Flower Power:Schmerz-Supernova

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Ein Wald an der Küste Italiens ist der Zufluchtsort für drei Kinder. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Christian Klippel erzählt von drei jungen Aussteigern an der Küste Italiens, mit dem Flair der 70er-Jahre.

Von Fritz Göttler

Pasquale pfeift, die Melodie kommt Laura bekannt vor. Ciao, Pasquà - was pfeifst du da? Niente, erwidert Pasquale, das Lied der Straße. Natürlich meint er nicht Fellinis Film " La Strada", der bei uns " Das Lied der Straße" heißt, mit der Musik von Nino Rota. Oben in Pozzo, sagt Pasquale, da kommt Musik aus dem Asphalt. Laura schlägt sich mit der Hand an die Stirn. Sie weiß, worum es da geht, das Klingelzeichen des toten korrupten Carabiniere, der dort unter dem Asphalt verbuddelt ist. Sie kennt auch die Melodie, den Hummelflug von Rimsky-Korsakow.

Es ist ein gespenstischer, absurder, surrealer Moment, einer von vielen, in denen sich dieser Roman immer wieder zusammenzieht, um danach schnell wieder zu explodieren. Ein Mädchen und zwei Jungen, die versuchen, ihrer Gegenwart zu entkommen, und die sich, gerade in dieser Fluchtbewegung, nur heillos in sie verstricken. Sie leben in einer Hütte im Wald am Meer. Sie lieben sich. Die Kinder von Pozzo Reale.

Laura ist aus Hamburg abgehauen, die Eltern leben getrennt, haben neue Partner, ihr Freund hat plötzlich eine andere, und sie muss ein paar Monate in eine Anthroklinik - Rudolf Steiners Anthroposophie. In Italien trifft sie zwei andere Aussteiger. Guido ist raus aus der Via del Gasometro, dem Knast, er hat eine miserable Kindheit gehabt. Walter ist aus Albanien geflohen.

Es sind schrille Geschichten, die die drei hinter sich haben, und die meisten anderen jungen Menschen, die sie auf ihrem Weg treffen, Riìna zum Beispiel, aus Rumänien, die viele der Techniken des Lebens hat lernen müssen. Die Geschichten sind schrill gemacht, um Eindruck zu machen beim Erzählen. Manchmal auch schlicht erfunden. Das stört nicht, Glaubwürdigkeit und Wahrheit und Diskretion sind nicht mehr die großen Kriterien im Geschäft des Erzählens. Das Leben ist alles, die Freiheit, unbedingt, exzessiv, pathetisch. "Eine Supernova aus Schmerz löst mich auf."

Das Buch schießt blitzschnell durch die letzten Jahrzehnte. Christian Klippel, Jahrgang 1955, sieht sich als ein Produkt der Siebziger. "Und selten ist ein Jahrzehnt schneller und gründlicher unpopulär geworden wie dieses." Im Jahr 1985 wollte er sein Buch " Barfuß nach Palermo" veröffentlichen, beim berühmten März-Verlag, der - provokativ, laut, poppig - mit seinen aggressiven gelben Einbänden die Siebziger prägte. 1986 musste März aber aufhören, erst 1999 wurde " Barfuß nach Palermo" veröffentlicht, in der Edition Mathieu.

"Verdammt schönes Leben" ist ein schonungsloses Buch, schonungslos befreiend. Korruption kommt drin vor, Prostitution und Vergewaltigung und Totschlag, Wespen, die tödlich sind, eine Beretta, die sich die Jugendlichen in den Mund schieben . . . "Aber sind wir nicht alle im Krieg? Ist nicht das ganze Leben Krieg? Ständig müssen wir kämpfen . . . Schau dir die Schwalben an. Du denkst, sie tanzen. Du meinst: Oh, ja, wie schön. Das ist der Frühling. Sie sind so frei. Sie segeln am Himmel. Ich will dir was sagen: Sie haben Hunger. Sie kämpfen ums Überleben." Ja, es gibt Momente der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung. Aber schnell geht es dann wieder nach oben. Mit einem rasanten geflügelten Gefährt, einer Vespa für drei.

Christian Klippel: Verdammt schönes Leben. Thienemann 2016. 319 Seiten, 14,99 Euro.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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