Fernseh-Satire:Schrille Nacht, unheilige Nacht

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Knalleffekt: Oliver Kalkofe spricht in seiner Mattscheibe aus, was Senderverantwortliche höchstens hinter vorgehaltener Hand äußern. (Foto: G. Krautbauer/Tele 5)

Kurz vor der Bescherung zeigt Oliver Kalkofe im Mathäser "das gebündelte Grauen des Fernsehens". Der Satiriker spricht vom Beginn des postfaktischen Zeitalters und geht mit den Öffentlich-Rechtlichen hart ins Gericht

Interview von Bernhard Blöchl

Er ist der populärste, manche sagen bissigste Fernsehkritiker Deutschlands. Sein Satire-Format "Mattscheibe" gibt es, in unterschiedlichen Ausprägungen und auf verschiedenen Kanälen, seit mehr als 20 Jahren. Nun kommt es zu einer Premiere: Erstmals gastiert der 51-jährige Niedersachse mit seiner Live-Show "Kalkofes Mattscheibe Rekalked" in einem Münchner Kino. An diesem Dienstag präsentiert der Parodist seinen persönlichen TV-Jahresrückblick im Mathäser. Es gibt Ausschnitte und ungesendete Clips, Comedy-Einlagen und "Trash-Wichteln" (jeder darf ungeliebte Geschenke mitbringen).

SZ: Etwas seltsam ist das ja schon: Sie kommen nach München, um Fernsehen ins Kino zu bringen - schlechtes Fernsehen wohlgemerkt.

Oliver Kalkofe: Ja, wir sehen das gebündelte Grauen des Fernsehens auf der großen Leinwand. Das macht den Leuten riesigen Spaß, und das Schöne daran ist dieses tolle Gemeinschaftserlebnis, was es heute ja kaum noch gibt, weil immer weniger Menschen gemeinsam live fernsehen. Hier tun es alle und wissen: Ja, wir werden verarscht, ja, wir werden verblödet, aber wir kriegen halt auch gleich die Gegenmedizin geliefert.

Ihr Jahresrückblick heißt "Fresse 2016". Was war denn im TV-Programm besonders schlimm?

Es fällt immer schwerer, das Schlimmste herauszufinden. Weil es immer unspektakulärer wird. Man findet im Fernsehen kaum noch was, worüber man in der großen Runde reden kann, seit es "Wetten, dass . . ?" nicht mehr gibt. Es wird immer mehr und beliebiger, die meisten Sachen verpuffen. Ein Horror-Highlight war die Katzenberger-Hochzeit, aber auch die interessierte nur ein paar Geschmacksverirrte.

An welchen Formaten haben Sie sich in diesem Jahr besonders gerieben?

Die wahre Pest sind die täglichen Scripted-Reality-Formate, deren unterirdische Qualität sich in unsere Gehirnwindungen einschleicht und unsere Erwartungen immer weiter runterdrückt. Gerade gibt es den großen Boom an Fake-Polizei-Serien, letztens sogar gemischt mit Mystery! So eine Art "Auf Streife" trifft "Akte X". Absurder geht es wirklich kaum noch. In vielen der vorgeblich realen Folgen geht es um verbrecherische Abkotungen, zum Beispiel kackt eine Frau in den Supermarkt.

Wie bitte?

Ja, und dann stellt sich heraus, dass sie mit dem Mann der Chefin eine Affäre hatte. Am Ende finden sie auf der Kamera Bilder von der Angestellten beim Kacken zwischen den Regalen und fahren zu ihr nach Hause, wo der Mann gerade versucht, sie zu erwürgen.

Unfassbar!

Das hatten wir gerade für den Jahresrückblick abgedreht, da kamen noch drei andere kriminelle Kack-Storys. Die werden einem als reale Fälle präsentiert, und ich sitze so da und denke mir: Das kann nicht wahr sein! Vor 20 Jahren haben wir uns das als Comedy im Radio ausgedacht, heute verkaufen sie uns das als reale Dokumentation. Und ein Großteil der Leute glaubt das auch noch. Es ist wirklich bitter. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn das postfaktische Zeitalter beginnt.

Wie meinen Sie das?

Was man etwa bei der AfD und bei Trump merkt: Je einfacher die angebotenen Antworten sind, desto mehr springen die Leute darauf an. Es geht nicht mehr darum: Wer hat die Lösung, sondern wer hat die einfachste Antwort? Das ist das, was gerade passiert, und da helfen das Fernsehen und die anderen Medien mit, unseren Verstand dafür immer tiefer zu legen. Das ist ein Kreislauf, der leider nur sehr schwer aufzuhalten ist.

Um mal etwas Positives zu nennen: Seit einigen Jahren entwickeln sich vornehmlich amerikanische Serien zu wahren Meisterwerken der TV-Unterhaltung.

Oh ja, ich bin ein riesen Serien-Fan! Es ist erstaunlich, welche Vielfalt es in England und Amerika gibt. In jedem Genre wird etwas geboten. Das Traurige dabei: In Deutschland sind wir immer noch nur bei der 700. Variante des Schmunzel- oder Tragik-Krimis.

Es gibt auch gute Produktionen aus Deutschland, zum Beispiel den "Tatortreiniger".

Das ist ja das Traurige: Wir könnten das! Es gibt hier viele gute Leute. Aber die Sender haben Schiss. Keiner nimmt Geld in die Hand. Außer man hat einen Superstar an der Hand oder einen Finanzier. Ansonsten kriegt man das nicht hin, höchstens bei den ganz kleinen Sendern, in den Spartenprogrammen. Es ist erbärmlich gegen das, was wir an theoretischen Budgets haben. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten sich schämen! Die bezahlen wir dafür. Die müssten uns mit jedem neuen Format überraschen und zeigen, was möglich ist. Sie müssten uns herausfordern und nicht einlullen. Das Programm aber gleicht schon ewig eher einem lauwarmen Fußbad, in das einer reingestrullt hat.

Dagegen kämpfen Sie seit mehr als 20 Jahren. Wie gegen Windmühlen. Haben Sie nie die Lust verloren?

Also im Moment spüre ich keine Ermüdungserscheinungen. Klar, es gab immer wieder Phasen zwischendurch, wo ich gedacht habe: Jetzt reicht's. Aber sobald ich neuen Irrsinn entdecke, flammt die Leidenschaft wieder auf. Es ist ja so: Wenn ich ein normaler Kritiker wäre, der Sachen guckt und sagt, was er gut oder schlecht findet, dann hätte ich schon lange die Schnauze voll. Aber ich bin ja in dieser wunderbaren Lage, dass ich mich rächen und kreativ damit spielen darf.

Was wünschen Sie sich für das Fernsehjahr 2017?

Ich wünsche mir, dass der Level des Irrsinns und des Wahnsinns wieder etwas zurückgeht. Und dass die Fernsehmacher ein einfaches Prinzip wiederbeleben, was eigentlich logisch ist: nämlich Sachen zu machen, die sie selbst gerne sehen würden. Innerhalb von ganz kurzer Zeit würde sich das Fernsehprogramm um ein Vielfaches verbessern. Es müsste zur Pflicht werden für alle Redakteure, dass sie ihre eigenen Sendungen komplett angucken müssen. In ihrer Freizeit. Das würde alles schlagartig verändern, sie würden nie wieder solch unfassbaren Schund produzieren. Weil ihnen ihre eigene Lebenszeit zu schade wäre.

Dann wären Sie arbeitslos.

Auf mich muss keiner Rücksicht nehmen. Ich finde immer genug zu tun.

Kalkofes Mattscheibe Rekalked , mit Oliver Kalkofe, Dienstag, 20. Dezember, 20 Uhr, Mathäser Filmpalast, Bayerstraße 3-5

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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