Film: American Gangster:Befreiung aus dem Würgegriff

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"American Gangster" von Regisseur Ridley Scott schreibt schwarze Kulturgeschichte. Der Europäer hat den Kern der Hip-Hop-Kultur verstanden wie kein anderer.

Andrian Kreye

Wenn Denzel Washington die Straßen von Harlem abschreitet, dann schreien seine Haltung, sein Gestus, seine Mimik geradezu danach, als Mythos in die Filmgeschichte einzugehen. Ein Anspruch, der oft bei Ridley Scott, der mit "Alien" und "Blade Runner" das Science-Fiction-Genre neu definierte, im Raum steht. Mit "American Gangster" hat er zwar nicht den Gangsterfilm neu definiert, aber er hat einen Meilenstein schwarzer Kulturgeschichte abgeliefert.

Denzel Washington und Ridley Scott am 2. November in London. (Foto: Foto: ap)

Scott hatte vorgesorgt. Er hat Nebenrollen mit Hip-Hop-Ikonen wie T. I., Common und RZA vom Wu Tang Clan besetzt. Er hat den Regisseur und Rapper Fab Five Freddie als Berater engagiert, der als Neffe von Jazzlegende Max Roach und Pionier des frühen Hip-Hop über ein enzyklopädisches Wissen schwarzer Stilgeschichte verfügt. Und er hat Hank Schocklee als Musikberater eingesetzt, der Ende der achtziger Jahre bei Public Enemy am Mischpult saß und dort die Kunst perfektionierte, mit musikalischen Zitaten bedeutungsschwangere Referenzen zu schaffen.

So viel Expertise in der jüngeren afroamerikanischen Kulturgeschichte in Kombination mit Ridley Scotts scharfem europäischen Blick auf die Essenz der amerikanischen Gesellschaft hat nun für eine Authentizität gesorgt, die der Hip-Hop-Generation ihre Lebensgeschichte mythifizieren sollte. Und die Hip-Hop-Generation hat das Angebot schon angenommen. Einer ihrer profiliertesten Sprecher, der Rapper Jay Z, hat nach einer frühen Vorführung ein Konzeptalbum eingespielt, das den Film in dreizehn epischen Songs verarbeitet.

Jay Z kreiert hier eine Atmosphäre, die sich nicht auf den aktuellen Stand des Hip-Hop bezieht, sondern auf die Lebensgeschichte dieser Generation. Da finden sich Marvin Gayes "Soon I'll be lovin' you" und Barry Whites "Love Serenade", Curtis Mayfields "Short Eyes" und "Fell for You" von den Dramatics. Das ist genau jener konservative Soul, den die Generation aus der Kindheit als Musik ihrer Eltern kennt.

Den Ritterschlag erteilt Jay Z Ridley Scott dann im Song "Falling", in dem er die epochalen Filme der Hip-Hop-Generation aufzählt - "Der Pate", "Casino", "Goodfellas" und "Scarface". Es waren vor allem Referenzen an Brian de Palmas Neuverfilmung des klassischen Gangsterfilms "Scarface", die sich seit den frühen Neunzigern wie ein roter Faden durch die Hip-Hop-Geschichte ziehen. Und diesen Film wird "American Gangster" nun, von Jay Z offiziell bestätigt, ablösen.

Politisch korrekte Kritiker werfen Scotts Film vor, rassistische Klischees von der kriminellen Energie der Afroamerikaner zu bestätigen. Doch der Mythos der schwarzen Gangsterbosse Harlems wie "American Gangster"-Vorbild Frank Lucas und sein Konkurrent Nicky Barnes begründete genau jenen Nihilismus, der das Leben all jener Afroamerikaner bestimmte, die zu jung waren, um noch etwas von der Euphorie der Bürgerrechtsära mitzubekommen.

Es war die Zeit, als das schwarze Amerika begreifen musste, dass die politische Emanzipation nur einer von vielen Schritten sein kann und der wirtschaftliche Freiheitskampf noch so viel schwerer und aussichtsloser sein würde. Schwarze Gangster konnten sich ja gerade deshalb als Volkshelden aufspielen, weil sie die Ghettos zunächst mal aus dem Würgegriff der weißen Syndikate der Iren, Italiener, Juden befreiten. Dass dieser Befreiungsschlag einen hohen Preis hatte, dass die Heroinwelle der Siebziger und die Crackepidemie der Achtziger für die schwarzen Gemeinden so zerstörerische Auswirkungen hatten wie der Rassismus der Gesellschaft, verdrängt die Mythenbildung des Hip-Hop gern.

Auch Ridley Scotts europäisch gefärbte Kapitalismuskritik und Jay Zs Mythifizierung glorifizieren den Gangster als Revolutionär. Im Kontext der nihilistischen Hip-Hop-Kultur formuliert "American Gangster" Befreiung allerdings als erzkonservativen Anspruch auf ein bürgerliches Leben, das von Moral und Familiensinn bestimmt ist. Aber genau da hat der Europäer Scott den Kern der Hip-Hop-Kultur verstanden wie kein anderer.

© SZ vom 14.11.2007/ihe/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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