Filmkritik:Würmer in den Klauen des Adlers

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Der Meister ist zurück - Quentin Tarantino führt Uma Thurman zum letzten Showdown in "Kill Bill Vol. 2".

Von Tobias Kniebe

Als erstes musst du lernen, dass du ein Nichts bist. Wie hart du auch trainierst, wie viel du auch gesehen, wie sehr du auch meinst, verstanden zu haben - noch weißt du gar nichts. Der Meister wird dich durch die Luft wirbeln, gegen die Wand klatschen, in den Staub werfen. Er wird dich auslachen und erniedrigen, und wenn er schlechte Laune hat, wird er dich sogar töten. Aber vielleicht auch nicht. Denn möglicherweise erkennt er Talent in dir. Dann wird er dich fragen, ob du zugibst, ein Wurm zu sein. Ein hilfloser Wurm in den Klauen des Adlers. Du wirst Ja sagen, Gehorsam versprechen, dein Leben in seine Hand geben. In diesem Moment beginnt deine Ausbildung.

(Foto: Foto: AP)

Das Kino, sagt Quentin Tarantino, sollte genauso funktionieren. Nach dem Prinzip von Meister und Lehrling, Lehrer und Schüler. Nach den uralten Regeln der Shaolin, nach denen auch das Töten eine hohe Kunst ist: The Martial Art. Die jungen Filmemacher aus dem Westen, verseucht von der Idee des romantischen Originalgenies, die meinen, nichts lernen zu müssen, ganz aus sich selbst zu schöpfen, alles bereits zu wissen - sie sind ein Nichts. Eine einzige Einstellung reicht, sie in den Staub zu werfen, ein schneller Schnitt, sie zu enthaupten. Man muss schon jahrelang in die Lehre gegangen sein, in billigen Vorort-Kinos trainiert, sein Leben in die Hand der großen Regisseure gegeben haben. Nur wer den Meistern Respekt erweist, kann einmal selbst einer werden. Und muss doch ein Leben lang Lehrling bleiben.

"Kill Bill Vol. 2" ist Tarantinos Schlüsselwerk. Ein Film, der alles klarer macht, was bisher war - nicht nur den ersten Teil, der letzten Oktober lief. Die blutrünstige Braut (Uma Thurman) ist zurück, um ihr Werk der Rache zu vollenden. Drei Menschen muss sie noch töten, die auf ihrer Liste der Vergeltung stehen: Den verlorenen Aussteiger Budd (Michael Madsen), die einäugige Giftschlange Elle (Daryl Hannah) - und schließlich Bill (David Carradine), dem der Titel gewidmet ist und der nun endlich auftaucht. Er war einmal ihr Chef, der Leiter ihres Killer-Kommandos. Er war einmal ihr Geliebter. Vor allem aber war er ihr Lehrer und Meister. So knistert vor allem pädagogischer Eros in dieser Beziehung. Irgendwann muss der Schüler den Meister überwinden, wenn er Vollendung erlangen will - so heißt es in der Kunst. Auch davon handelt dieser Film. Er drückt es nur sehr viel einfacher aus: Kill Bill.

Bills Meister

Bill hatte selbst wiederum große Meister, und auch diese lernen wir kennen. Sein Meister in geschäftlichen Dingen war Esteban (Michael Parks), ein mexikanischer Bordellbesitzer. Er ist Gentleman, Frauenkenner - und ein ultrabrutaler Bastard wie Bill. Gleichzeitig macht er klar, dass auch Bill früher Zuhälter war, die Braut seine Hure - nur haben sie zusammen nicht Sex verkauft, sondern Tod.

Bills Meister in der Kampfkunst ist Pai Mei (Gordon Liu), ein steinalter Mönch in China. Er ist der tödlichste Mann der Welt. Seine Augenbrauen sind wie Büschel überreifer Baumwolle, sein Bart fliegt im Wind wie feine Zuckerwatte, sein meckerndes Lachen gleicht einer Ziege. Quentin Tarantino wollte ihn selbst spielen, und als das nicht ging, hat er ihn immerhin synchronisiert. Die Braut darf bei Pai Mei in die Lehre gehen. Staksig und neugierig wie ein Rehkitz erklimmt sie die Stufen zu seinem Reich: Schülerin durch und durch. Und dann, in langen, blutigen Monaten, wird sie zur Musterschülerin. Die einzige, die Pai Mei wirklich beerben darf.

Das Kennzeichen des Meisters ist, neben der Meisterschaft, die dozierende Rede. Sie ist auch das Kennzeichen Tarantinos. Ob er selbst als Mister Brown die Bedeutung eines Madonna-Songs erklärte, ob er John Travolta über Big Macs in Europa philosophieren oder Samuel Jackson feuerspeiend Bibelstellen deklamieren ließ - stets war darin ein pädagogischer Impetus zu spüren, der sich der Rede des Meisters entlehnte. In "Kill Bill Vol. 2" führt er diese Poesie zu neuen Höhen. Michael Parks und Gordon Liu haben wunderbare Sentenzen, aber am Ende ist David Carradine der Meister aller Klassen. Weisheit, Trauer und Gefahr schwingen in seiner Stimme mit. Er meißelt seine Sätze, Wort für Wort, in Stein - als habe er ein Leben lang auf diese Dialoge gewartet. Jene Stimmen aber, die raunten, Tarantino habe womöglich seinen magischen Klang verloren - die müssen nun wieder schweigen.

Der Eros des Pädagogen durchzieht jedes Tarantino-Interview, beherrscht auch seine Filme durch und durch. In schwächeren Momenten nervt er damit, wie übereifrige Lehrer manchmal nerven: Alles wirkt ein wenig akribisch, rechthaberisch, redundant. Manchmal macht er so lange weiter, bis auch der letzte Hinterbänkler es kapiert haben muss. Doch wenn er gut ist, fühlt man sich wie der Wurm in den Klauen des Adlers: Hypnotisiert von Kraft und Leidenschaft, seinem unerschöpflichen, oft nur angedeuteten Wissen, von der zwingenden Logik seiner Exkurse, der Kühnheit seiner Gedankensprünge. Der Sinn seiner allgegenwärtigen Filmzitate wird dabei oft missverstanden: Es geht nicht einfach um Pop, Plagiat oder Postmoderne - in Tarantinos Welt sind diese Zitate rituell, ehrenvoll und gänzlich unverzichtbar. Denn wer seinen Meistern nicht Tribut zollt, auch das zeigt "Kill Bill", hat ganz schnell ein Auge weniger.

Unschuldig wie ein Kinderspiel

War er im ersten Teil noch selbst eher Schüler des asiatischen Kampfkinos, einer, der es gewagt hat, in einer fremden Welt wieder Anfänger zu werden - dann kehrt Tarantino in "Vol. 2" zu seinen ureigensten Stärken zurück. Jede Einstellung drückt seine pure Freude am Kino aus: Die schwangere Braut im weißen Hochzeitskleid, eingerahmt vom Türstock des amerikanischen Westerns. Die Braut, lebendig begraben, während schwere Nägel in ihren Sarg geschlagen werden. Die Braut, die sich aus dem Hitzeflimmern der Wüste löst, einmal mehr von den Toten zurückgekehrt.

So viel mehr gäbe es zu berichten - aber man kann es nur andeuten, will man die Glücksgefühle dieses Films nicht verraten: Zum Beispiel die Art, wie Mutterschaft eine Killerin verändern kann - und die Frage, ob Tarantino, dieser ultrabrutale Bastard der Bilder, nicht doch bald ein Lehrer des Humanismus werden könnte. Oder die Überraschung des letzten Showdowns, der so ganz anders kommt als erwartet, unschuldig wie ein Kinderspiel. Schließlich die Frage, ob der unglaubliche Blick, den dieser Film auf eine unglaubliche Frau namens Uma Thurman wirft, nun eher der Blick eines Meisters oder der eines Schülers ist. Oder gar beides zugleich.

KILL BILL - Vol. 2, USA 2004 - Regie, Buch: Quentin Tarantino. Kamera: Robert Richardson. Schnitt: Sally Menke. Musik: RZA, Robert Rodriguez. Martial Arts Berater: Yuen Wo-Ping. Mit: Uma Thurman, David Carradine, Gordon Liu, Daryl Hannah, Michael Madsen, Michael Parks, Bo Svenson, Samuel L. Jackson. Buena Vista, 136 Minuten.

© SZ vom 21.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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