Film:Finger für Finger, Dynamitstange für Dynamitstange

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Künstler des Todes: Einige Wochen nach "Kill Bill", wenige Tage vor "Troja" - im amerikanischen Kino regiert das Gesetz der Rache.

Von Fritz Göttler

April war der grausamste Monat für das amerikanische Kinopublikum. Drei Filme besetzten die amerikanischen Leinwände und teilten sich die Spitzenplätze auf den Boxoffice-Listen, in denen unerhörter Schmerz und exzessive Gewalt, unerbittliche Zerstörung und Vernichtung das Thema waren. Drei Orgien der gnadenlosen Rache, drei Kino-Opern der Vergeltung um der Vergeltung willen: praktiziert von Uma Thurman in "Kill Bill Vol. 2", von Thomas Jane in "The Punisher", beide in den USA am gleichen Tag gestartet, und, eine Woche darauf, von Denzel Washington in "Man on Fire".

Brad Pitt in "Troja" (Foto: Foto: AP/Warnerbros)

Diese Woche nun werden die Amerikaner mit dem Ur-Modell dieser Erzählungen um "hate, murder, & revenge", um Hass, Mord und Rache konfrontiert, wenn Wolfgang Petersens "Troja" weltweit in die Kinos kommt. Eine Chronik, in der das Kriegsgeschehen um die belagerte Stadt Troja nur die Folie liefert für die obsessive Konfrontation der Rivalen, in einer Gesellschaft, in der Aggressionen offen ausgelebt werden, Gewalt und ihre Rituale einen selbstverständlichen Anteil haben an der Lösung von Problemen. Ein Film, der angesichts dieser qualvollen Rache-Phantasien einen therapeutischen Effekt haben könnte.

Womöglich wirkt dieser archaische, selbstverständliche Umgang mit Gewalt schon wieder befreiend nach den düsteren Exzessen der vorigen Wochen, dem virilen Durchmarsch von "Man of Fire".

Der Film hat die amerikanischen Kritiker verstört - auch deshalb, weil der Superstar Denzel Washington, vor drei Jahren mit dem Oscar ausgezeichnet, sich erneut ins Zwielicht begibt, der Serie seiner sinistren Helden nach "Hurricane" Carter und dem Detective Alonzo Harris in "Training Day" nun einen fragwürdigen Racheengel hinzufügt, mit einem starken Potenzial an Selbstzerstörung, auch was die Karriere eingeht. Denzel Washington ist John Creasy, ein Kriegsveteran mit einem Alkoholproblem - dubiose geheimdienstliche Aktionen, in die er verstrickt war, haben ihn mit peinigenden Erinnerungen zurückgelassen. Er kommt nach Mexico City, lässt sich zu einem Job überreden, als Leibwächter eines blonden Mädchens, Dakota Fanning, das ihn sacht aus der Lethargie holt. Dann wird sie entführt, offensichtlich ermordet . . . und Washington zieht los zu einem Rachefeldzug, von Tony Scott mit virtuoser Unerbittlichkeit inszeniert, Finger für Finger, Dynamitstange für Dynamitstange.

Stumpfe Kampfmaschine

Die gleiche Geschichte erzählt der "Punisher", nach der erfolgreichen Marvel-Comic-Serie. Thomas Jane ist ein versierter Undercover-Spezialist, der sich nach seinem letzten Coup mit seiner Familie zur Ruhe setzen will, aber dann der Rache von Drogenboss John Travolta zum Opfer fällt - seine ganze Familie wird ausgelöscht. Er überlebt und verwandelt sich in eine stumpfe kraftstrotzende, gegen jeden Schmerz unempfindliche Kampfmaschine. Wie bei Denzel Washington provoziert und rechtfertigt die Zerstörung der familiären Einheit einen Exzess der Gewalt.

Die Rache ist mein, das ist eine bewährte Formel in der klassischen Erzähltradition, im amerikanischen Kino, das sich immer mehr oder weniger vom Geist der Antikensagen und biblischen Episoden inspirieren ließ - Petersens Film funktioniert in dieser Hinsicht auch als ein offenes Bekenntnis für die gesamte Industrie. Ungewöhnlich ist die Intensität, mit der die Rache exerziert wird, ohne Rücksicht auf moralisches Kalkül, auf die Frage der Verhältnismäßigkeit von Mitteln und Reaktionen. Die Filme feiern Aggressivität als Teil des amerikanischen Nationalcharakters - und das einzige Gegenstück, das daneben in die Kinos kam, ist kläglich gefloppt, die Neuverfilmung des "Alamo", eine klassische Defensivgeschichte, in der es um die Verteidigung des eigenen Landes geht.

Das Motiv der Selbstjustiz, die Geschichte amerikanischer Vigilanten bildet einen erfolgreichen Teil der amerikanischen Kinogeschichte, es hat den Western als Genre geprägt und in Clint Eastwood, Charles Bronson, Sylvester Stallone starke Helden gefunden. Im ersten "Dirty Harry" hat Eastwood die gleiche Aufgabe wie Denzel Washington - ein Erpresser hat ein Mädchen entführt und in einem Erdloch vergraben, fordert Millionen Dollar von der Stadt. Es sind das Leid und der Tod unschuldiger Kinder, die diese Helden so schmerzhaft berühren - und die Härte ihrer Gegenaktionen bedingen. Aber immerhin ist in Dirty Harry das Dilemma der modernen Gesellschaft knallhart durchgespielt - die Unzulänglichkeit der legalen Methoden und Instanzen, das Eingeständnis, dass effizientes Handeln außerhalb des Gesetzes ablaufen muss, in persönlichem, brutalen Einsatz.

Ein solches bewusstes Kalkül - am Ende wirft Dirty Harry den Bürokraten seinen Stern vor die Füße - kennt das neue Rache-Kino nicht, sein "Auge um Auge" ist nichts als eine neue Variante des amerikanischen Masochismus, einer Tendenz zur Selbstzerstörung, eine Stufe in einem fortschreitenden Traumatisierungsprozess. Clint Eastwood hat dem Rechnung getragen, in seinem Film "Mystic River" wird das Thema der Selbstjustiz durch die Gestalten von Sean Penn und Tim Robbins auf selbstquälerische Weise durchgespielt.

Die Regenerierung durch Gewalt hat Tradition in der amerikanischen Geschichte, sie hat die Kritiker immer wieder beunruhigt und das Publikum in großen Scharen in die Kinos gelockt. Eine Tradition, die auf die Indianerkriege seit dem 18. Jahrhundert zurückgeht - die amerikanische Landnahme ist von Anfang an mit Gewalt, Gräuel und Völkermord verknüpft. Zivilisation, die sich durch Barbarei konstituiert - einer der zentralen Filme der Fünfziger hat dieses Trauma zum Thema gemacht, "The Searchers", "Der schwarze Falke", von John Ford. John Wayne, der Indianerhasser, der erleben muss, wie die Familie seines Bruders bei einem Comanchen-Überfall ausgelöscht, seine Nichte Debbie verschleppt wird. Visionen von verlorener Reinheit und Schändung peinigen ihn, er adaptiert die Methoden der Feinde, skalpiert seine Gegner, tötet die Büffel, die sie zum Überleben im Winter brauchen.

"Kill them all"

"The Searchers" hat das amerikanische Kino der Siebziger stark geprägt, die Einzelgänger-Filme der Scorsese- und Schrader-Generation, in denen neue ethnische Konflikte und Aggressionen in den amerikanischen Großstädten durchgespielt wurden.

Auch Tarantino orientiert sich in "Kill Bill" an John Ford, das macht seinen Film, in dem viele nichts als ein mal unterhaltsames, mal enervierendes Cineasten-Powerplay sehen, zu einer dichten Studie amerikanischer Mentalität. Tarantino bringt - ein geniales dramaturgisches Stück - eine Vigilantin ins Spiel, eine kämpfende, martialische Mutter.

Ein bitteres "Kill them all" gibt auch in "Man on Fire" die Mutter Denzel Washington mit auf seinen Weg, als er sie von seinem Vorhaben informiert. Man hat in dem Furor der endlosen blutigen Schwertkämpfe, die Uma Thurman für Tarantino absolviert, immer verdrängt, dass die stärkste Szene des Films gleich am Anfang des ersten Teils kommt, bei Thurmans erster Strafaktion: der Kampf zweier Mütter, bei dem das Kind der einen als Zeugen beiwohnt. Kühn hat Tarantino die femme fatale mit einer jungfräulichen Mutter gekreuzt - und an die Stelle der unbefleckten Empfängnis eine Entbindung im Koma gesetzt. Was keinesfalls einen Zustand natürlicher Unschuld suggerieren mag - auch im Kinderzimmer ist die Gewalt bereits präsent und ihre Rituale. ¸¸Er ist ein Künstler des Todes", sagt Washingtons Buddy in ¸¸Man on Fire", gespielt von Christopher Walken, ¸¸und er ist dabei sein Meisterwerk zu malen." Das ist ein Satz, der durchaus im Geiste von Homer gesprochen scheint.

© SZ vom 10.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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