Film: "Caché":Der Hahn ist tot

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Michael Haneke erteilt in seinem neuen Film eine Lektion über Voyeurismus und Schuld.

Fritz Göttler

Verunsicherung ist sein Geschäft, Verwirrung, und Verstörung. Michael Haneke macht keinen Hehl daraus, dass es den Leuten unwohl werden soll in seinen Filmen. Er braucht dazu keine große Verschwörungstheorie, sondern nur die Insistenz des Blicks. Die Zuschauer sollen am eigenen Leib erleben, wie schaurig das Schauen im Grunde ist.

Daniel Auteuil und Juliette Binoche kämpfen gegen die Beobachtung eines anderen. (Foto: Foto: AP)

Man schickt uns Ansichten von unserem Haus, wird die Anfangseinstellung des Films kommentiert, eine Familie ist vor dem Bildschirm versammelt und guckt, was auf dem Tape ist, das sie vor der Haustür gefunden hat. Es ist die Straße mit ihrem gutbürgerlichen niedlichen Haus, und wie eine Ansichtskarte wirkt die Einstellung, in der es uns präsentiert wird - wie eine Studiodekoration aus dem klassischen Hollywood, in die alles an Versatzstücken hineingepfropft wurde, um auf den ersten Blick die richtige Atmosphäre zu haben: ein kleiner Balkon, reichlich Begrünung, stilvolle Laternen und Straßenschilder, Backstein und Blumenkübel, im Hintergrund ein Hochhaus, das den Raum hermetisch abschließt. Am schönsten hat dieses Spiel mit der Dekoration Hitchcock gemacht, in "Rear Window", und mancher Kritiker hat Hanekes Film mit dem von Hitchcock zusammengebracht.

Der Blick, den man nicht kontrollieren kann

Zwei Stunden dauert das Band, eine ungeschnittene Einstellung, so wie das in den Sechzigern bei Warhol und dem New Yorker Underground immer wieder probiert wurde: die sinnlose Unscheinbarkeit des Alltags als Gegengift gegen die Hektik der inszenierten Ereignisse und Gefühle. Bei Haneke bedeutet die Präsenz des Bands den reinen Terror, das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, im Netz eines fremden, unbekannten Blicks, provoziert Klaustrophobie.

Georges, so nennen wir einen TV-Literaturkommentator in den besten Jahren, ist mit seiner Frau Anne und seinem Sohn Pierrot das Opfer der absurden Attacke - dem ersten folgen weitere Videos, dazu ein paar naive Zeichnungen, die blutiges Geschehen skizzieren, einen toten Hahn. Georges, der Mann, der es gewohnt ist, sich der Kamera zu konfrontieren und die Blicke seiner Zuschauer zu kontrollieren, wird verunsichert durch den einen Blick, über den er keine Macht hat.

Nein, kein Blick ist unschuldig - die Botschaft Hanekes ist nach wenigen Minuten klar, erst recht nicht im Zeitalter mechanischer Reproduktionsmedien. Jeder Blick ist insgeheim Manipulation, bemächtigt sich dessen, was er fixiert. Und auch die Leinwand ist davon betroffen - wer zum Teufel ist das eigentlich, dessen Blick wir im Kino teilen?

Wie man es aus seinen früheren Filmen kennt, von "Bennys Video" über "Funny Games" bis "Code inconnu", zieht auch diesmal Haneke das Spiel voll durch. Die Videos sind eine Art Schnitzeljagd, Georges lässt sich von ihnen leiten und landet bald in einem Mietsgebäude am Stadtrand. Hier trifft er den Algerier Majid, der in der Jugend sein Kamerad war. Nun kommt, erstaunlich für einen Haneke-Film, Moral ins Spiel - Georges muss sich der Frage stellen, ob es gerecht und anständig war, wie er damals, als Junge, handelte. (Eine Warnung: auch uns straft Haneke wieder grausam in einer Szene für unseren Voyeurismus.)

Gewalt ist das Thema des Films, psychische, aber auch blutige physische Gewalt. Der 17.Oktober 1961 ist ein Tag, an dem man festmachen könnte, worum es dabei geht. Majids Eltern waren an diesem Tag bei einem Protestmarsch dabei, den algerischer Immigranten gegen die französische Algerienpolitik organisiert hatten, die Polizei schlug die Demonstration gewaltsam nieder, es gab Dutzende Tote, Leichen, die die Seine hinabschwammen.

Gewalt wie diese taucht in den Bildern von Hanekes Film nur selten auf, und wenn, dann ist sie grotesk domestiziert, auf einem Flachbildschirm, der in ein wandfüllendes Bücherregal eingepasst ist. Hier verlieren die Bilder von den aktuellen Greueln der Welt ihre Schrecklichkeit. Die steife Bücherdekoration, die Georges hinter sich hat, wenn er seine Sendung präsentiert, signalisiert Ordnung, aber sie hat auch etwas von einem Gefängnis. So wirken die Zeichen der Verwirrung und Erschöpfung, die Daniel Auteuil und Juliette Binoche schließlich aufweisen, die dunklen Ringe unter den Augen und die bleichen Wangen, wie eine Rückkehr ins Leben. Am Ende des Spiels scheint Georges reif für einen großen Schlaf zu sein.

CACHÉ ÖST/F/D/I 2005 Regie, Buch: Michael Haneke Kamera: Christian Berger Schnitt: Nadine Muse, Michael Hudecek Mit: Juliette Binoche, Daniel Auteuil, Annie Girardot, Maurice Bénichou, Lester Makedonsky, Bernard Le Coq, Walid Afkir, Daniel Duval, Nathalie Richard Prokino, 119 Minuten.

© SZ vom 26.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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