Film: "Annas Sommer":Wie frisch gepflückt

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Ein melancholisches Spiel der Erinnerungen zwischen den Zeiten und Kulturen - Jeanine Meerapfels Film "Annas Sommer".

BODO FRÜNDT

(SZ vom 29.05.2002)- Erst wenn es die Erinnerung an einen Verstorbenen nicht mehr gibt, ist er wirklich tot, sagt einer in "Annas Sommer", dem sechsten Spielfilm der Autorin und Regisseurin Jeanine Meerapfel ("Amigomio"). Tatsächlich ist ihr Film liebevoll-sorgfältige Erinnerungsarbeit.

Die Liebe der Vergangenheit kehrt in der Erinnerung von Anna zurück. (Foto: Basis Film)

Eine Arbeit, die zunächst einmal Anna Kastelano (Angela Molina) zu leisten hat - die Titelfigur, eine Frau Ende vierzig. Sie ist das Kind eines jüdischen Griechen und einer Spanierin, die sich während der Nazizeit im Londoner Exil kennen lernten. Nun sucht Anna auf einer griechischen Insel das Haus ihrer Großmutter auf, das sie verkaufen möchte.

Da Annas Vater Leon (Dimitris Katalifos) zu den aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden zählte, die ihre spanische Muttersprache beibehielten und sie später, nach der Trennung der Eltern, bei der Mutter in Spanien aufwuchs, ist Anna Spanisch so vertraut wie Griechisch oder Englisch. Deutsch kam später hinzu, als sie sich in den Berliner Max (Herbert Knaup) verliebte.

Anna, von Beruf Fotografin, ist eine moderne selbstbewusste Frau. Doch jetzt hat sie die Lebensmitte-Krise erwischt. Plötzlich und viel zu früh ist Max gestorben. Und Anna kauert vor einer alten Truhe mit Familien- Erinnerungsstücken und Dokumenten und geht auf eine Zeitreise - zurück in die Vergangenheit.

Jeanine Meerapfel bedient sich nicht einer geordneten Chronologie, sondern lässt Anna assoziativ, sprunghaft durch Zeiten, Generationen, Schauplätze streifen. Der Rhythmus der Bilder ist ohne jede Hektik, eher getragen - die Musik von melancholischen Tönen geprägt.

An Max erinnert der Bademantel im Sommerhaus ... ein Abschiedswinken auf der Treppe vor dem Haus bleibt ihr im Gedächtnis. Zunehmend aber drängt sich die Geschichte ihres Vaters und ihrer Mutter in den Vordergrund, die zusammen nicht glücklich werden konnten, weil Leon seiner großen Liebe, einer Verstorbenen, die auch den Namen Anna trug, nachtrauerte.

Dann der Schock der jungen Anna, als sie erfahren muss, dass Max nie mit ihr ein Kind wird haben können. Ein Seeigel-Essen am Strand, bei dem sich plötzlich die Geister der Verstorbenen zu Wort melden und ins Bild drängen. Anna beginnt eine kurze Affäre mit einem jungen Griechen, Nikola, der die Beziehung mehr als Sprungbrett nach Deutschland betrachtet, während Anna auf der Insel einen Ruhepunkt und so etwas wie Heimat findet. Sie wird das Sommerhaus wohl doch nicht verkaufen.

Es geht darum, sagt die Regisseurin, dass eine Frau, die die meisten Menschen, die ihr einmal etwas bedeutet haben, verlor, trotzdem das Leben bejaht und es genießen kann. Sinnlich spürbar rücken Meerapfel und ihr griechischer Kameramann Andreas Sinanos die Natur ins Bild - eine reife platzende Feige, ein Tisch voller Zutaten, die wie frisch gepflückt erscheinen.

Man muss nicht mit der Biographie der Regisseurin, die in Argentinien geboren wurde und erst als junge Frau nach Deutschland kam, vetraut sein, um Spuren und Motive ihres eigenen Lebens in diesem Film zu vermuten. Je privater und subjektiver er werde, hat Fassbinder gesagt, desto allgemeiner werde er zugleich - zumindest für das Publikum seiner Generation. Das trifft auch auf diesen sanften Film über den Tod, die Trauer, und damit über die Liebe zu.

ANNAS SOMMER, Deutschland Spanien Griechenland 2001 - Regie und Buch: Jeanine Meerapfel. Kamera: Andreas Sinanos. Musik: Floros Floridis. Schnitt: Bernd Euscher. Mit: Angela Molina, Herbert Knaup, Dimitris Katalifos. Basis Film, 107 Minuten.

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