Festival:Völlig frisch

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Zu den "Tagen Alter Musik" in Regensburg

Von Egbert Tholl, Regensburg

Ein bisschen neidisch kann man als Münchner schon werden. In der Landeshauptstadt fristet die Alte Musik nach wie vor ein Schattendasein; gäbe es nicht ein paar aufopferungsvolle Veranstalter wie die Tonicale oder Ralf Jaensch, es gäbe praktisch keine Konzerte mit Musik vor Bach, gut, vielleicht mal einen Monteverdi an der Staatsoper, das wäre es dann schon gewesen. Dann fährt man nach Regensburg, zu den "Tagen Alter Musik", und das erste Konzert am Samstag vor Pfingsten mit Musik von Heinrich Schütz in der wahrlich nicht kleinen Dreieinigkeitskirche ist überfüllt, und vor dem danach in der Minoritenkirche stehen einige Menschen mit "Suche Karte"-Schildchen in der Hand. Da ist es bereits elf Uhr nachts und die Leute begehren Einlass zu einem Konzert mit mehr als 400 Jahre alten Madrigalen von Carlo Gesualdo, zu Musik also, die nur von sechs Sängern gestaltet wird, rein a capella, ohne jedes Instrument.

Natürlich: Die "Tage Alter Musik" finden in diesem Jahr zum 32. Mal statt, sie dürfen mit Fug und Recht als eines der wichtigsten Festivals für Alte Musik gelten, und die hier versammelten, wirklich internationalen Musiker, gehören allesamt zu Meistern ihres Fachs. Vor allem aber stoßen sie hier auf ein ungeheures Interesse, auf Neugier, gepaart mit einem über Jahrzehnte erworbenen Sachverstand. Über die Compagnia del Madrigale aus Italien kann man im Programmheft lesen, sie habe gerade in den Philharmonien von Köln und Essen gesungen; am vergleichbaren Ort in München würden sie vermutlich ein tristes Erlebnis haben, also auf nach Regensburg.

Tatsächlich prunken die sechs Sängerinnen und Sänger mit stimmlicher Perfektion, die bei dem frühen Expressionisten Gesualdo keineswegs selbstverständlich ist. Die Homogenität ist atemberaubend, das exakte Aufeinanderhören ohnehin. Aber wenn man schon so viel kann und auch so viel weiß über diese Musik, wenn man schon Stücke auswählt, die emotionale Extremverfassungen ausloten, und zwar mehrheitlich nicht die lustigsten, dann könnte man mit Gesualdos krassen Dissonanzen ein ganz anderes stimmliches Theater veranstalten. So aber raubt die Kultiviertheit, so beeindruckend sie ist, der Musik ihre Exaltiertheit.

Winziges Gegenbeispiel unter einer ganzen Horde prächtiger Solisten beim Schütz-Konzert davor: Charles Daniels. Sieht aus wie ein britischer Butler, der bald sein 50-jähriges Dienstjubiläum feiert, und singt seinen Tenor-Part mit einer Inbrunst, die einen fiebrig erfüllt. Das Dresdner Barockorchester und der Dresdner Kammerchor unter seinem Gründer Hans-Christoph Rademann führen die "Psalmen Davids" von Schütz auf, als ein so furios lebendiges Spiel mit Klang, mit dem Raum in immer wieder wechselnden Aufstellungen, dass die Musik völlig frisch erklingt, wie eben entstanden. Schütz ist ein Meister der farbigen Wortexegese, verfolgt keinen sturen Plan, gestaltet immer neu - das wird hier zum Erlebnis!

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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