Filmfestival:Selbstbewusst und fragil

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Seit jeher sucht Underdox Orte, die uns fremd sind und deren Fremdheit durch die Filme nicht aufgelöst wird - zum Beispiel Marquard Bohms Hamburg der Sechziger- und Siebzigerjahre

Von Fritz Göttler

Am letzten Tag gibt es fast so etwas wie eine Heimkehr, da führt uns das diesjährige Underdox-Filmfestival direkt in den Schoß der Kinogeschichte. An die Costa Paradiso auf Sardinien, wo der Filmemacher Michelangelo Antonioni und seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Monica Vitti, Anfang der Siebziger ein archaisch-modernes Kuppelhaus in die Landschaft gesetzt hatten - man könnte meinen, es hätte irgendwie den mythischen Gesellschaftskritiker Peter Sloterdijk zu seinen Sphären-Theorien inspiriert. Gemeinsam hatten Vitti/Antonioni vier Filme gemacht, darunter die legendären "L'Avventura" und "L'eclisse", welche die Vorstellungen vom modernen Kino radikal geprägt hatten. "La Cupola" heißt der Film, der diesem inzwischen heruntergekommenen Bau gewidmet ist (Mittwoch, 12. Oktober, Werkstattkino), von Volker Sattel. Der hat vor einigen Jahren mit dem Film "Unter Kontrolle" über die stillgelegten deutschen Atomkraftwerke bewiesen, wie er magische Orte filmisch zu erforschen versteht.

Magische Orte sucht das Filmfestival Underdox nun im elften Jahr auf, Orte, die uns fremd sind und deren Fremdheit durch die Filme nicht aufgelöst, zerredet, zerstört wird: Diesmal etwa das Grenzland von Myanmar und China in "Ta'ang" von Wang Bing, die marokkanische Wüste in "The Sky Trembles and the Earth is Afraid and the Two Eyes are not Brothers" von Ben Rivers, die schwarzen Slums von Manila in "Alipato - The Very Brief Life of an Ember" von Kvan. Dazu eine reiche Mischung kanadischer Kurzfilme aus Québec, die unermüdlich neue Formen und Perspektiven ausprobieren - kreativer Austausch in den Wochen vor Inkrafttreten des Ceta-Handelsabkommens.

Eine besonders fremde Region ist dieses Jahr Hamburg, Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre, in der kleinen Hommage, die am Sonntag Marquard Bohm gewidmet ist. Bohm verkörperte damals die Jugend des deutschen Kinos - der deutsche Belmondo! -, kantig und verletzlich, selbstbewusst und fragil, eine wirkliche Unschuld aber schien er nie besessen zu haben. Man kennt ihn aus Filmen von Fassbinder ("Warnung vor einer heiligen Nutte", "Faustrecht der Freiheit"), Rudolf Thome ("Detektive", "Rote Sonne", "Supergirl"), Klaus Lemke ("Brandstifter"), Wim Wenders ("Im Lauf der Zeit" und seines Bruders Hark Bohm ("Nordsee ist Mordsee"). Marquard Bohm starb im Februar 2006, heuer wäre er fünfundsiebzig geworden. Das Münchner Underdox-Festival zeigt zwei Filme, bei denen er spielt und auch Regie gemacht hat, "Na und . . .?" (1966, zusammen mit Helmut Herbst) und "Terror Desire" aus dem Jahr 1971.

Damals, in den Sechzigern, wollte jeder Filme machen, auf den Straßen oder in den eigenen Wohnungen, impulsiv und ohne große Spezialausbildung, auch ohne falsche künstlerische Ambition und große Forderungen nach absoluter Perfektion. Es war die Zeit kurz vor und nach Achtundsechzig, eine Aufbruchs- und Anarchiestimmung: politisch Kino machen, das war die Devise. Die Oberhausener hatten es vorgemacht, um Alexander Kluge und Edgar Reitz, denen bald Wenders, Lemke und Fassbinder folgten - man sprach sogar von einer Münchner Schule. Die Revolte gegen das alte Kino, der sich auch Marquard Bohm anschloss, war politisch wie ästhetisch motiviert, die gesellschaftlichen Ordnungen sollten sabotiert werden, aber auch die des filmischen Erzählens. Die radikalste Gruppe, die solches im Sinn hatte, saß in Hamburg, wo 1968 die Filmmacher-Cooperative gegründet und die erste Hamburger Filmschau organisiert wurde, an der Spitze Helmut Herbst. Hier berief man sich direkt auf Dada und fühlte sich anarchischer als die Münchner - die wollten nur selber die deutsche Filmindustrie übernehmen, kommentierte Herbst im Rückblick.

Der Ansporn auch für die Filme "Na und . . .?" und "Terror Desire" kam natürlich aus Frankreich, von der Pariser Nouvelle Vague, Godards "Außer Atem". "Na und . . ." beginnt in einem dunklen Zimmer, es klopft an der Tür, die Frau steigt aus dem Bett, der Mann - Bohm - zieht, als grelles Licht ihm ins Gesicht fällt, unwillig die Decke über den Kopf. Die Ballade eines Arbeitsuchenden wurde "Na und . . .?" in der Filmzeitschrift ray genannt: "Beiläufig und eher gleichgültig absolviert Bohm solche Termine, hält sich aus allem heraus und von allen Geschichten fern." So bleibt die Welt ihm fremd und magisch, eine endgültige Rückkehr in den Urschoß sieht das Underdox nicht vor.

Underdox Filmfestival , bis Mi., 12. Okt., Filmmuseum, Werkstattkino, Neues Maxim, Theatiner, www.underdox-festival.de

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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