Filmfest München:In der Sonne sieht man nichts

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Neue Filme von Allison Anders und Tom DiCillo - und auch der Geist von Melvilles "Bartleby" macht sich bemerkbar

Susan Vahabzadeh

(SZ vom 06.07.01) "Manchmal dauert es Jahre, keine Zeit zu verschwenden", lautet ein wunderbarer Satz in Randy Redroads Film "The Doe Boy". Das passt ganz oft im Leben.

"I would prefer not to." (Filmausschnitt "Bartleby") (Foto: Foto: Verleih)

In "The Doe Boy", der ganz ruhig erzählten Geschichte eines jungen Halb-Cherokee, nimmt der Großvater mit dem Satz vorweg, was der Held erst noch herausfinden muss: Er ist Bluter, er ist immer ein bisschen zu sehr behütet worden; die Erwartungen, die sein weißer Vater an den einzigen Sohn richtet, den er Hunter, Jäger, genannt hat, kann er nicht erfüllen.

Aber seine verzweifelten Versuche, in die Männerrolle zu schlüpfen, die ihm zugewiesen wird, sind dann doch keine verlorene Zeit: Vielleicht muss man versucht haben, ein Jäger zu sein, um zu verstehen, warum man keiner ist. Es braucht seine Zeit, zu begreifen, was man kann und wer man ist.

Es hat in den letzten Jahren Anzeichen dafür gegeben, dass die Grenze zwischen Mainstream und Independents im amerikanischen Kino durchlässiger wird - und Filme wie "American Beauty" oder "Traffic" mögen das auch belegen. Wenn man sich anschaut, was auf dem Münchner Filmfest in der Independent-Reihe zu sehen ist, merkt man schnell, dass das so nicht wahr ist - und das ist ganz in Ordnung so.

Wer ins System eingebunden ist, wird den Mut zum Irrsinn und zum Scheitern verlieren, der diese Filme spannend macht. "The Believer" von Henry Bean zum Beispiel - der Film hat in diesem Jahr beim Festival in Sundance gewonnen, einen Verleih in den USA hat er trotzdem nicht gefunden, nicht einmal einen unabhängigen Verleih.

Er erzählt die Geschichte eines hochintelligenten jüdischen Jungen, Danny Ballint, der eine ziemlich steile Karriere in einer Nazi-Organisation in New York macht. Dass die Geschichte so ähnlich wirklich passiert ist, nützt gar nichts: Es ist sehr schwierig sie zu erzählen, weil es keine Antwort auf die Frage nach dem Warum gibt.

Henry Bean hat auch nicht versucht, eine psychologische Analyse abzuliefern, und es gibt Sequenzen, in denen sich in Dannys Kopf Geschichten vom Holocaust abspielen, die er gelesen oder gehört hat - und er versucht immer wieder, sich selbst als Täter zu sehen, bis er sich gegen die Opferrolle nicht mehr wehren kann. Aber eine einfache Lösung, irgendeinen kleinen Ansatz, der einem nicht den Nachtschlaf raubt, hat Bean nicht zu bieten - so leicht macht er es sich und seinem Publikum nicht.

Da ist sogar der neue Film von Allison Anders, die schon mit "Gas Food Lodging" beim Filmfest war, leichter zu verdauen. Anders hat sozusagen die Verbindung gedreht zwischen den Musikdokumentationen, die in der Independent Reihe zu sehen sind - Penelope Spheeris' "We Sold Our Souls to Rock'n'Roll" und Doug Prays "Scratch" - , und den Spielfilmen.

"Things Behind The Sun", in der Rockszene angesiedelt, in billigen Motels und kleinen Clubs, ist ein sehr musikalischer Film, nicht nur, weil die Hauptfiguren eine Sängerin und ein Musikjournalist sind, sondern weil es um die Verknüpfung von Musik und Erinnerung geht - darum, wie manchmal ein Musikstück ganz eng verbunden ist mit Gefühlen, die nicht als verständliche Erinnerung an die Oberfläche des Bewusstseins dringen.

Sherry weiß zwar, dass sie als junges Mädchen vergewaltigt worden ist, und dass bestimmte Musikstücke für sie eine Bedeutung haben - aber sie schafft es nicht, die tatsächliche Erinnerung herzustellen, bis sie einem Jugendfreund wiederbegegnet, der weiß, was geschehen ist.

Die verstörendsten Szenen sind jene, in denen Sherry nachahmt, was ihr widerfahren ist. Es ist natürlich nicht so, dass die Zwänge und Verletzungen, mit denen sie zu kämpfen hat, sich in Luft auflösen, nur weil sie sie benennen kann - aber sie kann herausfinden, wogegen sie eigentlich kämpft.

"Bartleby", die Verfilmung von Herman Melvilles Geschichte - der erste Spielfilm von Jonathan Parker -,.wirkt im Vergleich geradezu durchgestylt, er spielt in der klaustrophobischen Atmosphäre eines modernen Büros: "I would prefer not to", ich würde es vorziehen, das nicht zu tun, sagt Bartleby jedes Mal, wenn er etwas tun soll, bringt damit alle aus dem Konzept, bis sie anfangen selbst das Wort "prefer" immer wieder zu verwenden, als hätten sie plötzlich ihren eigenen Willen entdeckt.

Tom DiCillo, der schon mit "Living in Oblivion" und "The Real Blonde" in München war, ist im Independent-Kino geradezu ein Veteran - und er beherrscht wahrhaftig sein Handwerk. Sein neuer Film "Double Whammy", mit Denis Leary und Liz Hurley, ist die als Komödie verkleidete Geschichte eines Unglücksraben, und ganz nebenbei watscht er eine ganze Reihe von Regisseuren ab, die den Sprung vom Independent-Kino zum kommerziellen Erfolg geschafft haben: Da gibt es zwei Jungautoren, die nur in Kinoszenen denken - aber sie haben nichts erlebt, wovon sie erzählen könnten.

"Double Whammy" hat in Deutschland bislang keinen Verleih gefunden. Eigentlich, sagt Tom DiCillo, habe er keine Lust mehr, jahrelang an der Finanzierung seiner Projekte zu basteln. Manchmal, kann man da nur sagen, dauert es eben Jahre, keine Zeit zu verschwenden.

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