen Islam scheint ohne Erfolg zu sein

Der Koran müsse endlich historisiert werden, in seinem politischen und geschichtlichen Kontext gelesen werden, fordert der Westen von den Muslimen. Aber der Greifswalder Althistoriker Egon Flaig hat in der FAZ die islamische Expansion zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert so unreflektiert beschrieben, als rauchten die Trümmer Barcelona noch, das doch um 1000 angezündet wurde.

Und der Ökumene-Beauftragte des Papstes, Kardinal Walter Kasper, warnt im Spiegel, der Islam sei "eine andere Kultur", er habe "keinen Zugang zu dem gefunden, was die positiven Seiten unserer modernen westlichen Kultur ausmacht", "die Religionsfreiheit, die Menschenrechte oder die Gleichberechtigung der Frau". Dass sich damit ausgerechnet die katholische Kirche zur Galionsfigur der Emanzipation aufwirft, ist das eine. Dass der Kardinal mit seiner Abgrenzung den Islamisten geradezu das Wort aus dem Munde nimmt, etwas anderes.

Manchmal scheint es, als sei die Debatte über den politischen Islam in den fünf Jahren seit dem 11. September nicht einen Zentimeter vom Fleck gekommen. Wer auf die jüngeren politischen und sozialen Faktoren des militanten Islamismus hinweist, auf die Knebelung der Opposition im Nahen Osten, das militärische Fiasko Amerikas im Irak, das Zusammenspiel von Öl und Repression in Ländern wie Saudi-Arabien, gilt noch immer als verantwortungsloser Verharmloser - oder gleich als Sympathisant.

Verlierer dieses Streites: die Befürworter der Modernisierung

Begeistert wird stattdessen auch hierzulande die Formulierung des amerikanischen Präsidenten George W. Bush vom "islamistischen Faschismus" kolportiert, als brächte solche ahistorische Simplifizierung einen Erkenntnisgewinn. So aufschlussreich es sein kann, Islamismus und Faschismus als Spielarten der Ablehnung einer verhassten Moderne zu diskutieren, so sehr verschleiert diese Gleichsetzung alle Unterschiede.

Die Gründe des gewalttätigen Islamismus - das weiß man auch in der arabischen Welt - sind zum Verzweifeln komplex. Wer sie auf die Religion reduziert, liefert eine schöne, aber sträflich schlichte Erklärung.

Den islamistischen Hardlinern, die aus der Ablehnung des Westens Kapital schlagen, kommen solche Äußerungen gelegen. Sie scharen die Massen gerade mit dem Hinweis auf die Ablehnung durch das Abendland um sich. Die rhetorische Basis der Gemäßigten hingegen schwindet mit jeder Generalverurteilung, mit jedem Auftritt eines Religionsvertreters, der vor dem Gespräch erst einmal in Büßerhaltung der Gewalt abschwören muss, als wäre für Muslime die Unschuldsvermutung aufgehoben.

Sie sind - wie immer - die Verlierer dieses Streites: die Befürworter einer islamischen Modernisierung, die Anwälte einer aufgeschlossenen, neugierigen Haltung gegenüber dem Westen, die Millionen Muslime beispielsweise in Deutschland, die den Streit um die Mohammed-Karikaturen mit demselben Stoizismus verfolgt haben wie die Aufregung um die Papstrede. Sie stehen unter doppeltem Rechtfertigungsdruck. Und wenn ihnen eines Tages die Argumente für ein gewaltfreies Nebeneinander ausgehen sollten, dann hat der islamfeindliche Populismus gewiss auch dazu beigetragen.

© SZ vom 19. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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