Festival in Adlersberg:Erfüllte Sehnsucht

Lesezeit: 2 min

Die zwölften Stimmwercktage verbinden die Gegenwart mit der Renaissance

Von Egbert Tholl, Adlersberg

In München war er beliebt, hier saß er auch für ein Porträt. Das war im Jahr 1558 oder 1559, ist also schon ein bisschen her, aber das Porträt gibt es noch, man findet es in der Bayerischen Staatsbibliothek wie auch eine prachtvolle Handschrift seiner Motetten. Ein wacher, knochiger Kerl ist Cipriano de Rore auf diesem Porträt, offenbar war er auch sehr höflich. Denn fürs Neujahr 1559 schenkte er Herzog Albrecht eine Komposition, auch ein Zeichen dafür, dass er sich am Münchner Hof, den er auf der Durchreise von Italien nach Flandern kennenlernte, sehr wohl gefühlt haben muss. München war damals ein hochlebendiges Zentrum der aktuellsten Musik der Zeit. Weshalb es historisch vollkommen richtig ist, dass nun die vier Musiker von Stimmwerck bei ihren Stimmwercktagen Vokalpolyphonie der Renaissance, also Albrechts Gegenwartsleidenschaft, mit Vokalmusik kombinieren, die gerade erst entstanden ist, heute, in unserer Zeit, geschrieben von Ivan Moody, geboren 1964 in London und ein Meister zeitgenössischer Chormusik, der die Wurzeln dessen, was er schreibt, genau kennt.

Zum zwölften Mal veranstalten die Stimmwercker Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Gerhard Hölzle und Marcus Schmidl ihr Festival auf dem Adlersberg bei Regensburg - einem bayerischen Sehnsuchtsort, der das Bier der dort ansässigen Brauerei mit einem Biergarten, diesen mit einem ehemaligen Kloster und dessen nur scheinbar unscheinbaren Kirche vereint, die auch noch über eine perfekte Akustik verfügt. Also: Superbayern. Dieses Superbayern ist herrlich schön, weil es die Stimmwercker beleben mit Poesie und Nachdenken über Kunst. Gäste fürs Musizieren haben sie auch eingeladen, den wunderbar lyrischen Tenor Henning Jensen und die perfekt den Gesang der Herren ergänzende Sopranistin Monika Tschuschke. Sowie ein Gambenquartett, das zwar eigentlich bei dieser Vokalmusik nichts zu tun hat, aber: Erst übertragen sie eine Motette de Rores ins rein Instrumentale, was wie ein Echo auf den Gesang wirkt und den dichten Bauplan des vor allem in Italien wirkenden Flamen verdeutlicht. Dann spielen sie eine genuine Komposition von Moody, die gleichfalls das Prinzip der sich wechselseitig beleuchtenden Stimmen zum Ausgangspunkt hat, also eigentlich auch eine instrumentale Motette ist und ein bisschen klingt, als habe Morton Feldman im 16. Jahrhundert gelebt und mit modaler Harmonik experimentiert.

Cipriano de Rore hatte, das zeigt die Auswahl des wieder einmal einfach himmlisch zusammenwirkenden Stimmwerck-Quartetts, ein Faible für völlig verrückte Texte, die selten naiv gläubig wirken. Sein lyrisches Ich ist selbstbewusst, und er zeigt es in kompositorischer Meisterschaft, die sich vor allem um den Klang kümmert. Es ist wunderschön, nichts weiter. Nur der Bayerischen Rundfunk fehlt in diesem Jahr - das hätte es bei Herzog Albrecht nicht gegeben.

© SZ vom 01.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: