Flüchtlingsprojekt:Geschichten im Gepäck

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In einem Kunstprojekt verarbeiten jugendliche Flüchtlinge ihre Erlebnisse

Von Karen Bauer, München

Eine Hose, einen Pullover, Schuhe für den langen Weg, einen Schal gegen die Kälte, Zahnbürste und Zahnpasta: Das war alles, was Oumar auf seiner Flucht aus Mali in einem Rucksack nach Deutschland bei sich trug. Mit Wachsmalstiften hat der 13-Jährige seine Habseligkeiten auf ein Blatt Papier gemalt. "Was hast du im Gepäck?", so heißt der Workshop, der in diesem Sommer drei Wochen lang in der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss Blutenburg stattfindet. Gemeinsam mit den US-amerikanischen Künstlern Christopher Myers und Kaneza Schaal sprechen Oumar und andere geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Münchner Gemeinschaftsunterkünften über ihr Gepäck, auch im übertragenen Sinne: "Die Kinder bringen vor allem Geschichten mit: Erfahrungen aus ihrer Heimat, Eindrücke von der Flucht", sagt Christopher Myers. "Wir tragen alle viele verschiedene Geschichten in uns, sind selbst wie Büchereien", ergänzt Kaneza Schaal. Myers ist Jugendbuchautor und Illustrator, sein Buch "Harlem" wurde mit der Caldecott Medal ausgezeichnet. Kaneza Schaal ist Performance-Künstlerin aus New York. Seit mehr als zwölf Jahren arbeitet sie als Kunstpädagogin mit geflüchteten Jugendlichen.

Mit den verschiedenen künstlerischen Techniken von Malen über Fotografie bis hin zu Improvisationstheater wollen die Künstler den Münchner Kindern zeigen, wie man sich ohne Worte ausdrücken kann. "Sie sollen selbst entscheiden können, wie sie ihre Geschichten erzählen", sagt Schaal. Die Performerin spricht nur Englisch, Myers Englisch und gebrochenes Deutsch. Mit den Kindern kommunizieren sie mit Händen und Füßen, mit Hilfe von Fotos und Farben.

Oumar etwa hat die Länder, durch die er bei seiner Flucht gegangen ist, aufgezeichnet: Zu Fuß ging er mit seiner Familie aus seinem Heimatland Mali in den Senegal, dann weiter nach Libyen. In einem Schlauchboot kamen sie nach Italien und fuhren mit dem Auto durch Österreich nach Deutschland. Seit Sommer 2015 lebt Oumar mit seiner Familie in einer Gemeinschaftsunterkunft in München.

"Die Flucht war ein bedeutender Einschnitt in ihrem Leben", sagt Christopher Myers. Viele haben auf der Reise Gewalt erfahren, haben Menschen sterben gesehen, um ihr eigenes Leben gekämpft. Nur wenn die Kinder darüber sprechen, können die Wunden und Traumata heilen, glaubt Myers. Wichtig ist den Künstlern, dass die Kinder nicht nur zurückschauen, sondern auch wieder eine Vorstellung von ihrer Zukunft entwickeln. In der vergangenen Woche haben sich die Kinder überlegt, was sie einmal werden wollen. Dann haben sie sich verkleidet und fotografiert. Die Afghanin Zahide hat sich mit einer roten Federboa als Sängerin verkleidet, posiert auf einem anderen Foto in schwarzem Umhang als Richterin. "Vielleicht wird sie die erste singende Richterin Afghanistans", sagt Myers. Oumar hat sich mit blauem Trikot und umgekehrt aufgesetzter Kappe als Fußballstar inszeniert. Heute sollen die Jugendlichen ihre eigene Flagge entwerfen. "Wie sieht die Flagge von Oumar-Land aus?", fragt Myers den schüchternen Jungen. Der überlegt kurz, taucht dann einen Pinsel in blaue, einen anderen in rote Farbe und malt mit großen Bewegungen Streifen. Darauf schreibt er den Namen seines Lieblingsvereins: "FC Barcelona". Die anderen Kinder beraten sich auf Arabisch, Kurdisch und Deutsch. Die drei irakischen Mädchen Lya, Ashtar und Ninive malen eine gemeinsame Flagge: Oben ein Streifen schwarz, unten Pink, in der Mitte eine Tänzerin mit Pferdeschwanz und türkisfarbene Wellenlinien. Die irakische Künstlerin Aisha sei ihr Idol, erzählen die Mädchen. Türkis, schwarz und Pink sind ihre Lieblingsfarben. "Bei uns wird nur gegessen und getanzt", verkünden sie. "Ah, ihr habt eine ,Rhythm Nation' gegründet - wie Janet Jackson", sagt Myers und lacht. Ahmeds Flagge ziert ein Yin-und-Yang-Zeichen. Immer wenn er beim Fußballspielen mit seinen Kumpels ein Tor schießt, ist das sein Symbol, erzählt der 17-jährige Syrer.

Die anderen Kinder lachen und klatschen. "Wir waren erstaunt, wie fröhlich sie sind", sagt Myers. Über das Projekt in der Internationalen Jugendbibliothek will er ein Buch schreiben. Dank seiner Begegnung mit den geflüchteten Jugendlichen in München hat er nun selbst neue Geschichten im Gepäck

Was hast du im Gepäck? Präsentation: Fr., 9. September, 19 Uhr, Internationale Jugendbibliothek, Schloss Blutenburg, Anmeldung: 89 12 11 49 Die Namen der Kinder wurden geändert.

Die Flagge von Oumar-Land: In der Jugendbibliothek ähnelt sie auffällig der des FC Barcelona. (Foto: Florian Peljak)
© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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